Rheda-Wiedenbrück. Aldi will Fleisch aus besserer Haltung verkaufen, doch der Umstieg fällt Bauern schwer. Aldi und Tönnies fordern Hilfe von der neuen Regierung.
Viel zu neugierig sind die Schweine, um uns ihren Lieblingsplatz zu verraten: drinnen auf dem beheizten Fußboden oder draußen an der frischen Luft. Denn jetzt gerade stürmen sie immer dorthin, wo die prominenten Besucher gerade sind: Fleischunternehmer Clemens Tönnies, Aldi-Manager Tobias Heinbockel und der frühere Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) begutachten die Tiere von Bauer Christoph Bühlmeyer. Sein Stall genügt den Anforderungen der Haltungsstufe 3, die Aldi bis 2030 zum neuen Mindeststandard für Frischfleisch erheben will.
Die Schweine haben zwei etwa gleich große Bereiche im Stall und in einer nach außen hin offenen Box. Sie folgen dem Tross von draußen nach drinnen – und umgekehrt. Der typische, süßlich-strenge Geruch ist allgegenwärtig – aber im Vergleich zu einem geschlossenen Stall deutlich dezenter. Die in der dritten von vier Haltungsstufen geforderte Frischluft durchzieht auch den inneren Stallbereich. Laut Bühlmeyer mindert auch die Trennung von Kot und Urin den Geruch – der trockene Kot wird in der hofeigenen Biogasanlage verfeuert, die den gesamten Betrieb mit Wärme und Strom versorgt.
Die Hälfte der 600 Schweine kommt bald zum Schlachthof Tönnies
600 Schweine leben hier, 300 aber nicht mehr lange – sie haben ihr Schlachtgewicht von rund 120 Kilogramm erreicht und werden in den nächsten Tagen nicht weit von hier in Deutschlands größtem Schlachthof enden. Dann rücken die 300 Jungschweine nach und machen Platz für die neuen Ferkel, die Bühlmeyer von einem Züchter aus der Region bezieht. Der Schweinewirt aus Rheda-Wiedenbrück hat noch eine Genehmigung für einen weiteren Stall, lässt sie angesichts der aktuell explodierenden Baupreise aber bis auf weiteres liegen. Und mästet weiterhin auch 1300 Schweine in der niedrigeren Haltungsstufe 2.
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So wie Bühlmeyer zögern derzeit viele. Er höre immer wieder von Landwirten, die bereits Baugenehmigungen für neue Ställe haben und trotzdem zögern, weil sie nicht sicher sind, welche Haltungsform sie wählen sollen, sagt Tobias Heinbockel, der Chefeinkäufer bei Aldi Nord. Deutschlands größter Discounter unterstützt die Forderung der Bauern an die neue Bundesregierung, schnell für langfristige Rahmenbedingungen zu sorgen. „Was Landwirte brauchen, sind unter anderem schnelle Baugenehmigungen und verlässliche Finanzierungs-Mechanismen, die alle Absatzkanäle einschließen“, sagt Heinbockel. „Das Geld muss auf den Höfen ankommen, um die Umstellung der Haltung und damit mehr Tierwohl anzuschieben.“
Ampel soll Vorschläge der Borchert-Kommission umsetzen
Darin und auch über das Wie ist sich die Runde einig, die Bühlmeyers 2018 gebauten Stall besichtigt. Nicht ganz zufällig ist auch Jochen Borchert gekommen. Die nach ihm benannte Kommission aus Politikern, Branchenvertretern und Tierschützern etwa des BUND hatte bereits Anfang 2020 Empfehlungen für mehr Tierwohl im Schweine-, Kuh- und Hühnerstall abgegeben. Kern sind sowohl Investitionshilfen als auch ein Ausgleich der höheren laufenden Kosten zu 80 bis 90 Prozent. Die Kommission sieht einen Förderbedarf, der bis 2040 von 1,2 auf 3,6 Milliarden Euro jährlich steigt.
Da Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) die Empfehlungen der von ihr selbst eingesetzten Kommission nicht umgesetzt hat, fordern Landwirte, Fleischindustrie und Handel nun die mögliche Ampel-Koalition auf, dies nachzuholen. „Sonst erleben wir das Ende der Nutztierhaltung in Deutschland“, prophezeit Borchert. Er stehe mit allen Parteien in Kontakt, sagt er. Ob und wie eine Ampel agiere, sei noch offen, er hoffe, „dass sie zu einer vernünftigen, umsetzbaren Lösung finden“.
