Brüssel. China hat so viel Stahl überproduziert, wie die USA in einem Jahr insgesamt herstellt. Industrieexperten halten das für problematisch.

Die chinesische Stahlindustrie wird immer stärker zu einem Problem für die europäische Konkurrenz. China produziert beispielsweise im Vergleich zu deutschen Firmen wesentlich mehr und wesentlich günstiger – und diese Preisschere könnte bald noch weitere auseinandergehen. Die EU-Kommission will diese Entwicklung mit drastischeren Strafzöllen aufhalten.

„Unsere Verteidigungswerkzeuge müssen modernisiert werden“, erklärt die EU-Kommission in einem Strategie-Papier, das am Mittwoch offiziell vorgestellt wird. So will Brüssel die Strafzölle stärker am tatsächlichen Ausmaß des jeweiligen Dumpings orientieren. Dafür müsste die EU zusätzliche Ausnahmen von der „Regel des geringsten Zolls“ (lesser duty rule) in Anspruch nehmen, die den Spielraum für die Höhe des Strafzolls begrenzt. Das entspräche einer Forderung der Industrie. Sie kritisiert, dass die EU auf chinesische Dumpingspannen von bis zu 60 Prozent mit Strafzöllen unter 20 Prozent reagiert und damit keine Abschreckung erreicht.

Die Dumping-Effekte und -Schäden sollen aber nicht nur realistischer berechnet, sondern auch schneller festgestellt werden, damit Gegenmaßnahmen ebenfalls rascher verhängt werden können. In dem Zusammenhang will Brüssel auch das Zusammenwirken zwischen der EU-Zentrale und den Mitgliedstaaten beschleunigen. Diese wollen allerdings der Kommission in dem Zusammenhang keine zusätzlichen Befugnisse zugestehen.

Chinas Überproduktion lassen Preise verfallen

Mitte Februar demonstrierten in Brüssel Stahlarbeiter aus ganz Europa gegen den billigen Stahl aus China. Die Kommission legt jetzt ein Strategiepapier vor.
Mitte Februar demonstrierten in Brüssel Stahlarbeiter aus ganz Europa gegen den billigen Stahl aus China. Die Kommission legt jetzt ein Strategiepapier vor. © REUTERS

China sitzt auf Überkapazitäten von 325 Millionen Tonnen – das Doppelte der gesamten US-Jahresproduktion. Binnen drei Jahren haben die Chinesen die Menge ihres auf dem europäischen Markt verkauften Stahls mehr als verdoppelt. Die Preise für einzelne Produkte verfielen hingegen um bis zu 40 Prozent. Zugleich werden die Sitten auf dem Weltmarkt rauer, weil mehr Staaten ihr Heil in Abschottung suchen. Seit Anfang 2015 hat die EU-Kommission neun Verfahren wegen einschlägiger unfairer Handelspraktiken angestrengt.

Eine Verschärfung der Lage droht, wenn die Volksrepublik zum Jahreswechsel in der Welthandelsorganisation den Status einer Marktwirtschaft zuerkannt bekommt. Ob und in welchem Umfang Dumping vorliegt, wird dann nicht mehr durch Vergleich mit Preisen in Drittstaaten ermittelt, sondern im innerchinesischen Markt. Damit wird der Nachweis schwieriger und aufwendiger.

Industrieexperten blicken kritisch Richtung Welthandelsorganisation

Angesichts des Zeitdrucks mahnt die Kommission die Mitgliedstaaten, bereits auf dem Tisch liegende Vorschläge für ein schlagkräftigeres Antidumping-System endlich zu verabschieden: „Es wird höchste Zeit, jetzt die Rhetorik durch Taten zu ergänzen“. In diesem Sinne äußert sich auch Reinhard Bütikofer, Industrieexperte der Grünen im EU-Parlament. „Die bisher von der Kommission vorgeschlagene Reform der Verteidigungsinstrumente gegen Dumpingimporte ist notwendig und darf von den Mitgliedsländern nicht länger blockiert werden.“ Die aktuelle Entwicklung der Stahlindustrie zeige zudem, dass mehr nötig sei: „Wir brauchen ein neues handelspolitisches Verteidigungsinstrument, um ab kommendem Dezember einen Schutz speziell gegen Dumping aus China zu gewährleisten.“

Die Sozialdemokraten im EP verlangen, die Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft dürfe keine automatische Maßnahme sein. Vorher müssten die Auswirkungen auf Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum genau unter die Lupe genommen werden. „Wenn wir China automatisch den Status „Marktwirtschaft“ gewähren, könnte das alle unsere Bemühungen vereiteln, gleiche Marktbedingungen für alle sicherzustellen“, sagt Handelsfachmann David Martin.