Witten. Mit einer bizarren Veranstaltung haben elf Personen eine Gerichtsverhandlung in Witten torpediert. Und stundenlang Justiz und Polizei provoziert.
Elf Personen und ein Baby legten am Montagmorgen eine Spur der Bergerstraße in Witten lahm. Ein Mitglied aus der Anarcho-Szene hatte die bizarre Versammlung mitten auf der Fahrbahn offiziell genehmigt bekommen. Die Polizei war mehr als einem Dutzend Beamten und vier Streifenwagen vor Ort, um den Autoverkehr in Fahrtrichtung Bahnhof anzuhalten und umzuleiten.
Hintergrund des inszenierten Spektakels: ein Schwarzfahrer-Prozess im Amtsgericht, den das bunte Grüppchen mit Tamtam begleitete, um für Aufsehen zu sorgen. Bereits kurz nach acht Uhr morgens haben sich erste Personen neben dem Justizgebäude versammelt. Aus einer Lautsprecherbox, die mitten auf der Bergerstraße abgestellt wird, dröhnt in voller Lautstärke die Punk-Hymne der Antifa-Bewegung: „Frankfurter Aale, heute gibt’s Randale.“
„Tod aller Cops“ und kostenloser ÖPNV
Der Krach nervt Anwohner und Ordnungshüter. „Die Musik muss leiser sein, weil sonst die Kommunikation der Kollegen gestört wird“, greift die Einsatzleiterin der Wittener Polizei energisch ein. Derweil wird auf der Fahrbahn aus Metallstangen und einem Zeltdach ein Infostand zusammengesteckt. Neben der Regenbogenfahne liegen Flugblätter aus. Auf Transparenten prangen Parolen, die irgendwie nicht zusammenpassen und den „Tod aller Cops“, „Brennende Gefängnisse“ oder den „kostenlosen Verkehr für alle“ fordern.
Gemeint ist damit der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Und das ist dann auch das Thema, das ab neun Uhr vor einer Einzelrichterin im Amtsgericht verhandelt wird: Es geht um eine Vielzahl von Schwarzfahrten, für die eine junge Person (22) aus der Transgender-Szene – also Mann oder Frau, das bleibt offen – angeklagt ist. Den Vorwurf des „Erschleichens von Leistungen“, wie das Gesetz das Schwarzfahren nennt, will die bei ihren Gratis-Reisen erwischte Person auf sich bezogen nicht gelten lassen. Denn sie habe stets ein großes Schild mit dem Hinweis getragen: „Ich fahre umsonst, das heißt, ohne gültige Fahrkarte. Kostenloser Verkehr für alle!“ Insofern sei kein Kontrolleur getäuscht worden, sie sei ganz offen und ehrlich ohne Ticket gefahren. Mit den „Aktionsfreifahrten“ wolle man für eine klima- und umweltgerechte Verkehrswende kämpfen. Die Forderung: „Kostenloser ÖPNV für alle und immer.“
Seitenlange Erklärungen, Eingaben und Befangenheitsanträge
Während im Amtsgericht der Prozess mit seitenlangen Erklärungen, Eingaben und Befangenheitsanträgen sehr schleppend in Gang kommt, läuft neben dem Gerichtsgebäude die Blockade der Bergerstraße weiter. Ein „Klimabündnis Witten“ sei der Veranstalter und etwa 30 Personen wären dazu angemeldet worden, erklärt Frank Lemanis, Leiter der Polizeipressestelle Bochum. Die Kundgebung sollte zwischen 8 und 16 Uhr direkt im Eingangsbereich des Amtsgerichts, auf dem Bürgersteig und auf der Fahrbahn davor stattfinden. Lemanis: „Das hat die Polizei aber nicht genehmigt.“ Ganz im Interesse von Dr. Jens Stahlschmidt, dem stellvertretenden Direktor des Amtsgerichts: „Wir legen großen Wert darauf, dass der Dienstbetrieb nicht gestört wird und Rechtsschutzsuchende ohne Hindernisse das Gelände betreten können.“
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Daraufhin hat der Anmelder aus Dortmund, der übrigens identisch mit der angeklagten Person aus dem Schwarzfahrer-Verfahren ist, das Verwaltungsgericht Arnsberg angerufen und einen Eilantrag gegen das Land NRW und die Polizei gestellt, weiß Gerichtssprecherin Hellen Fischer. Man habe sich schließlich genaustens geeinigt, „dass die Versammlung auf beiden Seiten der nach Westen hin verlaufenden Fahrspuren der Bergerstraße stattfindet. Und zwar auf Höhe der Litfaßsäule und dem westlichen Ende der Verkehrsinsel östlich zum Einmündungsbereich in die Steinstraße.“
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Statt Verhandlung: Essen, trinken, reden
Zurück in den Gerichtssaal. Es ist kurz nach 12 Uhr mittags, die Verhandlung läuft bereits seit drei Stunden und noch immer konnte bis dahin nicht die Anklageschrift verlesen werden. Vor dem Saal haben sich Polizisten und Justizwachtmeister positioniert, denn mittlerweile befinden sich weitere Anhänger und Sympathisanten aus der Anarchisten-Szene im Gerichtsflur oder im Zuschauerraum.
Sie haben auch ein Baby dabei, das sich immer mal wieder schreiend bemerkbar macht. Sie essen und trinken während der Verhandlung, lachen, reden mitten in der Sitzung und stören so immer wieder den geordneten Ablauf. „Wegen ungebührlichen Verhaltens“ werden einmal 150 Euro Ordnungsgeld verhängt, die Provokationen bleiben. Die Richterin kassiert einen Befangenheitsantrag und wird abgelehnt. Auch das verzögert das Verfahren, das sich noch bis in den späten Nachmittag hinein hinzieht.
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