Mülheim/Essen. Aldi prescht vor und will auf Fleisch von Tieren in engen Ställen verzichten. Landwirte und Schlachter Tönnies fordern staatliche Unterstützung.

Als erste große Lebensmittelhändler in Deutschland wollen Aldi Süd und Aldi Nord mittelfristig keine Fleischprodukte mehr aus konventioneller Tierhaltung verkaufen. Mit ihrer Ankündigung wollen die Discounter-Marktführer aus Mülheim und Essen Landwirte und ihren Hauptlieferanten Tönnies unter Druck setzen, ab 2030 nur noch Schweine, Rinder und Geflügel zu erzeugen, die Zugang zum Freiland oder Bioqualität haben. Andere Einzelhandelsketten wollen folgen.

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Überraschend stellte Aldi am Freitag einen stufenweisen Komplettausstieg aus dem Verkauf von Frischfleisch vor, das unter den Bedingungen der sogenannten Haltungsformen 1 und 2 produziert wird. Mit der Initiative Tierwohl hatten sich die Lebensmittelketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl, Netto, Kaufland und Penny auf vier Haltungsformen geeinigt. Haltungsform 1 sieht die Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen vor. So muss ein Schwein 0,75 Quadratmeter Platz im Stall haben. Bei Jungbullen sind es 1,5 bis 2,2 Quadratmeter – je nach Gewicht. Die Haltungsstufe 2 sieht im Schnitt zehn Prozent mehr Platz pro Tier im Stall vor.

Kunden kaufen mehr Biofleisch

Aldi prescht nun vor und will sich ganz von Fleischprodukten verabschieden, die unter diesen Mindestanforderungen erzeugt werden. „Wir geben heute ein großes Versprechen ab“, sagte am Freitag der Einkaufschef von Aldi Süd, Erik Döbele. Man wolle das Tierwohl in den kommenden Jahren „in einem nie dagewesenen Schritt“ verbessern.

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Die Discounter reagieren damit offenbar auf die deutlich wachsende Nachfrage der Kunden nach Biofleisch, die der Bund Ökologische Landwirtschaft registriert. Danach waren im vergangenen Jahr die Bio-Produkte mit den größten Wachstumsraten Bio-Geflügel und andere ökologisch erzeugte Fleischsorten. Insgesamt ging der Fleischkonsum 2020 zurück. Der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch sank nach Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft mit 57,3 Kilogramm pro Person auf den tiefsten Stand seit 1989, als erstmals Zahlen erhoben wurden.

In dem rasant steigenden Anteil von Bio-Lebensmitteln in den Einkaufswagen der Verbraucher sieht man bei Aldi ein Signal. „Der steigende Umsatz mit nachhaltig erzeugter Ware zeigt, dass unsere Kunden bereit sind für einen Bewusstseinswandel“, sagt Tobias Heinbockel, Einkaufschef bei Aldi Nord. Man wolle nun den Beweis antreten, „dass ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und Nachhaltigkeit sich keineswegs ausschließen“. Mit Hinweis auf die schwankenden Kosten für Futtermittel wagt Aldi allerdings keine Prognose, wie sich der Preis für besseres Fleisch entwickeln werde. „Unsere Kunden werden sich Fleisch weiterhin leisten können“, betont Lars Klein von Aldi Süd.

Aldi will Landwirten Planungssicherheit bieten

In mehreren Stufen wollen beide Unternehmen ganz auf Frischfleisch umstellen, das von Tieren kommt, die an der frischen Luft leben (Haltungsform 3) oder gar unter Bio-Standards aufgezogen werden (Haltungsform 4). Bereits im laufenden Jahr will Aldi 15 Prozent des Frischfleisch-Umsatzes in diesen beiden Segmenten machen. Bis 2025 werde man die Haltungsform 1 ganz aus den Kühlregalen verbannt, bis 2030 vollständig auf Freiluft und Bio umgestellt haben.

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Um dieses Ziel zu erreichen, ist Aldi freilich auf ein Mitziehen der Erzeuger angewiesen. Nach Angaben der Unternehmen halten aktuell 90 Prozent der Bauern ihre Tiere unter konventionellen Bedingungen. „Mehr Tierwohl in der Breite bedeutet hohe Investitionen für Landwirte und die Umstellung eines Marktes, der die letzten Jahrzehnte nur eine Richtung kannte: mehr Quantität“, erklärt Döbele. „Für einen deutlichen Ausbau von Außenklima- und Bio-Haltung braucht es verlässliche Perspektiven und Abnahmemengen für Erzeuger und Verarbeiter“, so der Chefeinkäufer von Aldi Süd.

