Witten. Das neue Cannabisgesetz erfordert ein Umdenken bei Gericht. Ein 33-jähriger Wittener muss erst zahlen, wenn er erneut straffällig wird. Zu milde?
Am Amtsgericht Witten musste in dieser Woche zum ersten Mal das neue Cannabisgesetz angewendet werden. Am Ende fällte das Schöffengericht ein eher seltenes Urteil: 5400 Euro Geldstrafe unter Strafvorbehalt, also erst zahlbar, wenn der Angeklagte erneut straffällig wird. Der milde Schuldspruch hatte aber auch mit der positiven Entwicklung des Sozialpädagogen (33) zu tun.
Am 24. Mai 2022 wurde das Haus durchsucht, in dem der Mann lebt. Der Verdacht: Besitz von Betäubungsmitteln und Handel damit. Im Erdgeschoss fanden die Polizeibeamten Glasbehältnisse mit mehreren Portionen Cannabis. Auch in der Wohnung im Obergeschoss wurden sie fündig. Dort entdeckten sie eine 90 Gramm schwere Haschischplatte sowie eine Portion von 1,57 Gramm. Das Gesamtgewicht aller sichergestellten Drogen betrug 178,04 Gramm, der darin enthaltene, rauschbewirkende THC-Gehalt 36,63 Gramm.
Staatsanwaltschaft: 600 Fälle neu verhandeln
Das neue Cannabisgesetz, das auch rückwirkend angewendet wird, beschert den Gerichten zusätzliche Arbeit. So musste die Staatsanwaltschaft am Landgericht Bochum, an dem auch Wittener Fälle verhandelt werden, insgesamt 4300 Verfahren neu prüfen. Bei 600 Fällen bestehe nun erneut Handlungsbedarf, so Sprecher Gabriel Klus.
Dies gelte für alle Betroffenen, die vor dem 1. April noch nach altem Gesetz verurteilt wurden und deren Strafe noch nicht vollstreckt wurde. Es könne nun sein, dass ihre Tat nach neuem Recht nicht mehr strafbar war oder dass sie eine mildere Strafe erhalten.
Bisher ging die Rechtsprechung ab einem THC-Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm von einer „nicht geringen Menge“ aus. Nach der neuen Rechtslage gilt diese Grenze nicht mehr. Inzwischen ist der häusliche Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis noch legal, der häusliche Besitz von bis zu 60 Gramm nur noch eine Ordnungswidrigkeit. „Wir befinden uns in einer äußerst interessanten Phase“, kommentierte die Vorsitzende Richterin Monstadt das juristische Neuland, „es erfordert viel Umdenken“.
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Im Handy, das bei dem Angeklagten sichergestellt wurde, fand sich ein Chat, der durchaus zweideutig schien: Eine Frau aus Fröndenberg fragte nach „drei oder vier Eiern“, die sie kaufen wolle. Für die Ermittler war klar, dass es sich um eine verschleierte Drogenbestellung handelte und in Wirklichkeit um den Kauf von „drei oder vier Gramm Cannabis“ ging.
Die Staatsanwaltschaft warf dem Sozialpädagogen deshalb auch Handel mit Betäubungsmitteln vor. Doch der bestritt vehement. Das Gegenteil konnte nicht bewiesen werden. Der schwerere Vorwurf des strafbaren Cannabis-Dealens war damit vom Tisch.
Die 90-Gramm-Haschischplatte konnte dem Angeklagten nicht zugerechnet werden, die 1,57 Gramm ebenfalls nicht. So blieben letztlich 86 Gramm Cannabis übrig, dessen Besitz und Konsum sich der 33-Jährige und seine Lebensgefährtin teilten. „Absolut zu Gunsten des Angeklagten heruntergerechnet, kommen wir dann auf 50 Gramm Cannabis brutto mit einem THC-Gehalt von 15 Gramm netto“, hieß es im Urteil.
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Entscheidend war aber noch etwas anderes: Nach der Hausdurchsuchung hörte der Sozialpädagoge mit dem Kiffen auf, nahm an 19 Beratungsgesprächen der Sucht- und Drogenhilfe Witten teil und gab seit Februar 2023 regelmäßig Urinproben beim Arzt ab. Alle Drogenscreenings fielen negativ aus. Verteidiger Thorsten Hönnscheidt dazu: „Mein Mandant hat einen Sinneswandel vorgelegt, der seinesgleichen sucht“. Die Richterin stimmte dem zu.
Die selten gewählte Verurteilung zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt würde auch nicht in seinem Führungszeugnis auftauchen. Als Bußauflage, die mehr als Mahnung zählt, muss der Verurteilte allerdings trotzdem 4000 Euro in zehn Raten zahlen. Ob die Staatsanwaltschaft Bochum das Urteil akzeptiert, ist noch offen: Der Anklagevertreter hatte offenbar ein ganz anderes Strafmaß vor Augen und neun Monate Haft auf Bewährung gefordert.
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