Duisburg/Essen. . Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer beleuchtet die VW-Krise nach dem Dieselskandal. „VW ist praktisch unregierbar“, sagt Dudenhöffer.
VW probt den Neustart. Doch Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte an der Universität Duisburg-Essen, zeigt sich skeptisch. Im Interview mit Ulf Meinke analysiert er die Lage.
Der neue VW-Chef Matthias Müller und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch versprechen einen Neuanfang im Konzern. Beide haben in den vergangenen Jahren Karriere im Konzern gemacht. Stehen Müller und Pötsch für Erneuerung?
Ferdinand Dudenhöffer: Entscheidend bei VW ist nicht, ob dieser oder jener Manager geeignet ist für den Führungsjob. Volkswagen wird seit mehr als 15 Jahren durch Affären geschüttelt. Das ist der große Unterschied zu anderen Unternehmen. Bei VW fehlt die externe Kontrolle. Und das hat viele Gründe.
Welche?
Dudenhöffer: Beim VW-Gesetz fängt es an. Es gibt kein anderes Unternehmen mit einem ähnlichen Gesetz. Das VW-Gesetz sichert dem Land Niedersachsen über mehrere Sitze den Einfluss im Aufsichtsrat. In Kombination mit der Mitbestimmung blockiert es wichtige Anpassungen und hebelt einen unabhängigen Aufsichtsrat aus. Das VW-Gesetz mag gut gemeint sein, faktisch ist es schlecht. Auch an anderer Stelle wird die Kontrolle durch die Eigentümer eingeschränkt. In normalen Zeiten haben die Halter von VW-Vorzugsaktien kein Stimmrecht. Mit den Stimmen der Vorzugsaktionäre wäre in Krisenzeiten eine Erneuerung möglich.
Was haben die Aufsichtsratsposten und das Aktienrecht mit dem Abgasskandal zu tun?
Dudenhöffer: VW ist ein System, bei dem die Strukturen um Wolfsburg herum betoniert sind. Und das führt bei den hohen Kosten in Deutschland zu schlechten Margen der Kernmarke VW. Damit kommt Druck auf den Kessel, der sich eben durch nicht-legale Ventile entlädt.
"Es gibt nicht ein oder zwei böse Buben bei VW"
Welche Rolle spielen die österreichischen Eigentümerfamilien Porsche und Piech?
Dudenhöffer: Die Eigentümerfamilien Piech und Porsche sind zerstritten und mögen wenig Einfluss von außen. Da besetzt man Posten gerne mit langjährigen Weggenossen, wie jetzt mit dem Österreicher Hans Dieter Pötsch als Aufsichtsratsvorsitzenden. Und der heutige Familiensprecher Wolfgang Porsche ist eher eine schwache Persönlichkeit, die wenig Neigung zur Veränderung zeigt.
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Sie sagen, es fehle Kontrolle im Konzern. Aber Betriebsratschef Bernd Osterloh schaut den Managern doch auf die Finger. Osterloh gilt als heimlicher Chef.
Dudenhöffer: Das sorgt aber auch dafür, dass Erneuerung verhindert wird. Erinnern Sie sich daran, wie Winterkorn sein Sanierungsprogramm mit den McKinsey-Beratern durchsetzen wollte? Wenige Stunden später stand Osterloh auf der Matte und hat Winterkorn klar gemacht: So wird das nichts. Ich glaube, es gibt nicht ein oder zwei böse Buben bei VW, sondern es läuft systematisch falsch. VW ist praktisch unregierbar.
"Das Herz von Volkswagen ist krank"
Nun soll die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt von Daimler zu VW wechseln und ein Vorstandsressort für Integrität und Recht leiten. Ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn ein Konzern einen Vorstandsposten benötigt, nur damit die Regeln und Gesetze eingehalten werden?
Dudenhöffer: Ob Frau Hohmann-Dennhardt aufräumen kann, wird sich herausstellen. Eine Veränderung im Vorstand ist gut, reicht aber wahrscheinlich nicht aus. Generell hat sich VW nicht wirklich für die Regeln für gute Unternehmensführung interessiert. Dass der langjährige VW-Finanzvorstand Pötsch an die Spitze des Aufsichtsrats wechselt, ist ein eindrucksvoller Beleg, dass kaum mit Verbesserungen zu rechnen ist. Eigentlich wären zwei Jahre Ruhepause angesagt gewesen. Aber Pötsch wird beinahe handstreichartig ohne Wahl durch die Hauptversammlung bestellt.
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Trotz Ihrer Kritik war VW in den vergangenen Jahren aber durchaus erfolgreich.
Dudenhöffer: VW lebt von allem, was außerhalb von Wolfsburg ist. Ich meine damit die VW-Tochterunternehmen: Audi, Porsche und Skoda. Das Herz von VW ist krank.
"Ich erwarte weltweit sehr hohe Strafen für VW"
Was müsste sich Ihrer Meinung nach verändern?
Dudenhöffer: Am Anfang müsste eine glaubwürdige personelle Erneuerung stehen. Ein Aufsichtsratschef, der von außen kommt, müsste ein neues Team zusammenstellen. Bei VW hat eine älter werdende Männergesellschaft regiert. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Das VW-Gesetz gehört abgeschafft. Es wäre auch schon etwas gewonnen, die Stimmrechte des Landes Niedersachsen auf den Bund zu übertragen. Die Bundesrepublik agiert anders als ein Land. VW braucht weniger Kirchturmdenken. Wenn sich VW nicht erneuert, ist der nächste Skandal programmiert.
Wie lautet Ihre Prognose für die kommenden Monate?
Dudenhöffer: Wir haben hier den ganz seltenen Fall, dass ein Unternehmen im großen Stil vorsätzlich Gesetze gebrochen hat. Es geht nicht um Fahrlässigkeit oder schlampige Arbeit. In den USA wird schon angefangen, den höheren Schadstoffausstoß durch Dieselfahrzeuge von VW in Todesfall-Statistiken zu berücksichtigen. Ich erwarte weltweit sehr hohe Strafen. Das kann der Konzern nicht mal eben aus der Portokasse bezahlen. Die Folgen sind enorm. Am Ende wird es auch die Beschäftigten hart treffen.