Witten. Wittens Rathausplatz hat sich am Samstag in eine große Showbühne verwandelt – weil es vielen Theaterleuten gerade finanziell nicht gut geht.

Das Theater steckt in der Krise. Neben gesellschaftlichem Ansehen fehlt es vor allem an Geld. Besonders betroffen sind Produktionen für Kinder und Jugendliche. Deshalb haben das mobile Kindertheater BrilLe und seine Kooperationspartner am Samstag (9.9.) auf den Rathausplatz geladen. Hier zeigen Schauspieler und Theaterbegeisterte in einem Erlebnisparcours, was Theater sein kann und was es unbedingt braucht.

Trotz der brütenden Mittagssonne haben sich einige Eltern mit ihrem Nachwuchs auf dem Rathausplatz eingefunden, um dem Spektakel beizuwohnen oder sogar mitzumachen. Die Stuhlreihen vor der Hauptbühne am Rathaus sind voll besetzt. Los geht es mit einer Hochzeit. Zu den Klängen von Mendelssohns berühmtem Hochzeitsmarsch versammelt sich das Ensemble auf der Bühne – ganz in weiß. Über ihnen erhebt sich eine Pastorin in wallender schwarzer Robe. Mit großem Pathos verkündet sie die Vermählung des Ensembles mit dem Theater. Schließlich gibt es keine Einwände, oder? Doch!

+++Das gab’s noch nie: Großes Theater vor dem Wittener Rathaus+++

Gut besucht: In der brütenden Mittagshitze schauten mehrere Zuschauer und Zuschauerinnen dem Theaterparcours auf dem Rathausplatz zu.
Gut besucht: In der brütenden Mittagshitze schauten mehrere Zuschauer und Zuschauerinnen dem Theaterparcours auf dem Rathausplatz zu. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Liebe zum Theater ist nicht immer rosig

Theater ist anstrengend, meist nicht barrierefrei und man muss sich ständig beweisen. Außerdem wäre es schön, wenn man davon leben kann. So klingen die Einwände aus dem Ensemble. Bis zum Lebensende mit solchen Herausforderungen kämpfen zu müssen, ist nicht attraktiv. Das Ensemble sagt „Nein!“ Die Liebe zum Theater ist nun mal nicht immer rosig.

Warum die Schauspieler dennoch ihr Herz an das Theater verloren haben, wird an den Parcours-Stationen deutlich. Gezeigt werden unterschiedlichste Bereiche: Puppenspiel, Improvisation, Verkleiden, Geschichten erfinden und vieles mehr. Im Mittelpunkt der Mitmachangebote steht die Fantasie.

Das kleinste Theater der Welt steckt in einem Kasten

Ausgestattet mit einem Koffer voller Kostüme und Requisiten animiert Sozialpädagoge Maik Voswinkel an der Improvisations-Station zum Mitmachen. Das lässt sich Leo (7) nicht zweimal sagen. Er denkt sich kurzerhand einen Kriminalfall aus: Das Theater wurde gestohlen, Kommissar Voswinkel soll es finden. Dabei zwingt Leo den Pädagogen von einem Kostüm ins nächste. Voswinkel, der mittlerweile einen Polizeihut, eine Clownsnase und einen weißen Kittel trägt, ist begeistert. „Der hört heute gar nicht mehr auf. Das ist irre!“

Improvisations-Station zum Mitmachen: Maik Voswinkel, links, und Leo können dank einer Kiste zu allem werden, was sie wollen.
Improvisations-Station zum Mitmachen: Maik Voswinkel, links, und Leo können dank einer Kiste zu allem werden, was sie wollen. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Dass Theater nicht nur viel ermöglicht, sondern seinen Akteuren auch viel abverlangt, ist Thema im „kleinsten Theater der Welt“ – einem etwa drei mal vier Meter kleinen schwarzen Kasten. Drinnen kniet die freie Schauspielerin und Regisseurin Sophia Godau auf der Bühne vor einem Laptop und hadert mit der Technik. „Eins, zwei... wer mich hören kann, hebt bitte die Hand!“ Zwölf Hände schnellen nach oben, endlich ist es geschafft. Das Publikum im „kleinsten Theater der Welt“ erlebt gerade eine Generalprobe samt Vorbereitungen live auf der Bühne. Dabei sind es gerade die Technikprobleme, welche die Defizite im Kulturbetrieb deutlich aufzeigen. Godaus Stück arbeitet mit einer Mischung aus Live-Performance und Aufzeichnung. Das Publikum trägt Funkkopfhörer, doch der Ton macht Probleme.

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„Eigentlich wollte ich solche technisch aufwändigen Produktionen nicht mehr alleine durchziehen. Ich bräuchte jemanden, der sich um die Technik kümmert“, gesteht Godau. Doch dafür fehlt schlicht das Geld. Eine richtige Probe mit den Funkkopfhörern war auch nicht möglich. Die Technikmiete ist zu hoch.

Als alles eingepegelt ist, geht es los. In Godaus Performance geht es um Selbstaufgabe, Versagensängste und die psychische Belastung, die der Theaterbetrieb mit sich bringt. Langsam versteht man, warum.

Finanzierung anhand einer Sahnetorte erklärt

Britta Lennardt führt durch das Programm. Sie hat den „Theaterparcours“ des Brille-Theaters auf dem Rathausplatz in Witten auf die Beine gestellt
Britta Lennardt führt durch das Programm. Sie hat den „Theaterparcours“ des Brille-Theaters auf dem Rathausplatz in Witten auf die Beine gestellt © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Wie prekär die finanzielle Situation der Theaterschaffenden in NRW wirklich ist, zeigt Britta Lennardt, die Leiterin des BrilLe Theaters, auf der Hauptbühne anhand einer Sahnetorte auf. So passt der Kulturetat zwar in ein Tortendiagramm, satt wird von einem derart winzigen Stück aber niemand. Denn von den stolzen 11 Prozent Förderung für Kultur und Wissenschaft, erhalte die Kultur lediglich mickrige 0,34 Prozent. Das ist kein besonders kleines Stück. Das sind Krümel.

Deshalb fordern die Künstler auf dem Rathausplatz vor allem eins: Sie wollen mehr vom Kuchen. Im kommenden Jahr werden die Wittener Theatermacher auch in Köln und Münster ihre Forderungen stellen. Und wenn das Geld stimmt, kann die Liebe zum Theater wieder aufblühen. So der Wunsch.