Düsseldorf. . Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) steht einem möglichen Zusammenschluss der Stahlsparten von Thyssen-Krupp und Salzgitter skeptisch gegenüber.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigt sich tief besorgt mit Blick auf die deutsche Stahlindustrie. Von der europäischen Kommission verlangt er eine härtere Gangart im Streit mit China über billige Stahl-Importe nach Europa. „Ich glaube, dass die EU-Kommission zu viel Angst hat“, sagt Gabriel im Gespräch mit Ulf Meinke. „Niemand will einen Handelskrieg mit China. Aber wir können auch nicht die deutsche Stahlindustrie für den Handel mit China opfern.“ Der Minister fordert auch einen „Klima-TÜV für die Stahlerzeugung“. Der Gedanke dabei: „Nur derjenige darf auf den europäischen Markt, der die Standards einhält, die wir auch in der EU erfüllen.“

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Einer möglichen Fusion der Stahlsparten von Thyssen-Krupp und Salzgitter steht Gabriel skeptisch gegenüber: „Ich bin kein großer Freund der Idee einer ,Deutschen Stahl AG’, weil die Konsequenz vermutlich wäre, dass Arbeitsplätze in unserer Industrie wegfallen, obwohl die ineffizienten Stahlwerke im Ausland stehen.“

Herr Gabriel, die deutschen Stahlhersteller sehen ihre Existenz bedroht. Teilen Sie die Sorge?

Sigmar Gabriel: Ja. Die Lage auf dem Weltstahlmarkt ist dramatisch. Es gibt riesige Überkapazitäten. Insbesondere China drückt Stahl auf den europäischen Markt – zu Preisen unterhalb der Herstellungskosten. Das ist Dumping. Die Gefahr besteht, dass nicht die wirtschaftlich und ökologisch schlecht aufgestellten Stahlwerke vom Markt verdrängt werden, sondern die besten Anlagen, die in Deutschland und Teilen Europas stehen und nicht staatlich subventioniert werden.

In Duisburg befindet sich Europas größter Stahlstandort. Auch in Niedersachsen, in Bremen, an der Saar und in Ostdeutschland ist die Stahlindustrie stark. Welche Bedeutung hat der Stahl für die deutsche Wirtschaft insgesamt?

Gabriel: Es geht um den Kern der deutschen Industrie. Wir reden über 3,5 Millionen Arbeitsplätze, die am Stahl hängen. In der Automobilindustrie und im Maschinen- und Anlagenbau wird Stahl gebraucht. Wenn die Stahlindustrie wegbricht, geht nicht nur Werkstoffkompetenz verloren, auch wichtige Wertschöpfungsketten sind dann in Gefahr.

Kann die Bundesregierung den Stahlproduzenten und ihren Beschäftigten helfen?

Gabriel: Wir fordern die EU-Kommission seit Monaten auf, wirksame Anti-Dumping-Maßnahmen zu ergreifen, also mit China zu verhandeln – und wenn China nicht kooperativ ist, auch Anti-Dumping-Zölle zu erheben. Das lässt das Welthandelsabkommen zu.

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Anfang des Jahres haben wir gemeinsam mit Wirtschafts- und Industrieministern aus Großbritannien, Frankreich, Polen, Italien, Belgien und Luxemburg der EU-Kommission konkrete Vorschläge gemacht, was zu tun ist. Jetzt müssen Taten folgen.

Ist die EU-Kommission zu zimperlich?

Gabriel: Ich glaube, dass die EU-Kommission zu viel Angst hat. Die Vereinigten Staaten haben ihre Anti-Dumping-Maßnahmen innerhalb von drei Monaten verabschiedet. Bei uns dauern ähnliche Schritte mehr als neun Monate. Das hat eine Konsequenz: Was die Chinesen jetzt nicht mehr in die USA liefern können, drängt zusätzlich nach Europa.

Droht ein scharfer Handelskonflikt mit China?

Gabriel: Wir brauchen Klarheit gegenüber China, kein Kleinmachen. Europa ist für die Chinesen ein wichtiger Markt, wie auch China für uns wichtig ist. Niemand will einen Handelskrieg mit China. Aber wir können auch nicht die deutsche Stahlindustrie für den Handel mit China opfern. Die EU-Kommission muss selbstbewusst die europäischen Interessen wahrnehmen und auf Augenhöhe mit China verhandeln. Wir dürfen nicht zulassen, dass offene Märkte missbraucht werden. Fairer Handel ist keine Einbahnstraße.

