Essen.. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sieht deutsche Werke wie Duisburg durch die Klimapolitik der EU in Gefahr und fordert klare Kante von der Bundesregierung.
Durch chinesischen Billigstahl und Brüsseler Reformpläne sieht die deutsche Stahlindustrie ihre Existenz bedroht, die Beschäftigten demonstrieren am Montag in Duisburg für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Zu ihnen sprechen wird dort auch der neue IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Im Interview mit Stefan Schulte vertritt er die These, dass moderne Stahlwerke auch dem Klimaschutz dienen.
Herr Hofmann, es liegen bereits einige Protestwochen hinter uns, am Montag folgt der große Stahlaktionstag in Duisburg. Auch die Unternehmensführungen sparen nicht an pessimistischen Ausblicken. Wie ernst ist die Lage wirklich?
Jörg Hofmann: Dem Stahl machen die Schwäche der Weltkonjunktur und wachsende Konkurrenz durch andere Werkstoffe zu schaffen – aber das ist nicht das Gravierendste. Die eigentlichen Probleme liegen jenseits klassischer Marktfaktoren: Erstens drohen verschärfte Regulierungen im Emissionshandel und der Eigenstromerzeugung.
Zweitens haben wir einen extremen Preisdruck durch Dumpingangebote, ausgelöst durch Überkapazitäten in Ländern wie China. Aus dieser Ansammlung kritischer Themen ergibt sich ein sehr bedrohliches Zukunfts-Szenario für den Stahl.
Thyssen-Krupp hat im abgelaufenen Geschäftsjahr mit seinem europäischen Stahlgeschäft immerhin noch fast eine halbe Milliarde Euro Gewinn vor Steuern erzielt. Wie passt das zu den Untergangsszenarien?
Hofmann: Bei Thyssen-Krupp spielten Vorjahreseffekte eine Rolle, ansonsten haben wir im letzten Jahr in den deutschen Stahlunternehmen bereits enorme Einbrüche in den Ergebnissen gesehen. Entscheidend ist aber der Ausblick: Allein, wenn die EU ihre Emissionshandels-Pläne 1:1 umsetzt, würden die Mehrkosten von rund einer Milliarde Euro der kompletten Investitionstätigkeit der deutschen Stahlindustrie entsprechen. Das würde auch das Ziel des Klimaschutzes konterkarieren. Wie soll die Stahlindustrie klimafreundlicher werden, wenn sie kein Geld mehr zum Investieren hat?
Die EU-Importe aus China haben sich binnen drei Jahren verdoppelt. Hat Brüssel im Kampf gegen Dumpingstahl geschlafen?
Hofmann: Das Instrumentarium der Europäer ist viel zu langsam, es dauert sechs Monate, bevor überhaupt ein Verfahren beginnt und dann weitere Monate, bis etwas passiert. Dazu ist die Höhe der Strafzölle viel zu niedrig, etwa im Vergleich zu denen der USA.
Die EU-Kommission diskutiert ja nun höhere Zölle und ein Frühwarnsystem für Dumpingimporte.
Hofmann: Beides wäre ausgesprochen hilfreich, deshalb fordern wir es ja seit Jahren. Bis hierhin – und das gilt beileibe nicht nur für den Stahl – reicht das Außenhandels-Instrumentarium der EU aber nicht aus. Wir sind gegen Dumpingstrategien aus anderen Weltregionen überhaupt nicht gewappnet.
Als existenzgefährdend sieht die Stahlindustrie vor allem die Pläne der EU zum Emissionshandel an. Vereinfacht gesagt, soll der Ausstoß von CO2 teurer werden, damit er sinkt. Ist das nicht nachvollziehbar?
Hofmann: Wir haben keine Kritik am Emissionshandel an sich. Es geht um die Frage, wie geht man mit einzelnen Branchen um, die unterschiedlich betroffen sind. Stahl gehört zu den Sektoren, die mit dem absehbaren Kostenanstieg auf dem Weltmarkt keine Chance mehr hätten. Niemand in der IG Metall will weniger Klimaschutz, wir könnten uns sogar ehrgeizigere Ziele vorstellen.
