Essen/Mülheim. Discounter-Offensive: Aldi listet nun auch Salami & Co. aus schlechter Haltung bis 2030 aus. Lidl will grundsätzlich weniger Fleisch verkaufen.

Während sich Cem Özdemir (Grüne) nach Christian Schmidt (CSU) und Julia Klöckner (CDU) als dritter Agrarminister an staatlichen Tierwohlstandards versucht, ist der Handel längst weiter. Die großen Vier – Edeka, Rewe, Aldi und Lidl – haben sich 2019 eigene Standards für Masttiere und Milchkühe gesetzt und stellen seitdem ihre Sortimente schrittweise auf die höheren Haltungsstufen um. Nun geht einmal mehr der Discountriese Aldi einen weiteren Schritt voran: Aldi Nord und Süd wollen nach dem Frischfleisch auch ihre Wurstwaren und verarbeiteten Fleischprodukte der unteren Haltungsstufen bis 2030 aus ihren Kühlregalen verbannen. Das gaben die Schwesterunternehmen am Donnerstag bekannt.

Da die Menschen in Deutschland fast genauso viel Fleisch in Form von Wurst, Schinken, Frikadellen oder Hühnchennuggets verspeisen wie frisches Steak oder Hack, ist dieser Schritt rein mengenmäßig ein großer. Wie beim Frischfleisch ist davon auszugehen, dass die Konkurrenz nachzieht. Aldi hatte im Sommer 2021 angekündigt, die Mindeststandards für Frischfleisch zu erhöhen, bei den Milchkühen war Edeka im Januar 2022 vorangegangen, Aldi, Lidl und Rewe zogen rasch nach.

Aldi: Ausstieg aus Haltungsformstufe 1 bei Salami & Co. bis 2025

Inzwischen verkaufen alle Discounter und Supermärkte viel Frischmilch aus höheren Haltungsstufen, Aldi gibt den Anteil mit 45 Prozent an. Bei Frischfleisch gibt es nach wie vor viele Billigprodukte der untersten Stufe, die bis Mitte des Jahrzehnts verschwinden soll. Aldi weitet das nun auf alle Wurstwaren und verarbeitete Fleischprodukte aus. Rewe hatte bereits angekündigt, Wurst und Fleischprodukte seiner Eigenmarken bis 2025 mindestens auf Haltungsstufe zwei zu heben. Damit ist der Handel auch den nun von Minister Özdemir geplanten staatlichen Standards erneut voraus: Sie sollen zunächst nur für Frischfleisch und Milchvieh gelten.

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Für die Tiere ist es zu Lebzeiten leidlich egal, ob aus ihnen später Wurst oder Steaks gefertigt werden. Ein Mastschwein etwa hat in der Haltungsstufe 1, die den gesetzlichen Mindeststandards entspricht, 0,75 Quadratmeter Platz, in Stufe 2 ein paar Quadratzentimeter mehr, in Stufe 3 dann 1,05 Quadratmeter, dann allerdings auch Frischluftzugang, etwa über eine offene Stallfront oder mit einer Außenfläche. Hinzu kommen ab Stufe 3 mehr Spielzeug und der Verzicht auf genveränderte Futtermittel. Die Haltungsstufe 4 des Handels entspricht den europäischen Biostandards. Özdemir plant fünf Stufen, die weitgehend denen des Handels gleichen, Stufe fünf ist der Biostandard, den der Handel schon in vier erfüllt wissen will.

Aldi gibt sich wie bei Frischfleisch und Milch auch für Salami & Co. einen Ausstiegszeitplan: Bis 2025 sollen Waren aus der Haltungsform 1 ganz verschwinden, bis 2026 soll ein Drittel der Fleisch- und Wurstwaren aus den Haltungsformen 3 und 4 stammen, bis 2030 der Umstieg auf die höheren Standards abgeschlossen sein. Aktuell verkauft Aldi nach eigenen Angaben nur 15 Prozent Wurstwaren aus besserer Haltung, beim Frischfleisch sind es 20 Prozent. Die Nachfrage etwa nach Biofleisch sei bei Aldi aber gegen den aktuellen allgemeinen Trend stark wachsend.

Tierschutz-Expertin: Lebensmitteleinzelhandel hat zur Tierwohl-Problematik beigetragen

Die Tierschutz-Stiftung „Vier Pfoten“ begrüßt „die geplante Auslistung der absolut tierschutzwidrigen Haltungsstufen 1 und 2“. Nora Irrgang, Nutztierexpertin der „Vier Pfoten“, weist aber auch darauf hin, dass der Lebensmitteleinzelhandel selbst zur Tierwohl-Problematik beigetragen habe. „Sie versuchen billig einzukaufen und setzen seit Jahrzehnten deutsche Erzeuger mit geringen Preisen unter Druck“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Das trage nicht dazu bei, dass Landwirtinnen und Landwirte mehr in ihre Haltungsstandards investieren können.

Die Ankündigung von Aldi ist ein guter Schritt und lenkt den Fokus auf die Tierwohl-Problematik, sagt Nora Irrgang, Expertin für Tiere in der Landwirtschaft bei der Organisation „Vier Pfoten“. Dennoch muss der Handel aus ihrer Sicht aktiver über Haltungsformen aufklären.
Die Ankündigung von Aldi ist ein guter Schritt und lenkt den Fokus auf die Tierwohl-Problematik, sagt Nora Irrgang, Expertin für Tiere in der Landwirtschaft bei der Organisation „Vier Pfoten“. Dennoch muss der Handel aus ihrer Sicht aktiver über Haltungsformen aufklären. © VIER PFOTEN | Christopher Koch

Potenzielles Tierwohl bemesse sich auch keineswegs allein an der Haltungsform: „Eine gut gestaltete Haltungsumgebung ist vielmehr nur eine Voraussetzung, die aber durch gutes Management ergänzt werden muss. Eine unzureichende Haltungsumgebung kann dagegen auch mit gutem Management kein gutes Tierwohl erreichen“, erklärt die Tierschützerin. Unter Tierwohl verstehe man den mentalen Zustand des Tieres. Zu diesem gehören Gesundheit, Ernährung, genügend Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die Möglichkeit, arteigene Verhaltensweisen ausleben zu können. Die Ankündigung von Aldi sei aber ein guter Schritt. „Es lenkt den Fokus auf das Problem und zeigt die Absicht, etwas im Bereich Tierwohl zu unternehmen“, so Irrgang.

