Essen. Das Projekt „Desertec” könnte einmal 15 Prozent des Strombedarfs in der EU mit sauberer Energie abdecken. Jetzt wächst allerdings die Kritik an dem 400 Milliarden Euro teuren Wüstenstrom-Projekt. Auch die Grünen und die Befürworter alternativer Energien sind skeptisch.

Eon und RWE sind dafür, Vattenfall winkt ab. Greenpeace ist begeistert, die Deutsche Energieagentur ein entschiedener Gegner. Und die Lobbyisten der Photovoltaik sehen ihr Geschäft am Rande des Abgrunds.

Die geplanten Anlagen zur Erzeugung von Solarstrom in der Wüste geraten immer heftiger in die Kritik. Vor allem die Befürworter alternativer Energiequellen zweifeln am 400 Milliarden Euro teuren Projekt „Desertec”, das einmal 15 Prozent des Strombedarfs in der EU mit sauberer Energie abdecken könnte.

Grüne: Ausbau in Deutschland ausgebremt

„Der weitere dezentrale Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland würde dadurch massiv abgebremst”, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionschef im NRW-Landtag, Reiner Priggen, dieser Zeitung. Neben den 250 000 vorhandenen Arbeitsplätzen auf dem „Ökostrom”-Sektor sieht Priggen das Potenzial für 250 000 weitere Stellen. Diese würden auf der Strecke bleiben, wenn die Politik Solarkraft in der Wüste oder Windparks auf dem Meer subventioniere. „Das sind Milliardenprojekte, die nur die großen Energiekonzerne stemmen können”, sagte Priggen und sieht den ohnehin geringen Wettbewerb auf dem Energiemarkt in Gefahr.

Die heftigste Kritik kommt aus der Ecke der Solar-Lobby, die offenbar um ihre Pfründe fürchtet. Manche sehen in dem Wüstenstrom-Projekt einen Angriff der Energiekonzerne auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – jenes Gesetz, das der Ökostrom-Branche durch die garantierten Einspeisevergütungen in Milliardenhöhe das Überleben sichert. Die Befüchtung: Liefern die Anlagen aus Nordafrika günstigen Strom, könnten die Vergütungen für Photovoltaik gekappt werden.

„Wir brauchen keinen Sahara-Strom”, sagt Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter und einer der geistigen Väter des EEG. Scheer war auch Antreiber des 100 000-Dächer-Programms, das mit günstigen Krediten für Jedermann den Ausbau der Photovoltaik beschleunigte. Scheer erhielt 1988 den Alternativen Nobelpreis, „Solarpapst” wird er genannt. Dabei ist er Lobbyist: Scheer ist Präsident von Eurosolar, einer Vereinigung, die sich der Verbreitung insbesondere der Solarenergie verschrieben hat.

Scheer argumentiert: Was Desertec verspreche, könne in Deutschland früher und zu niedrigeren Kosten erreicht werden, wenn Photovoltaik- konsequent ausgebaut werde. „Wirtschaftlich entscheidend ist das Verhältnis zwischen Stromertrag und tatsächlichem Investitionsaufwand. Dieser ist bei dezentraler Anwendung mit ihren vermiedenen Stromtransportkosten deutlich niedriger”, glaubt Scheer.

„Die Branche wehrt sich nun prophylaktisch”, kommentiert Manuel Frondel, Energieexperte am Essener RWI-Institut, die Reaktionen auf das Megaprojekt, das er schon aus Kostengründen derzeit für unrealistisch hält. Vattenfall-Chef Lars Josefsson hält Desertec ebenfalls „nicht für realistisch”, wie der Konzern-Chef der FTD hinsichtlich der Transportkosten des Stroms von Afrika nach Europa sagte. „Europa muss seinen Strom in Europa erzeugen.” Ähnlich kritisch äußerte sich der Chef der Deutschen Energieagentur, Jürgen Kohler.

Mittelstand profitiert

Zu den Befürwortern von Desertec gehört Greenpeace: Das Projekt gefährde keine Arbeitsplätze in Deutschland, so Energieexeperte Andree Böhling. Im Gegenteil: „Es profitiert gerade der Mittelstand in dem Bereich, der für die Anlagen Komponenten wie Parabolspiegel baut”, sagte er und forderte eine Anschubfinanzierung durch den Bund. Zur Verhinderung eines Monopols solle man nicht Projekte wie Desertec stoppen, sondern die Energieriesen zum Verkauf ihrer Netze oder Stadtwerke zwingen.

Auch Claudia Kemfert hält die Bedenken für übertrieben. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland wird durch das Projekt Desertec nicht gefährdet”, sagte die Enerxieexpertin des DIW-Institus dieser Zeitung. Auch die Photovoltaik sei nicht in Gefahr. Denn diese werde weiter durch das EEG gefördert.

Desertec-Sprecher Michael Straub wirbt ohnehin für einen Energie-Mix: „Man muss beide Potenziale nutzen. International vernetzte und dezentrale erneuerbare Energien sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden.”