Berlin. Was Frank-Walter Steinmeier das Leben schwer macht: Er ist Angela Merkels Partner und Herausforderer zugleich. Und gegen den Bonus der Kanzlerin kommt er einfach nicht an. Kann er die Sozialdemokraten aus der Schockstarre nach der Europawahl lösen?

Das Projekt Steinmeier kommt gut voran, zumindest in Potsdam-Mittelmark. Es ist sein Wahlkreis. Am Tag nach der Europawahl, nach dem größten Rückschlag seiner Kampagne, geht der Kanzlerkandidat über die Dörfer. Die SPD will ihn nicht auf der großen Bühne sehen. Wenn es schon ein Gesicht zur Niederlage geben muss, dann möglichst nicht Steinmeiers.

Er ist im politischen Geschäft Mensch geblieben und kein Profi, der Enttäuschung überspielen kann. Ein TV-Auftritt am Wahlabend war entlarvend genug. Viel Zeit, sich neu zu sortieren, bleibt Steinmeier nicht. Am Sonntag hält die SPD einen Parteitag an. Dann soll der Kandidat die Sozialdemokraten aus der Schockstarre lösen.

Am Montag pflegt er erst mal das kleine Format. In Beelitz besucht er eine Firma. In Belzig hält Steinmeier eine Rede über das Ehrenamt und vergibt den „Blumenstrauß des Monats” an einen Rentner, der Geld für die Kirchenorgel gesammelt hat. Da knüpft der Kandidat an seine Biografie an. Er erzählt von seiner Kindheit in einfachen Verhältnissen: Von drei Touren nach Norderney, die nur mit der „Kinderferienzeit” möglich wurden, oder vom ersten Buch („Mobby Dick”), das er sich in der Bücherei auslieh, die auch ehrenamtlich geleitet wurde.

Kein Freund persönlicher Angriffe

Es ist sein erster Wahlkreis. Bei der Bundestagswahl 2005 hat die SPD hier 15 Prozentpunkte mehr Erststimmen geholt als die nächststärkste Partei. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn für den Mann aus dem Lippischen im Herbst was schief laufen sollte. Beim größeren Projekt indes, beim Kampf um das Kanzleramt, geht es nicht mit dem Teufel zu, wohl aber mit Angela Merkel. Bis heute weiß der Herausforderer nicht, wie er sie verdrängen soll. Persönliche Angriffe sind seine Sache nicht und wären nach Jahren guter Zusammenarbeit sonderbar.

Gegen den Bonus der Kanzlerin kommt er einfach nicht an. Lässt er verlauten, dass er mit US-Außenministerin Hillary Clinton über Opel gesprochen habe, gibt Merkel danach zu Protokoll, sie habe mit Präsident Obama geredet. Er setzt sich für den Erhalt von Jobs ein – sie auch. Aber zugleich lässt sie ihren CSU-Wirtschaftsminister von Insolvenz reden. Sie bedient alle Stimmungen. Dass sie damit durchkommt, ist ihm ein Rätsel.

Der Druck auf Steinmeier steigt, sie direkt anzugreifen. Intern gab SPD-Vizechefin Andrea Nahles schon die Losung „Polarisierung im Krisenmanagement” aus. Sie hat auch klargemacht, dass das Vertrauen nach den Jahren der Agenda-Politik bei den eigenen Anhängern noch nicht da ist. Es wäre der brisanteste Befund der Europawahl. Er ließe auf eine Vertrauenskrise schließen, für die der Kandidat als Person steht: Die Agenda 2010 hat er entworfen. Auf den Tag genau jährt sich zum zehnten Mal das Schröder-Blair-Papier. Vielleicht hat die Vertrauenskrise der SPD genau an jenem 9. Juni 1999 angefangen: Als sie sich als Partei neu erfand, aber vergaß, ihre Anhänger mitzunehmen.

Er kämpft um jeden Job - aus Überzegung

Es gibt solche Tiefenströme der Politik. Aber es gibt auch den Anteil Steinmeiers an den schwindsüchtigen 21 Prozent. Sein Krisenmanagement macht ihn angreifbar. Er ist aufrichtig empört, wenn er als jemand dargestellt wird, der nur so mit Steuergeldern um sich wirft. Er kämpft wie bei Opel um jeden Job – aus Überzeugung. Er will seine Linie auch nicht ändern, weil sie unpopulär ist, sondern dafür sorgen, dass sie populär wird.

Auf ihn passt der Spruch, den sich die Union 2002 einfallen ließ, um die Schwächen von Edmund Stoiber zu kaschieren: Ein ernster Mann für ernste Zeiten. Die Eliten sind derzeit freilich alarmierter als die Bürger und die SPD mit Lösungen bei der Hand für Probleme, die viele Leute noch nicht spüren. So wie Karin Höpfner, die Steinmeier in Beelitz trifft, Geschäftsführerin einer Firma, die Dosengerichte herstellt. Spüren Sie was von der Krise? „Von uns aus kann es noch 20 Jahren so weitergehen." Dass die Krise noch nicht überall durchschlägt, ist der Erfolg der großen Koalition. Den Anteil der SPD daran herauszustellen, wird Steinmeier mehr je umtreiben. „Zur Not schlafe ich eben noch weniger”, wird er aus dem SPD-Präsidium zitiert.