Berlin. . Der FDP-Chef braucht dringend einen Erfolg bei der Europawahl. Mit einem eigenen Rentenkonzept will Christian Lindner die Liberalen wieder ins Spiel bringen. Vor allem unzufriedene CDU-Wähler hat er im Visier. Doch Umfragen machen der Partei wenig Hoffnungen.
Alle reden über die Rente, die FDP auch. Am Wochenende will sie ein Konzept beschließen, das nach schwedischem Vorbild jedem erlaubt, selbst zu entscheiden, wann er innerhalb eines bestimmten Zeitkorridors in den Ruhestand geht, schon mit 60 Jahren oder erst mit 70, und ob er bis dahin in Teilzeit arbeitet.
Auf einem Europa-Parteitag in Dresden will die FDP das Papier auf den Weg bringen. Es ist ihre enkelfitte Alternative zu den Plänen der Großen Koalition, die Ende Mai die Rente mit 63 und die „Mütterrente“ einführen will. Mit dem Gegenentwurf will FDP-Chef Christian Lindner die Liberalen wieder ins Spiel bringen.
Wähler in Wartestellung
Im Auge hat er Teile der Union, die unzufrieden sind. Etwa 2,1 Millionen Wähler haben im September 2013 der Union statt der FDP ihre Stimme gegeben. Die kann Lindner noch erreichen. So wie neulich beim Wirtschaftsrat der CDU in Köln. Nach seiner Rede stand einer auf und rief, „90 Prozent im Saal stimmen Ihnen zu 90 Prozent zu.“ Applaus.
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Lindner: „Dann müssen Sie uns auch zu 90 Prozent wählen. Sonst bringt das nichts.“ Solche Erlebnisse führen ihm ein Dilemma vor Augen: Die Wähler in Wartestellung. Aus ihnen schöpft er aber auch Kraft. Denn die gängige Meinung ist, dass keiner die FDP vermisst, seit sie abgewählt wurde. Köln ist Lindners Gegenbeweis.
Seine Aufgabe ist oft mit einem Marathon verglichen worden. Das ist so falsch wie richtig. Es ist eine lange Strecke bis 2017, eine Schinderei ist es auch. Aber bei der FDP wird nicht erst bei der Zielankunft abgerechnet. Jeder Zwischensprint zählt, sprich: Jede Umfrage, jede Wahl, so wie am 25. Mai für das Europa-Parlament.
Messbar ist seine Partei seit ihrer Abwahl im September 2013 nicht vorangekommen: Vier, fünf Prozent. Mit mehr Bestätigung können die Demoskopen Lindner nicht dienen. Man kann erahnen, was ihn besorgt: „Entscheidend ist, dass wir die Nerven behalten.“ Bei Rückschlägen.
Sachsenwahl als wichtige Station
Es kann etwa passieren, dass am 25. Mai die AfD vor der FDP liegt. Und dann? „1989 war die FDP auch schwächer als die Republikaner.“ Will heißen: Kurs halten, die AfD links liegen lassen, Pardon: rechts. Eine Schicksalswahl im Kleinen steht auch im Sommer an, nämlich in Sachsen. Der Freistaat ist das letzte Land, in dem die FDP regiert. Sich zu behaupten, „wäre ein tolles Zeichen, jeder Erfolg hilft uns“. Die Erfolgsspur nach Berlin führt über die Länder.
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„Die FDP ist stabiler, als ich selber am 23. September angenommen habe.“ Das war der Tag nach der Wahlniederlage, als er sich für den Neuanfang anbot. Wie weit ist Lindner seither gekommen? Er hat – schon aus Geldmangel – den FDP-Apparat verkleinert und neue Köpfe um sich geschart. Die Partei hat 3500 Mitglieder dazu gewonnen. In der Führung haben Fliehkräfte abgenommen. Jedenfalls spürt der Parteichef einen Teamgeist, „da gibt es kein Belauern mehr“. Im Präsidium könne man wieder offen sprechen. Ohne Angst vor Lecks.
Liberale Rechtspolitik ist Chefsache
Auf den Vorsitzenden geht es zurück, dass sich die FDP nicht nur für solide Finanzen einsetzt, sondern eine verschüttete Leidenschaft wieder entdeckt hat: Die Bürgerrechte. In der Debatte über „Google“ war der FDP-Chef vorneweg. „Wissen Sie was? Liberale Rechtspolitik ist bei uns auch Chefsache.“ Dann zählt er auf, wie viele Beiträge er für die FAZ verfasst, wie oft und mit wem er auf Veranstaltungen diskutiert hat. Er bestätigt unbewusst eine gängige Kritik an der neuen FDP: Dass sie eine One-Man-Show sei.
Das ist nicht ganz richtig. Die FDP hat zwei Gesichter. Und das andere ist von Wolfgang Kubicki, sein älterer Vize, ein Tausendsassa und genau so TV-affin wie Lindner. Noch wird das Duo zu Talk-Shows eingeladen, noch nimmt man von Parteitagen Notiz. In die Bedeutungslosigkeit ist die FDP nicht abgestürzt. Aber viel fehlt nicht.