Duisburg/Essen. Thyssenkrupp will bei den Impfungen gegen Corona mithelfen. Stahlvorstand Grolms warnt vor einer „gefährlichen Phase“ der Pandemie.
Thyssenkrupp bietet der Stadt Duisburg Unterstützung bei den Impfungen gegen Corona an. „Wir würden gerne früher als später beim Impfen mithelfen“, sagte Markus Grolms, Personalvorstand von Thyssenkrupp Steel, im Interview mit unserer Redaktion. „Wenn genügend Impfstoff da ist, wären wir sicherlich in der Lage, hier zu unterstützen, zum Beispiel in Duisburg-Hamborn oder auch an anderen Orten. Das haben wir auch der Stadt Duisburg signalisiert.“ In der „aktuell gefährlichen Phase“ gehe es darum, „Zeit zu gewinnen, ohne dass die Lage außer Kontrolle gerät“, sagte Grolms. „Ein Blick auf die Intensivstationen im Land zeigt doch, dass eine Katastrophe auf uns zurollt, wenn wir jetzt nicht konsequent handeln.“ Hier lesen Sie das Interview im Wortlaut:
Herr Grolms, mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Coronavirus-Pandemie rollt eine Infektionswelle über das Land. Ist das Risiko kollektiv unterschätzt worden?
Grolms: Ich kann nur für unser Unternehmen sprechen. Wir haben nie über Lockerungen diskutiert, auch nicht im Sommer bei rückläufigen Infektionszahlen, sondern nur zusätzliche Vorkehrungen zum Infektionsschutz getroffen. Wir wollten uns nicht einlullen lassen. Die wissenschaftliche Erkenntnislage war doch eindeutig: Das Virus wird bleiben und verändert sich nicht zum Guten. Es war auch klar erkennbar, dass es eine weitere Welle von Infektionen geben würde. Also haben wir jede einzelne Maßnahme, von der wir irgendwann mal fanden, dass sie sinnvoll ist, beibehalten und dort, wo es möglich war, draufgesattelt.
Hat sich der Infektionsschutz im Unternehmen denn wirklich verbessert in den vergangenen Monaten?
Grolms: Wir hatten alle kein Drehbuch für ein Horrorszenario wie dieses und mussten immer wieder auf Basis einer unvollständigen und dynamischen Faktenlage schnell entscheiden. Trotzdem haben wir es geschafft, die Situation unter Kontrolle zu halten. Im Mai haben wir zwischenzeitlich selbst Desinfektionsmittel hergestellt.
Die Stofflappen als Mund-Nasen-Schutz haben wir ganz schnell aus dem Verkehr gezogen und auf OP-Masken und den FFP2-Standard umgestellt. Schon im Herbst haben wir Schnelltests für unsere Mitarbeitenden angeboten. Wer zum Beispiel Halsschmerzen hat und auf Nummer sicher gehen will, kann seitdem zum betriebsärztlichen Dienst gehen und sich testen lassen. Jetzt kommen die Selbsttests für Zuhause hinzu.
Wollen Sie mit den Tests Lockerungen vorbereiten?
Grolms: Darum geht es nicht. Es geht in der aktuell gefährlichen Phase mit steigenden Infektionszahlen darum, Zeit zu gewinnen, ohne dass die Lage außer Kontrolle gerät. Die Tests sind eine Art Nothilfe, bevor es richtig mit den Impfungen losgeht. In einem ersten Schritt stellen wir unseren Beschäftigten bei Thyssenkrupp Steel jeweils fünf Selbsttests zur Verfügung. Wir organisieren gerade, dass weitere Tests für die kommenden Wochen hinzukommen.
Heißt das auch: Sie rechnen damit, dass flächendeckende Impfungen für die Belegschaft erst in einigen Monaten kommen?
Grolms: Wir würden gerne früher als später beim Impfen mithelfen. Wenn genügend Impfstoff da ist, wären wir sicherlich in der Lage, hier zu unterstützen, zum Beispiel in Duisburg-Hamborn oder auch an anderen Orten. Das haben wir auch der Stadt Duisburg signalisiert.
