Essen. Außenminister Sigmar Gabriel warnt Thyssen-Krupp, bei Fusion mit Tata die Arbeitnehmer zu übergehen. Denn sie könnten die Leidtragenden sein.

Der frühere Bundeswirtschafts- und heutige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Konzernführung von Thyssen-Krupp ermahnt, bei der geplanten Fusion der europäischen Stahlsparte mit der des indischen Tata-Konzerns die Arbeitnehmerseite nicht zu überstimmen. Das sagte Gabriel im Interview mit Stefan Schulte.

Herr Gabriel, Thyssen-Krupp sieht sich auf der Zielgeraden bei den Fusionsgesprächen mit Tata. Der Stahl würde dann ausgegliedert. Was halten Sie davon?

Sigmar Gabriel: Es ist nicht wichtig, was ich persönlich davon halte. Ich weiß nur, dass große Teile der Belegschaft die Fusion der Stahlsparte mit Tata sehr kritisch sehen. Und das kann ich verstehen. Denn es geht doch ganz um die Beseitigung von Überkapazitäten im Stahlmarkt. Und ich vermute, dass die Hilfe des britischen Staates bei den finanziellen Problemen bei Tata nicht völlig selbstlos erfolgt ist, sondern vermutlich mit Standortgarantien in Großbritannien verbunden wurde. Da braucht man dann nicht viel Fanatsie, um sich zu fragen, wo dann die Überkapazitäten abgebaut werden sollen. Die große Gefahr ist dann eben, dass das in Deutschland passiert und die Stahlarbeiter diesen Deal mit ihren Jobs bezahlen müssen.

Aber der Vorstand muss auf die Überkapazitäten doch reagieren.

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Ich habe in meiner Zeit als Wirtschaftsminister viel dafür tun können, dass die deutsche Stahlindustrie von weiteren Belastungen aus den Strompreisen für die erneuerbaren Energien ebenso befreit bleibt wie von neuen Auflagen zur C02-Einsparung. Dafür hab ich mir viel Prügel, insbesondere von den Grünen und Linken, eingeholt. Aber es war trotzdem richtig. Denn die deutsche Stahlindustrie ist nicht nur die beste und sauberste, sie gehört zum Kern unseres industriellen Erfolges in Deutschland. Ohne Stahl bricht ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette in unserem Land weg. Der Erhalt der deutschen Stahlindustrie ist deshalb von nationalem Interesse. Nachdem der Staat und die Politik nun erfolgreich für die deutschen Stahlstandorte gekämpft haben, erwarte ich das auch von den Eigentümern und vom Management. Jedenfalls dürfen Überlegungen der Finanzmärkte keinen Einfluss auf die anstehenden Entscheidungen haben. Das Ziel muss klar und eindeutig sein: Erhalt der Stahlindustrie und der Arbeitsplätze an den Standorten. Und keine Opferung unserer Arbeitsplätze auf dem Fusionsaltar mit Tata.

Sie haben sich noch als Wirtschaftsminister gegen eine deutsche Lösung ausgesprochen, weil sie am meisten Jobs kosten würde. Kann Tata am Ende nicht tatsächlich die beste Lösung sein?

Ich habe mich damals dagegen ausgesprochen, die am internationalen Stahlmarkt existierenden Überkapazitäten allein durch deutsche Fusionen am Standort Deutschland abzubauen. Andere Standorte in der Welt sind weit schlechter und übrigens auch weit belastender für die Umwelt. Ob Tata eine Zukunft für den Erhalt der Stahlstandorte ist, kann ich von außen nicht endgültig beurteilen. Aber die Fragen der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften nach Standort- und Arbeitsplatzgarantien sind nicht beantwortet. Und was in jedem Fall falsch wäre, ist immer nur eine Lösung zu prüfen. Ich weiß, dass es auch andere Ideen für den Stahlstandort gibt. Wichtig wäre, diesen alternativen Lösungen auch eine faire Chance zur Prüfung zu geben. Am Ende ist die Lösung am besten, die Arbeitsplätze langfristig behält. Alles andere ist nicht akzeptabel. Es geht nicht um nationale oder europäische Lösungen. Es geht um die beste Lösung für den langfristigen Erhalt der Arbeitsplätze

IG Metall und Betriebsrat fühlen sich vom Management übergangen. Droht ein Einschnitt in die Montan-Mitbestimmung?

