Duisburg/Essen. Thyssenkrupp-Betriebsrat Nasikkol im Interview: Er berichtet von Stahlwerken, die auf der Kippe standen – und geht auf die Abspaltungspläne ein.

Weiterer Stellenabbau, Outsourcing-Pläne und Vorbereitungen für eine Herauslösung der Stahlsparte aus dem Thyssenkrupp-Konzern: Einmal mehr steht bei Thyssenkrupp Steel viel auf dem Spiel. Nach einem Beschluss zum Abbau weiterer 750 Arbeitsplätze sieht Stahl-Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol keinen Spielraum mehr für weiteren Stellenabbau. „Das Ende der Fahnenstange ist jetzt erreicht“, sagt Nasikkol in unserem Interview. Nasikkol warnt den Thyssenkrupp-Vorstand vor einer Billig-Lösung bei einer möglichen Abspaltung der Stahlsparte. „Was wir nicht mitmachen, ist ein Versuch, den Stahl möglichst billig loszuwerden. Dann gibt es Widerstand – und zwar heftigen.“ Hier das Interview mit Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp Steel, im Wortlaut:

Herr Nasikkol, sind Sie Thyssenkrupp-Vorstandschefin Merz dankbar dafür, dass sie die Stahlsparte nicht an Liberty verkauft?

Nasikkol: Wir sind nicht überrascht über die Absage an Liberty, aber wir sind verwundert darüber, dass es für diese Erkenntnis so lange gebraucht hat. Es ist doch der Hammer, dass die einzige Bank, die Liberty finanziert, die Greensill Bank, vor ein paar Tagen Insolvenz anmelden musste. Ich bin froh, dass wir immer kritisch waren. Wenn wir nicht den Finger in die Wunde gelegt hätten, wären wir inzwischen vielleicht längst böse überrascht worden.

Nun kommt zwar kein Verkauf, aber der Abbau von 750 Arbeitsplätzen zusätzlich zu den bekannten 3000 Stellen. Warum stimmt die IG Metall dem zu?

Nasikkol: Wir haben gesagt, dass wir nach der Freigabe der Investitionen bereit sind, über die finanzielle Lücke zu reden, die durch die Corona-Krise gerissen worden ist. Aber die Corona-Lücke ist das eine. Der Vorstand wollte die Situation nutzen, mal so richtig den Hammer rauszuholen.

Wie meinen Sie das?

Nasikkol: Wo bitte ist der Zusammenhang zwischen Corona und dem vom Management geforderten Outsourcing von nahezu 3000 Kolleginnen und Kollegen oder weiteren Standortschließungen mit massivem Personalabbau? Außerdem hat das Management in einem WAZ-Interview und nicht nur dort auch noch die Beschäftigungssicherung infrage gestellt. Mit der Basisvereinbarung haben wir deswegen Eckpfeiler gesetzt und erreicht, dass der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen erhalten bleibt und kein Outsourcing in der ursprünglich vom Vorstand geplanten Art und Weise stattfinden wird.

Sie sagen, es sollten zusätzlich Standorte geschlossen werden. Von welchen Werken reden Sie?

Nasikkol: Unter einem sogenannten „Full Potential Plan“ wurden die Schließungen von Bochum und Siegen diskutiert. Das haben wir nicht zugelassen.

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In welchen Bereichen arbeiten die 3000 Beschäftigten, deren Outsourcing diskutiert worden ist. Geht es, wie zu hören ist, um die Logistik und den Service bei Thyssenkrupp Steel?

Nasikkol: Das geplante Billig-Outsourcing von 3000 Beschäftigten wird jetzt nicht mehr diskutiert. Um das klarzustellen: Das kam für uns niemals infrage. Für uns galt immer: besser statt billiger. Indem jetzt die IG Metall-Eckpunkte Grundlage für einen Tarifvertrag sind, haben wir uns durchgesetzt.

Auf eine Sparrunde ist bei Thyssenkrupp Steel zuletzt recht schnell eine weitere gefolgt. Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass es nicht so weitergeht?

Nasikkol: Zunächst einmal: Für uns war wichtig, dass weiterhin betriebsbedingte Kündigungen bis März 2026 ausgeschlossen sind und der Personalabbau sozialverträglich stattfindet. Und eines ist auch klar: Das Ende der Fahnenstange ist jetzt erreicht. Punkt.

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Es soll insbesondere in der Verwaltung des Konzerns gespart werden. Können Sie das nachvollziehen?

Nasikkol: Es ist uns gelungen, den zusätzlichen Abbau auf 750 Stellen in der Verwaltung und der produktionsnahen Verwaltung zu begrenzen. Den schlimmsten Kahlschlag haben wir verhindert.

Sie haben einer Basisvereinbarung zugestimmt. Wirklich zufrieden klingen Sie aber nicht.

Nasikkol: Wirklich zufrieden wäre ich, wenn wir nur Positives zu verkünden hätten. Ich bin aber froh, dass wir zusammen mit der IG Metall dem Vorstand Grenzen gesetzt haben. Auch für die jetzige Freigabe von Investitionen in Höhe von rund 800 Millionen Euro für unsere Werke mussten wir etliche Widerstände beseitigen. Das ist uns gelungen. Wir haben uns erfolgreich für den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen eingesetzt. Außerdem haben wir gegen Lohndumping durch Billig-Outsourcing gekämpft und gewonnen.

Die nächsten Verhandlungen stehen bevor. Thyssenkrupp-Chefin Merz will den Stahl vom Mutterkonzern abtrennen und in die Selbstständigkeit führen. Kann das funktionieren?

Nasikkol: Wir haben kein Problem damit, bei Thyssenkrupp zu bleiben, und wir haben auch kein Problem mit der Idee der Eigenständigkeit. Wir wollen da sein, wo die besten Perspektiven für die Menschen und Arbeitsplätze sind. Was wir nicht mitmachen, ist ein Versuch, den Stahl möglichst billig loszuwerden. Dann gibt es Widerstand – und zwar heftigen. Wenn irgendeiner auf die Idee kommt, die Belegschaft müsse für die Verselbstständigung vom Stahl zahlen, werden wird dagegenhalten.

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Befürworten Sie eine Abspaltung der Stahlsparte von Thyssenkrupp?

Nasikkol: Eine Eigenständigkeit des Stahls ist denkbar und machbar. Der Plan wird aber schiefgehen, wenn der Konzern seine Kasse schonen will und uns mit mickriger finanzieller Ausstattung loswerden will. Bildlich gesprochen: Wir brauchen kein Clubschiff mit All-in-Bändchen, aber wir segeln auch nicht ohne Proviant und ohne Trinkwasser an Bord los. Trotzdem braucht es eine klare und sichere Perspektive für alle Beschäftigten bei Thyssenkrupp. Darum geht es.

NRW-Ministerpräsident Laschet bleibt bei seinem Nein zu einem Einstieg des Staates bei der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Ist eine Abspaltung ohne staatliche Hilfe überhaupt möglich angesichts hoher Pensionslasten und milliardenschwerer Investitionen, die für die Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff anstehen?

Nasikkol: An unserer Forderung nach staatlicher Unterstützung hat sich nichts geändert. Wenn der Ministerpräsident die nordrhein-westfälische Stahlindustrie zurecht als systemrelevant definiert, dann werden wir ihn an seinen Worten messen.