Auch interessant
Dürfen die Thyssenkrupp-Beschäftigten die Selbsttests auf Konzernkosten auch einsetzen, um sich beispielsweise vor privaten Treffen abzusichern?
Grolms: Natürlich geht es insbesondere um den Infektionsschutz im Betrieb. Aber wir wissen, dass gerade im Privatleben Infektionsketten entstehen. Das wollen wir verhindern. Daher haben wir unseren Leuten schon vor Monaten FFP2-Masken nach Hause geschickt – ausdrücklich nicht nur für die Arbeit, sondern auch für den privaten Gebrauch. Wenn wir den Leuten helfen, dass sie sich nicht beim familiären Treffen oder beim Einkaufen anstecken, tun wir auch etwas für den Infektionsschutz am Arbeitsplatz.
Was halten Sie von einer gesetzlichen Testpflicht im Betrieb?
Grolms: Wenig. Unsere Anstrengungen zeigen, dass wir nicht dazu aufgefordert werden müssen, konsequent zu handeln. Wir haben auch im Sommer nicht die Kantinen aufgemacht, und auch niemanden aus dem Homeoffice rausgelassen. Ich würde mir wünschen, dass die Politik besser versteht, dass die Wirtschaft eine große Ressource ist, um die Pandemie zu bewältigen. Wir tun alles, was uns einfällt, um die Ausbreitung von Corona einzudämmen. Bei uns waren in den vergangenen Monaten konstant 3500 Menschen im Homeoffice. Das ist am obersten Ende dessen, was möglich ist. Wir sprechen übrigens nicht von Homeoffice, sondern von Pandemie-Office, weil wir Respekt davor haben, was die Situation für die Menschen bedeutet. Viele würden gerne zurück ins Büro, weil es zu Hause eng ist. Wir sagen trotzdem: Durchhalten, Leute.
Auch interessant
Können Sie überhaupt in ausreichender Zahl Corona-Tests erwerben?
Grolms: Das ist in der Tat eine Herausforderung. Wir werden allein für Thyssenkrupp Steel für die nächsten Wochen um die 300.000 Tests brauchen, die wir bei zertifizierten Großhändlern kaufen wollen. Wir sind zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird.
In der Stadt Duisburg, also an Ihrem größten Standort, sind die Corona-Zahlen vergleichsweise hoch. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Grolms: Um die Hütte herum leben viele Menschen, die nicht zu den Privilegierten in unserer Gesellschaft gehören. Leider trifft diese Menschen die Pandemie besonders hart. Uns ist es bislang gelungen, Infektionsketten im Unternehmen zu vermeiden. Bislang sind wir durch die Pandemie gekommen, ohne dass aufgrund von Corona eine Schicht ausgefallen ist.
Wie viele Beschäftigte von Thyssenkrupp Steel haben derzeit eine Corona-Infektion?
Grolms: Bezogen auf unsere rund 27.000 Mitarbeitenden haben wir aktuell etwas mehr als 40 Corona-Infizierte. Seit Ausbruch der Pandemie sind zwei Kollegen an oder mit dem Virus gestorben. Mit unseren Infektionszahlen haben wir uns lange Zeit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt bewegt, mittlerweile nähern sich die Werte an. Wir gehen offen mit den Infektionszahlen um. Zum einen möchten wir wissen, ob unsere Anstrengungen zum Infektionsschutz erfolgreich sind. Zum anderen sollen unsere Leute auch sehen, dass Corona eine ernste Gefahr ist.
Haben Sie Corona-Leugner im Betrieb?
Grolms: Wir sind ein Spiegel der Gesellschaft: Der überwiegende Teil unserer Leute nimmt Corona absolut ernst und hält sich an die Regeln. Es gibt aber auch Ausreißer. Mit denen kommen wir auch ins Gespräch.
