Gelsenkirchen/Düsseldorf. Er ist Polit-Neuling, Pirat - und Schüler: Alexander Schilling aus Gelsenkirchen drückt vormittags die Schulbank, nachmittags macht er Wahlkampf. Belächelt wird er oft, berichtet er. Mit 18 Jahren ist Schilling der jüngste Landtagsanwärter. Der älteste Kandidat ist 73 Jahre. Ihre Chancen auf einen Einzug in den Landtag stehen aber schlecht.
55 Jahre trennen Alexander Schilling und Helmut Schulz, dennoch haben beide das gleiche Ziel: Sie wollen bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag als Vertreter ihres Wahlkreises ins Parlament gewählt werden. Der Schüler Schilling ist mit seinen 18 Jahren der jüngste Anwärter der sechs größten Parteien, Rentner Schulz mit 73 Jahren der Älteste. Trotzdem sind der Pirat und der Linke beide Neulinge in der Landespolitik.
Am Vormittag drückt Alexander Schilling die Schulbank eines Gymnasiums in Gelsenkirchen. Am Nachmittag wechselt er die Rolle und wird zum Politiker: Er betreut Infostände, verteilt Flyer und nimmt an Diskussionen teil. Am Abend wird er wieder zum Schüler, dann sind die Hausaufgaben dran. Wahlkampf und Lernen, das sei gut vereinbar. "Das lässt sich als Schüler noch besser verbinden", sagt er. Er sei ja nicht den ganzen Tag in der Schule.
2009 beschäftigte sich Schilling erstmals mit den Piraten. "Ich fand sie vorher eher belustigend", sagt er. Dann sei die Debatte über das umstrittene Zugangserschwerungsgesetz gekommen, das Sperren für kinderpornografische Seiten vorsah. Datenschützer befürchteten, dass dadurch eine Zensurinfrastruktur im Netz geschaffen würde. Schilling berichtet, die Piratenpartei habe sich am stärksten dagegen eingesetzt, deshalb sei er zu einem Stammtisch gegangen. Wenig später wurde er Mitglied.
Schilling: "Belächelt wird man oft."
Dass er sich nun ein Jahr vor seinem Abitur als Direktkandidat zur Wahl stellt, stößt nicht überall auf Begeisterung. "Belächelt wird man oft", erzählt der Schüler. Auch die Menschen aus seinem Umfeld hätten sein Engagement zunächst kurios gefunden. "Die wollen ja alles illegal runterladen" sei damals die gängige Meinung zu den Piraten gewesen. Nach der Kandidatur habe sich das geändert. "Es wird viel Verständnis gezeigt". Eine reelle Chance auf ein Direktmandat hat er nicht, das weiß Schilling. Dazu sei die SPD in Gelsenkirchen zu stark. Er betont jedoch: "Falls ich gewählt werde, bin ich vorbereitet".
Insgesamt treten bei der Wahl 1.085 Kandidaten an. Davon sind sieben zwischen 18 und 20 Jahre alt, immerhin 17 älter als 70 Jahre. Die meisten von ihnen kandidieren für Kleinstparteien wie die Freien Wähler oder die Satirepartei Die Partei, einige treten als Einzelkandidaten an. Fast alle sind männlich.
NRW-Landtagswahl 2012Auch wenn Helmut Schulz mit seinem Geburtsjahr 1939 einige Jahrzehnte mehr Lebenserfahrung als Schilling hat, er ist ebenfalls ein Politik-Neuling und steht zum ersten Mal zur Wahl. "Ich habe mich für die Partei ziemlich spät entschieden", erklärt der Direktkandidat der Linken für den Wahlkreis Coesfeld I/Borken III aus Ahaus.
Der Linke im "schwarzen" Münsterland
Schulz kam 2008 zur Partei. Er sei zwar schon immer an Politik interessiert gewesen. In der DDR, wo er geboren und aufgewachsen sei, sei er aber nicht Mitglied der SED gewesen. Ihm sei damals bescheinigt worden, er sei ein zu starker Individualist. Schließlich habe er sich jedoch gesagt, wenn ihn die soziale Ungerechtigkeit nerve, müsse er etwas dagegen tun, und wurde so aktiver Politiker.
Wegen seines vergleichsweise hohen Alters hat der frühere Lehrer für Biologie und Kunst bislang keine negative Reaktionen erlebt. Die Leute seien sogar eher bereit, ihm zuzuhören, eben weil er älter sei. In den vergangenen Wochen klebte Schulz Plakate, gab Interviews, betreute Infostände und ging von Haustür zu Haustür
Große Chancen auf ein Landtagsmandat hat er nicht. Er weiß: "Das Münsterland ist schwarz". Deshalb zieht es ihn am Wahlabend auch nicht in die Landeshauptstadt Düsseldorf. Die Hochrechnungen will er mit Parteikollegen beim Grillen im Garten anschauen. "Wir haben wirklich hart gearbeitet", sagt er rückblickend auf die vergangenen Wochen. Deshalb gönne er sich nun erst einmal etwas Gutes. (dapd)