Essen. Jahresbilanz bei Thyssenkrupp: Der Konzern verbucht millionenschwere Verluste. Hunderte Arbeitsplätze in der Essener Zentrale fallen weg.

Thyssenkrupp in der Krise: Der Essener Stahl- und Industriegüterkonzern hat im abgelaufenen Geschäftsjahr millionenschwere Verluste verbucht. Auch für die nächste Jahresbilanz erwartet Thyssenkrupp abermals tiefrote Zahlen. Der Fehlbetrag werde sogar noch „deutlich höher“ ausfallen als im nun vorgelegten Geschäftsbericht – unter anderem aufgrund der Kosten für die Sanierung. In der Essener Konzernzentrale steht jetzt ein heftiger Arbeitsplatzabbau bevor.

Unter dem Strich verbuchte Thyssenkrupp in der Bilanz für 2018/2019 einen Fehlbetrag in Höhe von 260 Millionen Euro, wie das Unternehmen am Donnerstagmorgen vor Beginn der Bilanzpressekonferenz in Essen mitteilte. Im Jahr zuvor war Unternehmensangaben zufolge bereits ein Verlust von 12 Millionen Euro entstanden.

Erstmal legt Martina Merz bei Thyssenkrupp die Bilanz vor

Erstmals legt die neue Vorstandschefin Martina Merz die Zahlen vor. Die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende hat Anfang Oktober überraschend Guido Kerkhoff an der Spitze des Thyssenkrupp-Vorstands abgelöst.

Angesichts der schwierigen Situation des Ruhrkonzerns sollen auch die Aktionäre leer ausgehen. Vorstand und Aufsichtsrat von Thyssenkrupp schlagen vor, für das Geschäftsjahr 2018/2019 auf eine Dividende zu verzichten. Dies muss bei der für den 31. Januar 2020 geplanten Hauptversammlung in Bochum noch abgesegnet werden. Im Jahr zuvor hatte es immerhin noch magere 15 Cent je Aktie für die Anteilseigner gegeben, darunter die traditionsreiche Essener Krupp-Stiftung und der Finanzinvestor Cevian.

Martina Merz ist seit Anfang Oktober Vorstandschefin von Thyssenkrupp.
Martina Merz ist seit Anfang Oktober Vorstandschefin von Thyssenkrupp. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

Oberstes Ziel des Unternehmens sei, die Leistungsfähigkeit zu steigern, betont die neue Vorstandschefin Martina Merz bei der Bilanzvorlage. „Wir drehen gerade jeden Stein im Unternehmen um“, sagt sie. Es gebe zwar Konzernunternehmen, die „zu den besten ihrer Branchen“ gehörten. „Das darf aber nicht über den dringenden Handlungsbedarf hinwegtäuschen, den wir in anderen Geschäften sehen.“

Massiver Stellenabbau in der Essener Konzernzentrale

Auch viele Beschäftigte in der Essener Konzernzentrale von Thyssenkrupp müssen sich auf Einschnitte gefasst machen. Hunderte Mitarbeiter, die mit sogenannten „zentralen Funktionen“ befasst sind, sollen ihren Job verlieren. Es steht nahezu eine Halbierung der Stellenzahl an. „Die Anzahl der knapp 800 Mitarbeitenden wird hier auf zirka 430 in den kommenden zwölf Monaten reduziert“, heißt es in einer Mitteilung des Konzerns zur Jahresbilanz.

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Im automobilen Anlagenbau von Thyssenkrupp soll etwa jeder fünfte Arbeitsplatz wegfallen. Rund 640 der 3500 Jobs werden Konzernangaben zufolge hierzulande abgebaut. Die Sparte System Engineering stellt Produktionsanlagen für die Automobilindustrie her.

Stahlvorstand arbeitet an „Zukunftskonzept“

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Wie es in der wichtigen Stahlsparte mit großen Werken in Duisburg, Bochum und Dortmund weitergeht, ist noch offen. Die Sparte ist nach der Absage der monatelang geplanten Fusion mit dem europäischen Ableger des indischen Konzerns Tata massiv unter Druck geraten. „Ziel ist es, dem Stahl eine langfristige Perspektive zu geben“, wird in der Mitteilung von Thyssenkrupp betont. „Hierzu arbeitet der Stahlvorstand derzeit an einem Zukunftskonzept.“ Dieses soll im Dezember zunächst im Stahl-Aufsichtsrat vorgestellt und mit den Betriebsräten und der IG Metall besprochen werden.

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Thyssenkrupp hatte bereits den konzernweiten Abbau von 6000 Arbeitsplätzen angekündigt, 2000 davon in der Stahlsparte. In den Hochöfen und Weiterverarbeitungswerken wirkt sich insbesondere eine rückläufige Nachfrage aus der Automobilindustrie negativ aus.

Für Aufzug-Sparte werden „alle Optionen“ geprüft

Auch in der Thyssenkrupp-Anlagenbausparte Industrial Solutions stehen Veränderungen an. Die Konzernleitung lotet Möglichkeiten für Partnerschaften mit Wettbewerbern und Verkäufe von Geschäftsaktivitäten aus.

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Damit Geld in die Konzernkasse kommt, erwägt Thyssenkrupp, sich teilweise oder sogar ganz vom lukrativen Aufzug-Geschäft mit rund 50.000 Beschäftigten zu trennen. Ein Börsengang der Sparte Elevator gilt ebenso als Option wie ein Verkauf an Finanzinvestoren oder den finnischen Konzern Kone. Der Bereich Elevator ist allerdings aktuell der größte Gewinnbringer von Thyssenkrupp. Derzeit würden „alle Optionen“ geprüft, heißt es in der Mitteilung des Konzerns. Eine Entscheidung dazu, wie es weitergeht, soll relativ bald in den nächsten Monaten fallen.

Verschuldung von Thyssenkrupp spürbar gestiegen

„Die Zeit drängt“, betont Investment-Experte Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka. „Eine hohe Verschuldung und niedrige Erträge sind eine toxische Mischung.“

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In den zurückliegenden Monaten hat Thyssenkrupp erneut deutlich mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Die Verschuldung des Konzerns stieg spürbar an. Zum Bilanzstichtag 30. September 2019 lagen die Netto-Finanzschulden von Thyssenkrupp bei 3,7 Milliarden Euro, im Vorjahr waren es noch 2,4 Milliarden Euro. Unter Berücksichtigung der freien Liquidität von 7,3 Milliarden Euro sowie einer „ausgewogenen Fälligkeitsstruktur“ sei der Konzern aber „weiterhin solide finanziert“, hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens.

Dass Thyssenkrupp für das laufende Geschäftsjahr mit einem Anstieg der Verluste rechnet, hat maßgeblich mit der anstehenden Sanierung zu tun. Für „deutlich höhere Auszahlungen für Restrukturierungen“ plant die Konzernleitung eine „mittlere dreistellige“ Millionensumme ein.