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Wichtig sei jedoch auch, dass sich der Handel aktiv für Aufklärung einsetzt. „Wenn Aldi und Co. die Haltungsstufen 3 und 4 mehr bewerben wollen, könnten sie darüber aufklären, was in den Stufen 1 und 2 mit den Tieren passiert“, sagt die Tierwohl-Expertin.

Lidl will Fleischwaren durch vegane Produkte ersetzen

Der Konsumtrend zu nachhaltigeren Produkten spiegelt sich in den Imagekampagnen der Handelsriesen wider. So machte Lidl unlängst mit seiner Ankündigung von sich reden, grundsätzlich weniger Fleisch verkaufen zu wollen. Tierische Produkte sollen ausgelistet und durch pflanzliche ersetzt werden, das Sortiment bis 2025 entsprechend umgestellt werden, kündigte die Nummer zwei der deutschen Discounter auf der „Grünen Woche“ in Berlin an. Lidl liegt mit seinen veganen Fleischalternativen bereits weit vorn, 2022 zeichnete etwa die Tierschutzorganisation Peta die Lidl-Marke „Vemondo“ als „beste vegane Eigenmarke“ aus. Auch einzelne vegane Aldi-Produkte räumten Preise bei den radikalen Tierschützern ab.

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Damit folgen die Discountriesen dem Konsumverhalten – seit Jahren wird in Deutschland immer weniger Fleisch gegessen und produziert. 2022 sank die Fleischproduktion so stark wie nie zuvor – um 8,1 Prozent auf rund sieben Millionen Tonnen.

Rewe will auch eigene Billigwurst aussortieren

Bei der Umstellung ihrer Fleischsortimente auf höhere Haltungsstufen machen alle großen Ketten mit: die Rewe-Gruppe will bis Ende 2025 Frischfleisch sowie bereits verarbeitete Fleischerzeugnisse seiner Eigenmarken nur noch aus mindestens Haltungsformstufe 2 anbieten. Die Haltungsformstufen 3 und 4 soll es zumindest beim Frischfleisch ausschließlich bis 2030 in den Märkten von Rewe und Penny geben.

Höhere Haltungsformen will Aldi nun auch bei Wurstwaren durchsetzen, bis 2030 sollen die Stufen 1 und 2 aus den Kühlregalen verschwinden.
Höhere Haltungsformen will Aldi nun auch bei Wurstwaren durchsetzen, bis 2030 sollen die Stufen 1 und 2 aus den Kühlregalen verschwinden. © ALDI SÜD | ALDI SÜD

Lidl verfolgt eine ähnliche Strategie. Bis 2022 hatte sich der Discounter bereits das Ziel gesetzt mindestens 50 Prozent der Tiefkühlprodukte aus Schwein und Geflügel und das frische Wurstsortiment aus Schweinefleisch in der Haltungsformstufe 2 anzubieten. Bis 2025 soll diese Haltungsformstufe der Mindeststandard für das gesamte Frischfleischsortiment der Eigenmarken sein, heißt es auf Nachfrage. Die Haltungsformstufen 3 und 4 sollen bereits bis 2024 mindestens 25 Prozent der Frischfleischprodukte ausmachen – bis 2026 soll jedes dritte Produkt aus besserer Haltung kommen.

Lidl setzt auf schrittweise Erhöhung der Haltungsstufen

Auch der Discounter Netto, der zum Edeka-Verbund gehört, erklärt auf Nachfrage der Redaktion beim Frischfleisch der Eigenmarken keine Produkte mehr aus der ersten Haltungsformstufe anzubieten. Netto plane außerdem einen weiteren Ausbau der Haltungsformstufen 3 und 4 in seinem Eigenmarken-Sortiment. Zudem soll der Anteil an Geflügelprodukten der oberen beiden Stufen in den nächsten zwei Jahren verdoppelt werden. Für seine Supermärkte erklärte Edeka, das Angebot an verarbeiteten Fleisch- und Wurstwaren aus höheren Haltungsformen ausbauen zu wollen. Bei den Eigenmarken sei das verwendete Schweine- und Geflügelfleisch „mittlerweile zum allergrößten Teil auf Haltungsform 2 umgestellt“ worden.

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Die Frage, wie die Landwirte den Umbau ihrer Ställe und neue Freiflächen finanzieren sollen, wenn die vier Handelsriesen weiter um die niedrigsten Preise konkurrieren, ist eine andere. Aldi hat immer wieder deutlich gemacht, dass hier die Bundesregierung in der Pflicht sei, die Bauern beim Umbau ihrer Ställe zu helfen.

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Bei der Vorstellung des neuen Vorstoßes sagte nun Julia Adou, die Nachhaltigkeitschefin von Aldi Süd: „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Verbraucher müssen bereit sein, für Wurst aus besserer Haltung auch etwas mehr auszugeben, die Politik muss sicher mehr tun als die im Raum stehende eine Milliarde Euro für den Umbau der Tierhaltung. Und wir geben den Landwirten das Versprechen, dass Fleisch aus den höheren Haltungsformen im Markt bessere Preise erzielt.“

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