Essen. Die Stromverbraucher profitieren kaum von der Liberalisierung des Energiemarktes. In den ersten zehn Jahren seit Öffnung des Marktes sanken die Preise für Haushaltskunden nur um 4,5 Prozent. Die Produktivität der Konzerne stieg dagegen um 70 Prozent. Ein schönes Geschäft.
Eigentlich sollte alles besser werden. Mit der Öffnung der Energiemärkte im Jahr 1998 wollte die EU-Kommission den Wettbewerb zwischen den Stromversorgern ankurbeln. Die Unternehmen sollten wirtschaftlicher, der Strom für die Endkunden billiger werden. Dieses Ziel ist jedoch nicht erreicht worden. Dies ist das Ergebnis einer bislang unveröffentlichten Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die der WAZ vorliegt.
Unternehmen haben sich schlank gemacht
„Die Energieunternehmen haben sich schlank gemacht“, erklärt Ralf-Michael Marquardt die enorme Produktivitätssteigerung, die die vier Energieunternehmen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW in den vergangenen Jahren erwirtschafteten. Einer der Mechanismen, um dieses Ziel zu erreichen: „Die Konzerne trennten sich von vielen Arbeitskräften“, sagt Marquardt, der als Professor für Wirtrschaftsrecht an der Fachhochschule Gelsenkirchen arbeitet. So beschäftigten die „großen Vier“ 1998 noch 251.000 Menschen. Acht Jahre später wären es nur noch 207.000 Arbeiter und Angestellte.
In dieser Zeit erwirtschafteten weniger Angestellte immer mehr Geld: Die Wertschöpfung stieg von 25 Milliarden Euro 1998 auf 33,5 Milliarden Euro im Jahr 2006. Trotz dieser komfortablen Situation sanken die Strompreise für die Endkunden im selben Zeitraum nur marginal. Nach Berechnungen der Böckler-Siftung profitierten auch die Industriekunden wenig: Deren Preise sanken im untersuchten Zeitraum um drei Prozent.
Einkaufspreise im Keller
Den Gutachtern der Böckler-Stiftung standen Daten der Unternehmen bis 2006 zur Verfügung. Doch auch in jüngster Zeit habe sich die Situation nicht grundlegend verbessert, beobachten etwa die Verbraucherzentralen. „Seit August 2008 sind die Einkaufspreise, die die Unternehmen zahlen müssen, immer wieder in den Keller gesunken - teilweise um bis zu 60 Prozent“, weiß Thorsten Kaspar vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). „An die Verbraucher weitergegeben werden diese Preisvorteile aber nicht“, so Kaspar. Im Ergebnis kommt der VZBV zum selben Ergebnis wie die Böckler-Stiftung. Den Unternehmen gelingt es, ihre Gewinne zu erhöhen. An steigender Produktivität oder sinkenden Kosten beteiligen sie die Stromverbraucher kaum. Stellungnahmen der Unternehmen waren bis Redaktionsschluss nicht zu erhalten.
Markt geöffnet - Wettbewerb fehlt
Die Ursache für diesen Missstand sei im fehlenden Wettbewerb zu suchen, heißt es beim Verbraucherverband. Ähnlich sieht dies Wirtschaftsprofessor Marquardt: „Das Kind ist in den Brunnen gefallen“. „Die Strukturen sind so verkrustet, dass sich ein nachhaltiger Wettbewerb nicht einstellen wird.“ Die Experten sind der Ansicht, dass die staatliche Wettbewerbsaufsicht über die Unternehmen nicht wirkungsvoll genug ist.
Bei den Grünen fordert man schon seit längerem eine „Zerschlagung der großen Monopolstrukturen“. „Einen fairen Wettbewerb wird es erst geben, wenn die Übertragungsnetze nicht mehr von denen betrieben werden, die den Strom erzeugen und verkaufen“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn, „Stromerzeugung und Stromnetze müssen deshalb getrennt werden.“