Auch interessant
In den Bilanzen der Unternehmen tauchen die Corona-Infizierten nicht auf. Warum eigentlich nicht?
Grolms: Gute Frage. Bei uns liegt es jedenfalls nicht daran, dass wir etwas verbergen wollen. Wir erstellen jeden Tag einen Bericht, in dem steht, wie viele Fälle es gibt und gab.
Befürchten die Unternehmen, dass Sie an den Pranger gestellt werden wie vor einigen Monaten der Fleischunternehmer Tönnies?
Grolms: Das mag sein. Aber Tönnies ist ja auch nicht für die Corona-Fälle an sich kritisiert worden, sondern für einzelne Umstände, unter denen es den Ausbruch gab. Wir haben uns jedenfalls sehr bewusst für Transparenz entschieden. Das ist eine Grundsatzfrage, die letztlich Vertrauen schafft. Und ohne Vertrauen kommen Sie nicht weiter.
Ist Ihnen stets bekannt, welcher Mitarbeiter eine Corona-Infektion hat oder hatte?
Grolms: Ich kenne die Zahl der Erkrankten, nicht einzelne Namen. Das Infektionsschutzgesetz regelt die Vorgehensweise. Infizierte Mitarbeitende müssen sich zunächst beim Gesundheitsamt melden, das dann die weiteren Schritte unternimmt, um die Infektionsketten nachzuvollziehen. Natürlich kümmern wir uns dann um diese Kolleginnen und Kollegen. Wir bieten zum Beispiel allen an, sich bei unseren Betriebsärzten auf Folgeschäden untersuchen zu lassen – bei einem sogenannten „Post-Corona-Checkup“. In einer gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern entwickelten „Gesamtbetriebsvereinbarung Pandemie“ haben wir die Grundsätze festgelegt, wie wir den Alltag mit Corona im Betrieb organisieren möchten.
Im Frühjahr standen unter anderem Autofabriken still, um die Pandemie zu bekämpfen. Warum ging die Arbeit im Stahlwerk weiter?
Grolms: Wir müssen unter allen Umständen sicherstellen, dass die Anlagen laufen. Wir können unsere Hochöfen nicht einfach ausschalten. Die Folge wären erhebliche technische Schäden. Und wenn wir den Hochofen weiterbetreiben, muss auch die Weiterverarbeitung laufen. Wir können nicht einen Eiffelturm aus Brammen auf Halde stapeln.
Auch interessant
Sprechen Sie sich für einen harten Lockdown aus?
Grolms: Natürlich müssen wir dagegenhalten, wenn sich Corona ausbreitet. Ifo-Chef Clemens Fuest hat Recht: Nicht die Maßnahmen verursachen den Schaden, sondern das Virus. Was mich persönlich kirre macht: Es gibt wenige Themen in der öffentlichen Diskussion, bei der eine so starke wissenschaftliche Faktenbasis existiert wie bei Corona. Gleichzeitig gibt es kaum Themen, bei denen sich der gesellschaftliche Diskurs immer wieder so weit von den Fakten entfernt hat. Ein Blick auf die Intensivstationen im Land zeigt doch, dass eine Katastrophe auf uns zurollt, wenn wir jetzt nicht konsequent handeln.
Den Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel ist viel zugemutet worden in den vergangenen Monaten. Geht das so weiter?
Grolms: Unsere Leute mussten und müssen viel aushalten. Ich kann viele Sachen nicht für sie tun, die ich gerne für sie tun würde. Vor allem kann ich ihnen nicht alle Zukunftssorgen nehmen, auch wenn wir beim Stahl jetzt einen klaren Kurs fahren. Deswegen ist mir aber besonders wichtig, dass wir beim Thema Corona alles tun, was geht. Wir werden jedenfalls nicht an der falschen Stelle sparen. Und eines ist mir wichtig: Bei der Bekämpfung der Pandemie ziehen wirklich alle mit. Das beeindruckt mich sehr.