Tönnies: Viele Mastbetriebe geben auf
Aldis Großlieferant Tönnies sieht den Umstieg auf bessere Haltungsformen in Deutschland „am seidenen Faden, viele schmeißen hin“. Clemens Tönnies betont, neben finanzieller Förderung müssten auch die Baugesetze geändert werden. Denn um mehr Platz zu schaffen, müssen die Ställe vergrößert werden, was vielerorts etwa wegen der Nähe zu Wohnbebauung nach aktuellem Recht gar nicht geht.
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Die Runde nickt. Dass sich alle in der Kette vom Erzeuger über den Schlachter bis zum Händler einig sind, ist alles andere als selbstverständlich. Der Preisdruck der mächtigen Vier – Aldi, Lidl, Rewe und Edeka – führt immer wieder zu Bauern-Protesten. Auch Schlachtunternehmer Tönnies forderte 2019: „Stoppt diesen Preiskrieg“, den er für die schwierige Lage der Mastbetriebe verantwortlich machte und noch heute als größte Bremse für mehr Tierwohl ansieht: „Das Geld muss irgendwo herkommen“, sagt er. Wie viel das wäre, hat die Borchert-Kommission ausgerechnet: 35 Euro pro Jahr würde die empfohlene Tierwohl-Abgabe jeden Verbraucher kosten.
Schweinepreis fiel von über zwei auf 1,25 Euro je Kilo
Aktuell leiden Ferkelzüchter und Mastbetriebe unter dem Schweinepreis-Verfall im Zuge der Corona-Pandemie von über zwei Euro auf derzeit 1,25 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht. Zuerst sorgten die Schließungen der Schlachthöfe von Tönnies und Westfleisch für Staus in den Ställen, dann drückte der Exportstopp wegen der Afrikanischen Schweinepest und der sinkende Fleischkonsum in Deutschland die Preise. Im ersten Halbjahr gaben bundesweit rund 600 Mastbetriebe auf, in NRW traf es fast vier Prozent aller Schweinewirte.
„Die Preise haben sich seit 25 Jahren kaum verändert, das muss man sich mal vorstellen“, sagt Bauer Bühlmeyer. Ums Schweinefleisch hat die Inflation einen weiten Bogen gemacht, nicht aber um die Futterpreise, die seien aktuell „so hoch wie noch nie“. Die Verbraucher habe es jahrzehntelang nicht interessiert, wo ihr Fleisch herkommt und wie es produziert wird.
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Doch genau das hat sich laut Aldi geändert. Der Discounter folgte den Kundenwünschen, als er im Juni als erster der großen Vier ankündigte, bis zum Jahr 2030 nur noch Frischfleisch der Haltungsstufen 3 und 4 verkaufen zu wollen. Diese Stufen hat sich der Handel selbst gegeben – Rewe, Edeka, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) und Aldi gaben sich 2019 ein einheitliches Siegel, weil sie nicht länger auf das staatliche Tierwohllabel warten wollten. Auch die Aldi-Konkurrenten wollen die höheren Haltungsstufen etablieren.
Haltungsstufe 1 entspricht den gesetzlichen Mindeststandards, die etwa für ein Schwein 0,75 Quadratmeter Platz vorsehen. In Stufe 2 haben sie ein paar Quadratzentimeter mehr Platz, in Stufe 3 sind es dann 1,05 Quadratmeter, hinzu kommen Frischluftzugang, mehr Spielzeug und der Verzicht auf genveränderte Futtermittel, weshalb Bauer Bühlmeyer kein Soja mehr aus Südamerika verfüttert, als Eiweißlieferanten dienen ihm europäisches Soja aus dem Donaugürtel, Erbsen und Rapsschrot. Haltungsstufe 4 entspricht den europäischen Biostandards.
Aldi denkt an längere Laufzeiten und Zuschläge für bessere Haltung
Aldi fordert also bessere Haltungsbedingungen und von der Bundesregierung, das zu finanzieren. Doch was tut der Discountriese selbst, um seinen Vorstoß auch mit Fleisch aus Deutschland umsetzen zu können? „Wir sichern verlässliche, inländische Rahmen- und Abnahmebedingungen über Jahre hinaus zu und suchen mit unseren Lieferanten dafür sehr individuell nach Lösungen und reden darüber, wie das machbar ist“, sagt Heinbockel, „dazu könnten in Zukunft auch längere Laufzeiten für Abnahmepreise in Mehrwertprogrammen für höhere Haltungsformen zählen“. Wie viel teurer es werden darf, vermag er nicht abzuschätzen, betont gleichwohl, den Anspruch der Preisführerschaft nicht aufzugeben: „Wir stehen für unsere Kunden zum Aldi-Preis, das gehört zu unserer DNA.“