Essen. Das hochverschuldete Essen gönnt sich einen Stadionneubau - und kauft den zugehörigen Fußballverein gleich mit frei. Denn der mit elf Millionen belastete Verein Rot-Weiss Essen soll die neue Arena schließlich bespielen. Durch die De-Facto-Übernahme droht der Stadt ein Millionenverlust.

Darf eine Stadt, die mit knapp drei Milliarden Euro verschuldet ist, einen in den letzten Jahren überwiegend erfolglosen Fußballverein vor der Pleite retten und ihm mit 29 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln den Neubau des Stadions schenken? Wenige Tage vor der Kommunalwahl sorgt der Einstieg der Stadt Essen beim Viertligisten Rot-Weiss Essen für Schlagzeilen über die Stadtgrenzen hinaus. Dahinter steckt eine illustre Geschichte über Fußballträume und Kommunalpolitik auf Kosten klammer Kassen.

Millionen-Projekt

„Philharmonie des Nordens” nannte der scheidende Essener Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (CDU) das geplante neue RWE-Stadion im Norden der Stadt, als er Anfang August den offiziellen „Anstoß” zu dem Millionen-Projekt gab. Wer wollte, konnte in diesem Sprachbild einen tieferen politischen Sinn erkennen. Denn vor zehn Jahren hatte Reiniger nicht zuletzt deshalb sensationell die OB-Wahl im eigentlich „roten” Essen gewonnen, weil er mit einer Initiative für ein neues Konzerthaus das bürgerliche Lager im wohlhabenden Süden mobilisieren konnte.

Nun also eine Spielstätte für „die Kultur des kleinen Mannes”, wie die Essener Trainerlegende Otto Rehhagel den Fußball nennt? Reiniger jedenfalls hält das Stadion im strukturschwachen Bergeborbeck für einen „Beitrag zur sozialen Symmetrie in unserer Stadt”.

Rechtfertigungszwang

Wahltaktische Überlegungen weist die CDU jedoch weit von sich. Oberbürgermeister-Kandidat Franz-Josef Britz, der am Sonntag gerne zu Reinigers Nachfolger gewählt würde, berichtet vielmehr vom gelegentlichen Rechtfertigungszwang im Stammlager. Dass die finanziell darbende Stadt mit ihren Stadttöchtern zusammen fast 30 Millionen Euro in eine Arena für einen Viertligisten pumpt und bei Rot-Weiss Essen praktisch die Regie übernommen hat, kommt außerhalb der engeren Fan-Zirkel nicht allzu gut an.

Man scheint sich verdribbelt zu haben

Wirklich geplant war die Umwidmung des Deutschen Meisters von 1955 zum „FC Stadt” wohl auch nie. Man scheint sich eher verdribbelt zu haben. Stadtdirektor Christian Hülsmann, dessen Rathaus-Bürowand ein Porträt der RWE-Ikone Helmut Rahn ziert, sah die Kommune zunächst unter Handlungszwang. Da Teile des maroden Georg-Melches-Stadion an der Hafenstraße nach jahrelanger Vernachlässigung einzustürzen drohten, habe man sich nicht auf teure Flickschusterei einlassen wollen, sondern lieber eine neue Arena geplant.

Weil aber die Wirtschaftskrise und die anhaltende sportliche Misere des Vereins Privatinvestoren von eigentlich versprochenen Engagements abhielten, stand die Stadt plötzlich allein da. Und damit die schöne neue Arena dereinst auch bespielt werden kann, kaufte sie gleich auch noch den Pleite-Club RWE von Altschulden frei, die sich im Frühjahr auf elf Millionen Euro beliefen.

Stadion und Verein sind „Essens Bad Bank”

Im Rathaus wird das Projekt Stadion/Rot-Weiss bereits in Anlehnung an die staatliche Übernahme von wertlosen Papieren „Essens Bad Bank” genannt. Hinzu kommt nun der sportlich verkorkste Saisonstart des RWE-Teams in der vierten Liga.

Eine Scharnierfunktion zwischen Rathaus und Rasen nimmt der frühere Nationalspieler Thomas Strunz ein. Er ist nicht nur Trainer und Sportdirektor bei RWE, sondern zugleich wichtigster Ratgeber und Repräsentant des Stadion-Bauherren Stadt. Formal besaß er einen Beratervertrag mit der Stadttochter „Grundstücksverwaltung Essen”, (GVE). Der Ex-Profi soll die Stadt in Fragen des Stadionbaus beraten und dafür zusätzlich zu seinem Gehalt 7000 Euro monatlich kassiert haben. Bis Ende Juni 2009 insgesamt rund 80 000 Euro.

Gestritten wird nun, ob diese Entlohnung mit öffentlichen Geldern gerechtfertigt war oder ohne entsprechende Gegenleistung gezahlt worden ist. Eine Strafanzeige gegen Reiniger und den GVE-Geschäftsführer Andreas Hillebrand wegen Untreue ging bei der Staatsanwaltschaft Essen ein. Sie will heute dazu Stellung nehmen.

Gehaltsanteile von Stunz

Die Stadt jedenfalls weist energisch Gerüchte zurück, die öffentliche Hand habe Gehaltsanteile von Strunz übernommen, um ihn so für den klammen RWE bezahlbar zu halten.

Doch selbst dem GVE-Aufsichtsrat war der Beratervertrag mit Strunz unbekannt: „Wir haben von dem Vertrag aus der Zeitung erfahren”, sagte die Vorsitzende Evelyn Heep (CDU) der WAZ. Gesehen habe sie das Dokument noch nicht. Auch kenne sie keine Details.

Das letzte Wort zum „FC Stadt” könnte von der Bezirksregierung Düsseldorf kommen: Auf Anfrage teilt sie mit, dass der Betrieb eines Profifußballclubs durch eine Gemeinde der Gemeindeordnung NRW widerspreche und damit unzulässig wäre.