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Ich habe dem Vorstandsvorsitzenden Herrn Hiesinger diese Klage der Betriebsräte und Gewerkschaften auch vorgetragen und ich gehe davon aus, dass das Management die Arbeitnehmervertreter vollständig und umfassend informiert. Gegen die Arbeitnehmer ist keine Lösung denkbar. Die Entschlossenheit des Betriebsrats und die Geschlossenheit der Belegschaft sind ein wichtiges Pfund in einer solchen Auseinandersetzung. Und bei Krupp gehört es ohnehin zur Unternehmenstradition: Krupp war eines der ersten Unternehmen Deutschlands mit einem Sozialstatut war. Die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegt in den Genen des Konzerns. Dabei muss es bleiben. Die Mitbestimmung ist das Herz der Wirtschaftsdemokratie in Deutschland. Wie immer die Lösung aussieht, eines muss klar sein: Der Konzern- und Unternehmenssitz von Thyssen-Krupp muss im Ruhrgebiet bleiben. Und es darf keine Versuche geben, die Montan-Mitbestimmung auszuhebeln. Diese Mitbestimmung der Arbeitnehmer gehört zu den großen Errungenschaften Deutschlands. Sie darf nicht durch Konzernstrategien unterlaufen und zerstört werden. Ich gehe sogar noch weiter: Die Montan Mitbestimmung sollte in das Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen werden. Dort gibt es eine immaterielle Liste, in der sogar die französische Küche steht. Es wird Zeit, dass endlich auch mal eine Errungenschaft der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften und des Sozialstaates Eingang findet in das kulturelle Gedächtnis der Welt.

Ist es für Sie denkbar, dass Aufsichtsratschef Lehner gegen die Konzerntradition die Arbeitnehmerseite überstimmt?

Ich spekuliere nicht über das Abstimmungsverhalten in Aufsichtsräten. Aber Thyssen-Krupp kommt aus einer Unternehmenskultur, in der Berthold Beitz einmal den IG-Metall-Chef Otto Brenner auf der Eigentümerseite als Aufsichtsratsmitglied durchgesetzt hat. Beitz wusste eben, dass die Arbeitnehmer oftmals mehr über ein Unternehmen wissen als die meisten anderen. Und dass gerade die Arbeitnehmer und Gewerkschaften das größte Interesse am Erfolg eines Unternehmens haben. Wenn es heute noch solche Männer wie Berthold Beitz gäbe, wäre uns manches industrielles Desaster erspart geblieben.

Die Stahlkocher fühlen sich von der Landespolitik im Stich gelassen, die neue Landesregierung stellt sich hinter Hiesinger. Sollte sie besser versuchen zu vermitteln?

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Ich kann und will nicht über die Rolle der neuen Landesregierung von CDU und FDP spekulieren. Die Verantwortung ist jedenfalls groß. Die FDP ist in solchen Fällen ja immer eine Gefahr, weil sie alles den „freien Kräften des Marktes“ überlassen will. Das hat in Deutschland noch nie einen Stahlarbeitsplatz gesichert. Denen darf man das nicht überlassen. Wir haben in meinem Bundesland Niedersachsen als SPD-Landesregierung mal unsere Salzgitter Stahl AG gerettet, im dem wir sie für eine paar Monate gekauft haben, um sie vor feindlichen Übernahmen zu schützen. Dann haben wir sie Stück für Stück wieder privatisiert, aber einen 25 prozentigen Staatsanteil bis heute erhalten, damit nie jemand gegen niedersächsische Interessen unsere Stahlindustrie zerstören kann. Bis heute verdient das Land Niedersachsen Geld an der Salzgitter AG und vor allem: Bis heute sind die Arbeitsplätze dort sicher. Das ist jetzt ausdrücklich kein Plädoyer für einen Einstieg des Landes bei Thyssen-Krupp, es soll nur zeigen, dass es immer eine erfolgreiche Alternative gegen die Marktideologie der FDP gibt. Für solche Alternativen aber muss man Mut haben.