Landwirtschaftsverband zeigt sich skeptisch

Diese Planungssicherheit wollen die Discounter den Landwirten und Schlachtern geben. „Wir schaffen einen starken, langfristig verlässlichen Absatzkanal für Tierwohl-Haltungsformen deutscher Landwirte“, betont Heinbockel und sendet auch ein Signal an die konkurrierenden Einzelhändler. „Wir hoffen, dass unsere Mitbewerber hier schnell mit ähnlichen Plänen nachziehen.“

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Während das Aldi-Management betont, der Ausstiegsplan sei mit den Zulieferern abgesprochen, reagiert der Rheinische Landwirtschaftsverband eher barsch. „Wir fragen uns, woher Aldi in neun Jahren dieses Fleisch zu 100 Prozent herbekommen möchte“, sagte Sprecherin Andrea Hornfischer unserer Redaktion. Die Landwirte seien grundsätzlich bereit, ihre Ställe umzubauen. „Wir diskutieren seit Jahren darüber, woher das Geld für die gewünschten deutlich höheren Standards herkommen soll“, schränkt Hornfischer aber ein. Die Marken der Landwirte seien so gering, dass sie für die Investitionen kaum in Vorleistung treten könnten. Und die Verbandssprecherin kritisiert die langen Baugenehmigungsverfahren, an denen auch Aldi Kritik übt.

Auch Edeka und Rewe haben Pläne

Lob kommt indes der Initiative Tierwohl (ITW). „Wir begrüßen jedes Engagement, das wirksam ein Tierwohl-Plus bringt“, sagte ein Sprecher. Die ITW sei Deutschlands größtes Tierwohlprogramm, auf dessen Grundlage mehr Tierwohl in die Breite des Marktes gebracht werde. Ab 1. Juli sollen der Initiative zufolge Fleisch und Wurstprodukte der Haltungsform 1 weitgehend verschwinden.

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Denn nicht nur Aldi will Billigfleisch aus den Kühltheken nehmen. „Auch der Edeka-Verbund plant bereits, kurzfristig auf die Haltungsstufe 1 und längerfristig auf die Haltungsstufe 2 bei Frischfleisch zu verzichten“, teilt der Marktführer unter den Vollsortimentern auf Anfrage mit. Die konkreten Ziele wolle die Genossenschaft, zu der auch der Discounter Netto gehört, „aus Wettbewerbsgründen aktuell noch nicht nennen“.

Die Kölner Rewe Group will ihr abgepacktes Schweinefleisch im Juli auf die Haltungsstufe 2 mit etwas größeren Ställen umstellen. Eigenmarken-Geflügel erfülle bereits seit 2019 diese Kriterien. Bis Ende 2030 will Rewe nach eigenen Angaben ausschließlich Fleisch von Tieren, die draußen leben oder nach Bio-Kriterien aufgezogen wurden, verkaufen. Der Konzern verweist darauf, dass er an seinen Bedientheken bereits heute Fleisch aus der Region anbiete, das in NRW die Kriterien der Haltungsform 4 erfülle.

>>> Unterstützung vom Schlachter Tönnies

Europas größter Schlachtbetrieb, die Tönnies-Gruppe aus Rheda-Wiedenbrück, begrüßt, dass der Lebensmitteleinzelhandel mehr Tempo beim Tierwohl machen will. „Wir freuen uns darüber, dass der Handel auf Qualitätsfleisch made in Germany setzt und damit die Existenz der deutschen landwirtschaftlichen Familienbetriebe sichert“, sagt Maximilian Tönnies, Sohn des Mitinhabers Clemens Tönnies.

Nach eigenen Angaben ist die Tönnies-Gruppe inzwischen der „größte Anbieter für Schweinefleisch der Haltungsformen 3 und 4 in Deutschland“.

Clemens Tönnies appelliert nun aber auch an die Politik: „Der Mehraufwand der Landwirte muss vergütet werden und der Umbau von Ställen unbürokratisch und praxistauglich genehmigt werden.“