Dillingen/Düsseldorf. Arbeitnehmervertreter warnen vor einem “Ende der Stahlindustrie“. Aber nicht nur in China liegen die Ursachen für die großen Verluste.
Stahlkocher schlagen Alarm: Billigimporte aus China und ein dramatischer Preisverfall schüren massive Zukunftsängste. 2016 werde zum "Schicksalsjahr der Stahlindustrie", heißt es mittlerweile in der Branche. Arbeitnehmervertreter wie der Betriebsratschef der Dillinger Hütte, Michael Fischer, warnen sogar bereits vor einem "Ende der europäischen Stahlindustrie".
Der Chef des größten deutschen Stahlkonzerns Thyssenkrupp, Heinrich Hiesinger, hatte die Aktionäre zuletzt auf eine besorgniserregende Lage in der europäischen Stahlindustrie eingestimmt. Der rasante Verfall der Stahlpreise hat bereits tiefe Spuren in den Bilanzen hinterlassen: Thyssenkrupp rutschte in den ersten drei Monaten des laufenden Geschäftsjahres 2015/2016 (30.9.) wieder in die roten Zahlen. Mit einem dicken Minus schloss der Konkurrent Salzgitter das Jahr 2015 ab. Beim weltgrößten Stahlkocher ArcelorMittal stand unterm Strich ein Milliardenverlust.
Dramatische Entwicklung für die Hersteller
Auch nach Einschätzung ihres deutschen Branchenverbands kann sich die deutsche Stahlindustrie der anhaltenden Krise auf dem Stahlmarkt derzeit nicht mehr entziehen. Selbst die wettbewerbsfähigen deutschen Hersteller litten mittlerweile unter der "dramatischen Entwicklung", beklagte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff.
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Jüngsten Ankündigungen aus China, wegen massiver Überkapazitäten in der Stahl- und Kohleindustrie rund 1,8 Millionen Jobs abbauen zu wollen, begegnete er mit Skepsis. "Die Stahlindustrie in Deutschland begrüßt grundsätzlich jede Initiative, die geeignet ist, die massiven Stahl-Überkapazitäten in China zu reduzieren", sagte Kerkhoff. Allerdings seien in den vergangenen Jahren immer wieder Pläne zum Kapazitätsabbau von der chinesischen Regierung angekündigt worden, die nie erfolgreich gewesen seien. "Auch diesmal befürchten wir, dass die Überkapazitäten infolge der anhaltenden Immobilienkrise weiter steigen werden", sagte er.
Frühwarnsystem der EU soll heimische Industrie stärken
Angesichts der Krisenstimmung in der Stahlbranche bastelt die EU-Kommission unterdessen an einem Plan zur Stärkung der heimischen Industrie. Erwägt werde etwa ein Frühwarnsystem für Stahlimporte, hieß es. Die EU-Kommission steuert zudem mit Einfuhrzöllen gegen und führt Anti-Dumping-Untersuchungen durch. Zum anderen geht es jedoch auch um Pläne, die Emissionszertifikate auch zu Lasten der Branche erheblich zu verteuern, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
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Doch während die Branche die Schuldigen für die Misere bislang weitgehend in China sucht, weisen Kritiker auf massive Überkapazitäten auch vor der eigenen Haustüre hin. Nachdem in Europa noch in den "fetten Jahren" bis 2008 Kapazitäten aufgebaut worden seien, sei nun der Widerstand gegen einen Kapazitätsabbau auch in Europa ziemlich hoch, meinte der Stahlexperte der Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Roland Döhrn. "Das sind ziemlich viele Arbeitsplätze auf einem Haufen", beschrieb er das Problem.
Überkapazitäten auch in Europa
Auch der Chef des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine und Präsident des Weltstahlverbands, Wolfgang Eder, wies neben den Problemen mit den chinesischen Importen auf anhaltende Probleme in Europa hin. Es dürfe nicht übersehen werden, dass die Branche schon seit Jahren auch in Europa selbst erhebliche strukturelle Überkapazitäten ausweise und darüber hinaus immer stärker unter der industriefeindlichen Klima- und Energiepolitik der EU leide, sagte Eder.
Saarländer besonders besorgt
Vor allem im Saarland als dem kleinsten deutschen Flächenland ist die Angst vor einem Verlust der Stahlindustrie derzeit groß. "Erst nehmen Sie uns den Kohlebergbau weg, jetzt soll es auch noch der Stahlindustrie an den Kragen gehen?" Dieser Tage rufen viele Saarländer im Wirtschaftsministerium in Saarbrücken an, wie ein Sprecher berichtete. "Stahl gehört zum Saarland wie die Saar", formuliert Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD).
Das kleinste deutsche Flächenland verdankt seine Existenz der Montanindustrie - die Steinkohleförderung wurde bereits 2012 ganz eingestellt. Fast jeder Saarländer kennt zumindest jemand, der "auf der Hütt geschafft" hat. Rund 22 000 der rund 350 000 Arbeitsplätze im Land hängen direkt oder indirekt vom Stahl ab. (dpa)