Können Sie nur an die EU-Kommission appellieren oder haben Sie auch eigene Handlungsoptionen?

Gabriel: Das Wichtigste ist, dass wir in Europa gemeinsam handeln. Der Kern der Industrienationen Europas engagiert sich, wie unser gemeinsamer Vorstoß mit sechs weiteren Nationen zeigt. Klar ist auch: Die Europäische Union braucht ein wirtschaftlich starkes Deutschland. Insofern ist das nicht einfach eine Bitte, die wir vortragen.

Auch Pläne der EU-Kommission für den Emissionshandel lösen Befürchtungen in der Industrie aus. Ist es richtig, die CO2-Zertifikate zu verteuern, um mehr Anreize für den Klimaschutz zu vergeben?

Gabriel: Deutschland war immer Vorreiter beim Klimaschutz und wird das auch bleiben. Wir haben die weltweit besten Technologien in der deutschen Stahlindustrie. Aber wenn wir 20 Prozent weniger CO2 bis zum Jahr 2020 als verbindliches Ziel in der europäischen Union haben, dann muss das andere Ziel, das sich die EU gesetzt hat, nämlich ein Industrieanteil von 20 Prozent, genauso verbindlich sein.

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Wenn wir der deutschen Stahlindustrie Auflagen machen, die andere in der Welt nicht haben, dann besteht die Gefahr, dass irgendwann die deutsche Stahlindustrie weg ist. Dann kommt der Stahl aus China, Indien oder Russland. Und zwar ohne unsere strengen Umweltschutzauflagen. Am Ende hätten wir dann weder die Arbeitsplätze in Deutschland noch einen besseren Klimaschutz.

Sollte es Sonderregeln für die deutsche Stahlindustrie geben?

Gabriel: Das ganze CO2-Handelssystem wird ja gerade in Europa neu verhandelt. Es muss dabei bleiben, dass die Stahlindustrie von weiteren Auflagen freigestellt wird. Gleiches sollte für die anderen energieintensiven Branchen gelten. Wir müssen verhindern, dass CO2-Emissionen einfach nur verlagert werden in andere Länder auf der Welt. Ich werde keinem Vorschlag der Kommission zustimmen, der das nicht gewährleistet.

Haben Sie an dieser Stelle Einigkeit in der Bundesregierung – von der Umweltministerin über den Wirtschaftsminister bis zu Kanzlerin?

Gabriel: Ja.

Gibt es weitere Möglichkeiten, die Lieferung von Dumping-Stahl nach Deutschland zu stoppen?

Gabriel: Es gibt auf der Ebene der Welthandelsorganisation Möglichkeiten, Zertifizierungen durchzuführen, zum Beispiel wenn Umwelt, Natur oder Gesundheit gefährdet sind. Eine solche Zertifizierung kann ich mir gut für Stahlprodukte vorstellen, als eine Art Klima-TÜV für die Stahlerzeugung. Der Gedanke dabei: Nur derjenige darf auf den europäischen Markt, der die Standards einhält, die wir auch in der EU erfüllen.

Treibt Sie die Sorge um, dass es Tendenzen zu einer De-Industrialisierung in der Bundesrepublik gibt?

Gabriel: Wir müssen alles dafür tun, dass es nicht dazu kommt. Wenn es einen Grund gibt, dass Deutschland viel besser durch ökonomische Krisen gekommen ist als andere Nationen, dann ist es unser hoher Industrieanteil. Deutschland darf niemals seine energieintensiven Grundstoffbranchen aufgeben. Das gilt für die Stahl- ebenso wie für die Chemieindustrie. Das Wegbrechen dieser Branchen wäre schon schlimm, aber betroffen wäre viele andere Bereiche der deutschen Wirtschaft auch.

Müssen die Stahlkonzerne auch ihren Teil dazu beitragen, die Industrie zukunftssicher zu machen – zum Beispiel durch Fusionen? Was halten Sie von der Idee einer „Deutschen Stahl AG“, einem Zusammenschluss von Salzgitter und Thyssen-Krupp?

