Berlin. Die Spitzen von Union und FDP haben am Montagabend in Berlin den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Doch das 130-seitige Papier sorgt bei den Koalitionspartnern nicht gerade für Begeisterung. Uneinigkeit gibts bei den Themen Steuern und Gesundheit.
Knapp einen Monat nach der Bundestagswahl haben die Spitzen von CDU, CSU und FDP am Montag den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Die Parteivorsitzenden Angela Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle unterschrieben in Berlin das Vertragswerk. Ihre Unterschriften unter den Koalitionsvertrag setzten auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU), die neue FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger und der scheidende Chef der CSU-Landesgruppe und künftige Bundesverkehrsminister Peter Rausauer. Die feierliche Unterzeichnung fand in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung statt, wo die große Koalitionsrunde fast drei Wochen lang verhandelt hatte.
Am Mittwoch steht die Kanzler-Wahl an
Am Nachmittag hatten kleine Parteitage von CDU und CSU dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Ein FDP-Parteitag billigte am Sonntag den Vertrag. Am Dienstag konstituiert sich in Berlin der neue Bundestag. Für Mittwoch ist die Wahl der Bundeskanzlerin im Parlament sowie die Eidesleistung des neuen Kabinetts geplant.
Ohne formelle Gegenstimmen, aber nicht ohne Zweifel stimmt die Union dem Koalitionsvertrag zu. Viele Punkte erregen das Unbehagen etwa der Länder. Und bei der Gesundheitsreform sei man der FDP zu weit entgegen gekommen, meinen nicht wenige CDU-Politiker. Aufbruch sieht anders aus.
Für das Schlusswort nimmt sich Angela Merkel ein, zwei Minuten Zeit. Nicht mehr. Geschäftsmäßig bringt sie den Koalitionsvertrag durch den kleinen CDU-Parteitag in einem Berliner Hotel. Nur elf von 91 Delegierten melden sich zu Wort. Nach 2,5 Stunden können alle zur Abstimmung schreiten. Bei zwei Enthaltungen wird das Werk einstimmig angenommen und nüchtern mit Beifall bedacht. Aufbruch sieht anders aus.
Keine Zeit für Sentimentalitäten
Die CDU-Chefin neigt ohnehin nicht zu Sentimentalitäten. Sie hat zu Beginn ihrer Rede das Bonmot wiederholt, nach den dreiwöchigen Verhandlungen wisse jeder, warum er in welcher Partei ist.
Der scheidende CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla geht darauf ein. Er zählt auf, was die FDP infrage gestellt hatte, die CDU aber nicht zuließ, nämlich Einschränkungen bei Mindestlohn, Kündigungsschutz. Der parteiintern wegen des schlechten Abschneidens bei der Bundestagswahl unter Druck stehende CSU-Parteichef betonte an dieser Stelle die Verhandlungserfolge der CSU: Steuersenkung, Erbschaftssteuer, Gewerbesteuer, Schonvermögen: „Haken dran, erledigt”, referierte Seehofer die bayerischen Positionen im Koalitionspoker. Aber vor allem versteht sich die CSU als soziales Gewissen im neuen Kabinett von Angela Merkel. In der letzten Verhandlungsnacht habe er 13 FDP-Vorschläge zum Sozialabbau, „vom Kündigungsschutz bis zur Mitbestimmung mit Nein beantwortet”, brüstet sich Seehofer.
Merkel wiederum greift auch die Zweifel in den eigenen Reihen auf. Die Schulden, die Steuersenkungen auf Pump. Es ist für Merkel ein Pfad, um mehr Wachstum zu fördern. „Bei sparen, sparen, sparen sehe ich keine Chance”, ruft sie aus. Das passt freilich nicht zum Selbstverständnis der CDU; für die Schulden hat man seit jeher die Sozialdemokraten verantwortlich gemacht.
Schäuble die Stütze
Merkel weiß, dass ihr Kurs bei CDU-Ministerpräsidenten umstritten ist; weil sie um Einnahmen bangen. Hier sollte man auch nach dem Grund suchen, warum sie sich für Wolfgang Schäuble als Finanzminister entschieden hat. Er genießt große Autorität.
Die macht sich Merkel zunutze, wissend, dass er auch am Kabinettstisch für Widerspruch gut ist. Sie seien „nicht immer einer Meinung”, bekennt sie.
Die zweite Konfliktlinie: Die Vertragspassagen zur Gesundheitspolitik werden höchst unterschiedlich ausgelegt. Auch hier gibt es Unmut, dass die Union der FDP zu weit entgegenkommt.
Es sind nicht nur „die üblichen Verdächtigen”, die sich zu Wort melden, Gewerkschafterinnen wie Regina Görner etwa. Samstag hatte NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im WAZ-Gespräch klargemacht, „es soll durch die Politik keine Beitragserhöhungen geben.”
Gestern ermahnte der saarländische Regierungschef Peter Müller die Koalitionäre, das Prinzip der Solidarität zu achten. Was er meint: Teile der Union sperren sich vehement dagegen, Zusatzkosten einseitig auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Die Schulden und die sozialen Kosten – es sind die Konfliktlinien der Zukunft.
Müller legt seinen Finger in eine weitere Wunde: 31 Prozent erzielte die CDU in Schleswig-Holstein und Thüringen. Kaum besser schnitt sie im Saarland und im Bund ab: „Das sind Stimmergebnisse, die unserem Anspruch nicht entsprechen.” Eine Volkspartei sollte sich mit solchen Zahlen nicht abfinden. Merkel schweigt dazu. Gewählt ist gewählt.