Das setzt aber voraus, dass die Industrie auch die Investitionen dafür tätigen kann. Der schlechteste Klimaschutz wäre jener, der der europäischen Stahlindustrie mit ihren hohen Umweltstandards den Garaus macht und ersetzt wird durch Stahl aus China, der deutlich CO2-intensiver produziert wird. Das Weltklima ist nicht teilbar.
Aus Klimasicht sagen fast alle Experten, auch wirtschaftsnahe Ökonomen, der Emissionshandel sei das beste Instrument, das bisher nur deshalb nicht funktioniert, weil die Industrie zu viele Zertifikate geschenkt bekommen hat.
Hofmann: Das stimmt teilweise. Keiner konnte die Wirtschaftskrise 2009/10 mit dem massiven Produktionsrückgang vorausahnen. Deshalb sind Milliarden von Zertifikaten nicht genutzt worden, die den Preis kaputt gemacht haben. Wir halten es daher ja auch für richtig, Verschmutzungsrechte je nach Entwicklung aus dem Markt zu nehmen. Aber die klimafreundlichsten Stahlwerke müssen weiter freigestellt werden und für die anderen muss die Zuteilung so gestaltet werden, dass die Werke beim Klimaschutz gefordert, aber nicht überfordert werden. Ich habe überhaupt nichts gegen einen gesunden Wettbewerb unter Europas Stahlerzeugern, wer die effizientesten und saubersten Werke hat.
Die Entscheidungen fallen in Brüssel, was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Hofmann: Die Bundesregierung muss sich klar positionieren, wie sie die Arbeitsplätze sichern will, deshalb jetzt unser Protest am Stahl-Aktionstag. Deutschland muss ein Treiber in Brüssel sein auch für effektivere Schutzmaßnahmen gegen Dumpingstrategien. Und die Regierung muss sagen, welchen Bestandsschutz sie ab 2017 für die Eigenstromversorgung der Stahlindustrie geben kann.
Abgesehen von den düsteren Zukunftsszenarien steht die Branche schon heute vor einem Umbruch. Rechnen Sie zeitnah mit Fusionen im großen Stil?
Hofmann: Wir haben ja bereits eine Reihe von Restrukturierungen hinter uns gebracht, und dies wird auch weitergehen. Für uns ist dabei entscheidend, was dies im Einzelfall für die Beschäftigten und für die regionalen Wirtschaftsräume bedeutet. Die Neuaufstellung der Branche muss in Einklang mit den Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien gebracht werden.
Das wird schwierig, Fusionen kosten in der Regel Arbeitsplätze.
Hofmann: Wir sind da durchaus selbstbewusst und werden auf dem Aktionstag in Duisburg zeigen, dass wir hier Belegschaften haben, die sich zu verteidigen wissen. Das gilt umso mehr, wenn es um existenzielle Fragen wie den Arbeitsplatzerhalt geht.
Stahlmanager, zuletzt auch Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger, reden offen über die bevorstehenden Umbrüche, das nährt natürlich Spekulationen um Fusionen, mal wird Tata, mal Salzgitter als Partner für Thyssen-Krupp gehandelt.
Hofmann: Diese Gerüchte sind völlig überflüssig. Dass es Veränderungen in der Branche geben wird, ist jedem klar. Aber mal hier und mal dort ein Gerücht fallen zu lassen, ist vollkommen kontraproduktiv. Auch Herrn Hiesinger wird bekannt sein, dass er ohne die Beschäftigten in Sachen Standortpolitik nichts bewegen kann. Hier schützt uns auch die Montanmitbestimmung.
Aber der IG Metall wäre im Fall der Fälle eine deutsche Lösung bei einem Zusammenschluss sicher lieber?
Hofmann: Ich kenne kein Szenario, das wir heute bewerten könnten. Jede Spekulation wäre unseriös. Ich gehe davon aus, dass die Vorstände alles dafür tun, dass die Arbeitsplätze auch morgen noch gesichert sind.