Gabriel: Die Politik ist gut beraten, da keine naseweisen Vorschläge zu machen, denn das ist zunächst einmal Sache der Unternehmen. Ich gebe offen zu: Ich bin kein großer Freund der Idee einer „Deutschen Stahl AG“, weil die Konsequenz vermutlich wäre, dass Arbeitsplätze in unserer Industrie wegfallen, obwohl die ineffizienten Stahlwerke im Ausland stehen.

Bislang sind die großen heimischen Stahlunternehmen maßgeblich von Eigentümern aus Deutschland geprägt. Spricht aus Ihrer Sicht grundsätzlich etwas dagegen, wenn Unternehmen aus dem Ausland die deutschen Stahlhersteller übernehmen?

Gabriel: Ich bin schon sehr dafür, dass wir die gewachsenen Strukturen erhalten. Damit meine ich zum einen die Montanmitbestimmung mit den entsprechenden Rechten für die Arbeitnehmer, aber auch die Eigentümerstrukturen. Ich bin mir sehr sicher, dass das Land Niedersachsen seine Anteile an der Salzgitter AG nicht veräußern wird. Auch die Eigentümerverhältnisse bei Thyssen-Krupp gewähren dem Unternehmen eine hohe Sicherheit.

Gehört der Einsatz für Stahlarbeiter zur DNA von Sozialdemokraten?

Gabriel: Der Schutz der Industriearbeitsplätze ist Teil der Genetik der SPD. Die Sozialdemokratie ist mit der Industrie untrennbar verbunden. Und wir haben uns immer als die Schutzmacht der kleinen Leute verstanden. Wir setzen uns für diejenigen ein, die jeden Tag hart arbeiten gehen, in Deutschland Steuern zahlen und das Land tragen.

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Das ist die solidarische Mitte der Gesellschaft. Bill Clinton hat das einmal genannt: Leute, die hart arbeiten und sich an die Regeln halten. Für die sind wir als Sozialdemokraten da. Deswegen wird die SPD auch um jeden Stahlarbeitsplatz kämpfen.

Es wird dieser Tage viel über die schlechten Umfrageergebnisse der SPD diskutiert. Haben Sie manchmal den Eindruck, mit Sachthemen werden Sie kaum noch gehört?

Gabriel: Das ist manchmal ein Problem, aber davon darf man sich nicht kirre machen lassen. Das Beispiel Stahlindustrie zeigt doch, dass wir gewaltige Aufgaben vor uns haben.

Bei Ihrer Ministererlaubnis im Fall Tengelmann-Edeka haben Sie dem Erhalt von Arbeitsplätzen den Vorrang vor dem Wettbewerb gegeben. Sagt das auch etwas über Ihre Schwerpunktsetzung als Wirtschaftsminister aus?

Gabriel: Bei einer unkontrollierten Entwicklung wären von den 16.000 Arbeitsplätze bei Tengelmann rund 8000 Stellen bedroht gewesen – mit einem Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen. Es geht um viele Teilzeitbeschäftigte, Verkäuferinnen, Lagerarbeiter, Beschäftigte in Fleischwerken und Gabelstaplerfahrer – Menschen mit geringem Einkommen, die oft nicht so schnell einen neuen Job finden. Deshalb habe ich gesagt: Ich werde alles dafür tun, dass wir diese Arbeitsplätze erhalten. Wir haben die Stellen jetzt immerhin für sieben Jahre gesichert. Die Arbeitsplätze zu sichern und die Mitbestimmung zu erhalten, war mir in diesem Fall wichtiger als Wettbewerbsfragen.

Sie haben sich viel Zeit gelassen für die Entscheidung. War die lange Zitterpartie wirklich nötig?

Gabriel: Es ist wichtig, das Verfahren sorgfältig zu führen und so, dass es hinterher vor Gericht Bestand hat. Da ist Genauigkeit wichtiger als Schnelligkeit.

Sehen Sie der Klage des Edeka-Konkurrenten Rewe gelassen entgegen?

Gabriel: Ja. Wir haben unsere Entscheidung sehr genau begründet. Wenn Arbeitsplätze und Arbeitnehmerrechte keine Gemeinwohlgründe mehr wären in Deutschland, was denn dann?