Witten. . Gerade das Gymnasium in acht Jahren geschafft und das Studium gleich danach möglichst schnell absolvieren – so sieht der Bildungsalltag vieler junger Menschen aus. Dagegen will die Uni Witten/Herdecke ein Zeichen setzen – mit einem neuen Stipendium, mit dem man ein Jahr lang Atem holen kann.

Es gibt viele Stipendien. Die Universität Witten/Herdecke setzt jetzt noch eines oben drauf und fördert ein Jahr lang junge Menschen, die sich mit einer eigenen Projektidee ausprobieren wollen. Ohne Zeitdruck. Ohne Klausurstress. Und ohne die Verpflichtung, hinterher tatsächlich an der Privatuni studieren zu müssen. Dafür mit dem beruhigenden Gefühl, jeden Monat 700 Euro zur Verfügung zu haben.

Die Studierendengesellschaft hat die neue Idee gemeinsam mit dem Uni-Präsidium konzipiert. „Wir erleben in Auswahlgesprächen für einen Studienplatz immer häufiger, dass die Bewerber sehr jung sind und trotzdem meinen, sie müssten schon einen perfekten Lebenslauf vorzeigen, um genommen zu werden“, schildert Levka Meier ihre Erfahrungen. Die 25-Jährige studiert im elften Semester Humanmedizin und gehört dem Vorstand der Studierendengesellschaft an. Sie und ihre Mitstreiter finden: „Die jungen Menschen brauchen Zeit, um ihren eigenen Weg überhaupt erst zu finden.“

Zeichen gegen den Lern-Marathon

Prof. Dr. Martin Butzlaff (52), Präsident der Uni Witten/Herdecke, sieht das genauso. „Die Schulbildung unter G-8-Bedingungen wird zu einem eng gestalteten Hürdenlauf – ohne große Atempause.“ Auf acht Jahre Schule bis zum Abi folgten meist übergangslos sechs Semester Studium. Das neue Stipendium bedeute nun nicht den großen Befreiungsschlag, solle aber ein Zeichen setzen gegen diesen Lern-Marathon und den Stipendiaten als Orientierungshilfe dienen. Nicht zuletzt sei es dem Bildungsanspruch der Uni geschuldet, der für Entschleunigung plädiere. Oder, wie Butzlaff es salopp formuliert: „Leute, nehmt euch Zeit.“

„Pfad.finder“ erhalten einmalige Chance

Das neue Stipendium der Universität Witten/Herdecke nennt sich „Pfad.finder“. Junge Menschen, die Interesse daran haben, können sich ab sofort und noch bis zum 30. Mai bewerben. Weitere Informationen finden sie auf der Homepage unter www.uni-wh.de

Sechs Stipendien pro Jahr werden vergeben. Ein Gremium von etwa fünf Studierenden wird eine Vorauswahl treffen. Und weil das Projekt in die Gesellschaft wirken soll, dürfen auch die Bürger mit darüber abstimmen. Deshalb wird es zu gegebener Zeit ein Online-Voting im Netz geben.

Die jungen Menschen werden bei der Umsetzung ihres Projektes wissenschaftlich unterstützt und von einem Mentor betreut. Das Projekt selbst könne vom Lesezirkel im Altenheim bis zur Unternehmensgründung alles mögliche sein. Allerdings solle es sich an den drei Grundwerten der Uni orientieren: zur Freiheit ermutigen, nach Wahrheit streben, soziale Verantwortung fördern. Und nicht zuletzt müsse es sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft eine relevante Bedeutung haben.

Auch beim Studium über den Tellerrand schauen

Luftschlösser also ausgeschlossen? Levka Meier würde es anders formulieren: Wenn sich solch ein Luftschloss letztlich als machbar herausstelle, hätte auch dieses eine Chance. Ein bisschen Unternehmergeist gehöre allerdings schon dazu und die Bereitschaft „über den Tellerrand zu schauen“. Auch das ein wichtiger Maßstab der Uni.

Die früheste Förderung erfolgt ab dem 1. Juli. Bis dahin wird ein Gremium aus studentischen Vertretern unter den Bewerbern auswählen. „Ich bin“, sagt Levka Meier, „schon sehr gespannt“.