Witten. Beim „Theater inklusive“ stehen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen auf der Bühne. Und das mit künstlerischem Anspruch.
- Das „Theater inklusive“ aus Witten gibt es schon seit 2007. Die Truppe besteht aus Menschen mit geistigen, psychischen oder körperlichen Einschränkungen und solchen ohne.
- Die Stücke werden gemeinsam erarbeitet, nicht nach einem vorgegebenen Textbuch erlernt. Es bleibt Raum für Improvisation.
- Das Miteinander steht hier besonders im Mittelpunkt. Ebenso aber auch der künstlerische Anspruch an die Stücke. Zu sehen gibt es das neueste Stück „Gemeinsam einsam“ zum Beispiel auf der Extraschicht.
Im wahren Leben sind sie depressiv oder anderweitig psychisch erkrankt, sie sind blind oder hören nicht gut, sie haben Trisomie 21 oder sind körperlich eingeschränkt. Oder sie sind einfach ganz „normal“. Doch wenn sie die Bühne betreten, sind sie vor allem eines: Schauspielerinnen und Schauspieler. Beim Wittener „Theater inklusive“ stehen Menschen von vier bis 87 Jahren, mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsam auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Bei der „Extraschicht“ am kommenden Wochenende ist das Ensemble eine der Hauptacts auf Zeche Nachtigall.
Rund 25 Männer, Frauen und Kinder (und ein Blindenhund) bilden die bunte Theatergruppe, die von Axel Thiemann schon seit 2007 geleitet wird, mit immer wieder wechselnder Besetzung, aber auch einigen Stamm-Spielern. In diesem Jahr haben sie in zahlreichen Proben das Stück „Gemeinsam einsam“ entwickelt, in dem es um Nähe und Isolation, das Bedürfnis nach Gemeinschaft und den Wunsch nach Alleinsein geht. Denn das Ensemble erarbeitet seine Geschichten selbst. Hier gibt es keine Theater-Klassiker wie „Romeo und Julia“, und starr nach Textbuch wird erst recht nicht gearbeitet.
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Ein Theaterstück ganz ohne Textbuch
„Es entwickelt sich nach und nach, am Anfang stehen immer ganz viele Ideen“, erzählt Nicole Zellmer, die schon seit über neun Jahren dabei ist. Welches Stück am Ende aufgeführt wird, hängt immer auch von den Teilnehmenden ab. „Wir schauen auf die vielen verschiedenen Fähigkeiten, die die Menschen mitbringen“, erklärt die 51-Jährige. Diese werden dann ins Stück eingebaut. Der 36-jährige Felix zum Beispiel, der in diesem Jahr das erste Mal mit auf der Bühne steht, spielt sehr gut und gerne Geige. Also tut er das auch auf der Bühne. Am Ende des Prozesses steht dann eine Handlung, ein roter Faden - aber keine Texte, dafür viel Improvisation. „Jede der Vorstellungen wird deshalb leicht anders“, so Zellmer.
Wie Felix ist auch dessen Pflegeschwester Daniela (31) zum ersten Mal mit dabei. Ihr gefallen der Zusammenhalt und die netten Leute, sagt sie. Auch Liesel Graf ist noch ganz neu. Die 87-Jährige saß vor rund einem Jahr noch im Publikum. Als Regisseur Thiemann am Ende der Aufführung erwähnte, dass die Gruppe immer offen für neue Mitspieler ist, habe sich Graf noch an Ort und Stelle gemeldet. Was sie an der Schauspieltruppe schätzt? „Die Gemeinschaft, jeder wird hier so genommen, wie er ist.“ Eine Antwort, die viele der hier Aktiven geben - und die das Ensemble im Kern ausmacht.
„Felix füllt sofort die ganze Bühne aus“
Thiemann, der auch Pädagoge und Clown ist, wollte mit seiner Truppe einen Begegnungsort schaffen, an dem Menschen mit und ohne Beeinträchtigung aufeinandertreffen. Dabei soll der Mensch mit all seinen Facetten im Vordergrund stehen. Denn wer hier was „hat“, steht beileibe nicht im Vordergrund. „Wir wollen weg von dieser Idee von „Du bist behindert“, bei uns ist das egal, jeder ist willkommen“, sagt der 52-Jährige.
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Den einzigen Unterschied, den der Regisseur zwischen seinen beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Spielern deutlich sieht: Die Menschen ohne Behinderung würden zu viel nachdenken, deshalb oft am Anfang nicht auf der Bühne wirken. „Die anderen betreten die Bühne und sind einfach da, sie wirken sofort“, sagt Thiemann. „Felix zum Beispiel füllt die Bühne sofort aus“, berichtet er nicht ohne Stolz. Im persönlichen Gespräch dagegen ist der 36-Jährige eher selbstkritisch und zurückhaltend.
„Wir passen aufeinander auf“
Auch von seinem vielleicht größten Erfolg berichtet stellvertretend Regisseur Thiemann: Felix hat eigentlich panische Angst vor Hunden. Für eine Szene von „Gemeinsam einsam“ hat er diese aber überwunden. Denn in seiner Rolle als Straßenmusiker, wirft er einer Obdachlosen Münzen in den Hut - und daneben liegt deren (Blinden-)Hund.
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„Natürlich passen wir hier auch aufeinander auf“, sagt Darstellerin Nicole Zellmer, im echten Leben Krankenschwester. So helfe man sich etwa gegenseitig beim Umziehen oder dass niemand seinen Einsatz verpasst. Am Ende aber sollen die künstlerische Arbeit und das „Produkt“ im Fokus stehen. Die Stücke sollen einem künstlerischen Anspruch genügen, betont Regisseur Thiemann. Die Zuschauer sollen sich bei den Aufführungen nicht denken „Ach schön, da steht jemand mit Behinderung auf der Bühne“. Sondern einfach die Show genießen. Auch deshalb wolle man an Orten Theater spielen, an denen eben Theater gespielt wird, sagt Thiemann.
Aufführungstermine
Am kommenden Samstag (1.6.) führt das „Theater inklusive“ sein neues Stück bei der Extraschicht an der Zeche Nachtigall auf. Los geht es um 18.30 Uhr. Die weiteren Aufführungstermine sind: Freitag und Samstag, 7. und 8. Juni 24, jeweils um 19 Uhr in der Werkstadt (Mannesmannstr. 6). Am Freitag, 21. Juni ist das Ensemble dann ab 19 Uhr zu Gast an der Uni Witten Herdecke (Alfred-Herrhausen-Str. 45).
Die Karten kosten 10 Euro, ermäßigt 8 Euro. Kartenvorbestellung unter 0234/917 890 80 oder info@theaterinklusive.de. Die Aufführung an der Uni ist barrierefrei.
Das „Theater inklusive“ wird derzeit für drei Jahre von der „Aktion Mensch“ gefördert. Viele Schauspielerinnen und Schauspieler kommen von der Lebenshilfe Bochum.
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