Essen. Vor der Thyssenkrupp-Bilanz ist die Spannung groß. Deka-Manager Ingo Speich warnt in unserem Interview vor einer „toxischen Mischung“ im Konzern.
Erstmals legt Martina Merz am Donnerstag als neue Vorstandschefin die Jahresbilanz von Thyssenkrupp vor. Die Spannung ist groß, der Traditionskonzern ist angeschlagen. Wie es weitergeht, ist unklar.
„Aktuell ist Thyssenkrupp eine Großbaustelle, das Unternehmen bietet aber auch Chancen“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance der Sparkassen-Gesellschaft Deka Investment. Es sei „dringend erforderlich“, den Konzern „auf eine solide Basis“ zu stellen, mahnt Speich und fügt hinzu: „Eine hohe Verschuldung und niedrige Erträge sind eine toxische Mischung.“ In unserem Interview sagt der Deka-Manager auch, was er von einem Verkauf der Aufzug-Sparte an den finnischen Konzern Kone hält und warum Thyssenkrupp aus seiner Sicht einen „neuen Strategieplan“ benötigt.
Herr Speich, was erwarten Sie von der neuen Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz?
Speich: Es richtig, dass mit Martina Merz eine Managerin von außen die Chefposition übernommen hat. Ihr Vorgänger Guido Kerkhoff hat zu viele Strategieschwenks innerhalb kurzer Zeit hingelegt. Das hat seine Glaubwürdigkeit am Kapitalmarkt enorm beschädigt. Entsprechend litt der Aktienkurs. Der Wechsel an der Spitze von Thyssenkrupp war notwendig, um einen Neuanfang zu ermöglichen. Entscheidend ist, dass Frau Merz schnell Ergebnisse liefert.
Es zeichnet sich ab, dass sich Thyssenkrupp teilweise oder ganz von der Aufzug-Sparte mit rund 50.000 Beschäftigten trennt. Ist es eine gute Idee, den größten Gewinnbringer abzugeben?
Speich: Es ist plausibel, eine Trennung von der Aufzug-Sparte zu prüfen. Dringend erforderlich ist der Abbau der Schulden und den Konzern auf eine solide Basis zu stellen. Leider ist in den vergangenen Jahren viel Geld
verbrannt worden. Entsprechend groß ist nun der Kapitalbedarf. Es muss etwas geschehen, bevor es zum nächsten Konjunktureinbruch kommt. Eine hohe Verschuldung und niedrige Erträge sind eine toxische Mischung.
Neben einem Börsengang gilt eine Übernahme der Aufzug-Sparte durch den finnischen Konkurrenten Kone als ein mögliches Szenario. Welcher Plan ist der beste?
Speich: Das muss das Management von Thyssenkrupp beurteilen. Aus industrieller Sicht ergibt ein Zusammenschluss von Thyssenkrupp und Kone Sinn. Die Aufzug-Geschäfte passen wie Puzzleteile zusammen. Das würde sich bei einer Übernahme in einer recht hohen Bewertung niederschlagen. Analysten halten es für möglich, dass Kone bis zu 21 Milliarden Euro für eine Übernahme zahlen könnte. Egal, ob es einen Börsengang oder einen Verkauf der Aufzug-Sparte gibt: Der Erlös für Thyssenkrupp muss möglichst hoch sein.
Sollte Thyssenkrupp weiterhin an der Aufzug-Sparte beteiligt bleiben?
Speich: Ich plädiere für einen klaren Schnitt, damit das Unternehmen danach nach vorne schauen kann.
Aber die Sparten, die bleiben, stehen arg unter Druck, darunter die Geschäfte mit Stahl, Autokomponenten und Industrieanlagen. Sie bringen derzeit kaum Gewinne in die Konzernkasse.
Speich: Stimmt. Das schmälert die Chancen für einen Komplettverkauf der Aufzug-Sparte. Denkbar wäre allerdings auch ein Mehrstufenplan: In einem ersten Schritt trennt sich Thyssenkrupp von einem bestimmten Aktienpaket – mit der Option, in zwei oder drei Jahren weitere Anteile abzugeben.
Obwohl eine neue Chefin an der Konzernspitze steht, hat sich die Strategie von Thyssenkrupp bisher nicht geändert. Können Sie das nachvollziehen?
Speich: Wenn Klarheit für die Aufzug-Sparte besteht, muss ein neuer Strategieplan her. Sofern der Stahl das alte und neue Kerngeschäft ist, sollte in diesem Bereich eine Wachstumsperspektive erkennbar sein. Es werden ja regelmäßig Varianten für Zusammenschlüsse in Deutschland diskutiert. Mich würde es nicht wundern, wenn entsprechende Gespräche wieder an Fahrt aufnehmen. Ich bin mir sicher: In fünf Jahren wird Thyssenkrupp ganz anders aussehen als heute.
Wird Martina Merz über das bislang vereinbarte Jahr Thyssenkrupp-Chefin bleiben?
Speich: Wenn es gut läuft, könnte ich mir gut vorstellen, dass sie länger an der Spitze bleibt. Entscheidend ist, ob sie in den kommenden zwölf Monaten Lösungen für die Probleme entwickeln kann. Die Zeit drängt.
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Der Ankeraktionärin Krupp-Stiftung wird zuweilen vorgeworfen, sie sei zu passiv. Teilen Sie diese Einschätzung?
Speich: Ich nehme die Rolle der Krupp-Stiftung in den vergangenen Monaten verglichen mit der Vergangenheit als konstruktiver wahr. Lange Zeit war die Krupp-Stiftung für uns eine Blackbox. Es war nicht klar, wohin sie wollte. Es hilft, dass sich die Stiftung etwas der Öffentlichkeit geöffnet hat und Flagge zeigt.
Schadet es Thyssenkrupp, dass der Finanzinvestor Cevian als zweitgrößter Aktionär Druck macht?
Speich: Es wäre falsch, die Rolle der aktivistischen Investoren zu verteufeln. Durch mehr Entschlossenheit in der Umsetzung hätten sich manche Probleme, die es jetzt gibt, vermeiden lassen. Cevian hat früh eine
Entflechtung des Konzerns propagiert. Nun ist genau dies der Plan. Auch auf die hohen Kosten in der Essener Konzernzentrale hat Cevian hingewiesen. Nun geht das Management auch dieses Thema an. Für uns gilt: Wir hören uns immer die Argumente anderer Investoren an, machen uns aber immer ein eigenes Bild.
Hofft Deka Investment auf eine hohe Dividende nach einem etwaigen Verkauf oder Börsengang der Aufzug-Sparte?
Speich: Die Zukunftsfähigkeit des Konzerns sollte im Vordergrund stehen. Dies muss bei der Frage nach einer Dividende und ihrer Höhe berücksichtigt werden. Eine sinnvolle interne Verwendung – etwa für Zukäufe oder Zukunftsinvestitionen – sollte Vorrang haben. Aktionäre investieren bei Thyssenkrupp in aller Regel nicht wegen einer Dividende. Aktuell ist Thyssenkrupp eine Großbaustelle, das Unternehmen bietet aber auch Chancen. Es geht jetzt darum, die Potenziale für künftige Erträge zu nutzen.