Witten. Ein Dauerstreit zwischen verfeindeten Nachbarn beschäftigt das Amtsgericht. Ein 46-jähriger Wittener ist angeklagt. Doch ist er an allem schuld?
36 Straftaten soll ein Mann (46) aus Witten in nur acht Monaten begangen haben. Ganze zwölf Minuten brauchte die Staatsanwältin vor dem Amtsgericht, um alle Vorwürfe vorzutragen, die in mehreren Anklageschriften aufgelistet sind. Es geht um Nachbarschaftsterror. Doch so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint, ist der Fall offenbar nicht.
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Hintergrund des umfangreichen Strafverfahrens, das sich vor Gerichtschefin Barbara Monstadt zu einem hohen Aktenberg auftürmt, sind Dauerstreitigkeiten zwischen verfeindeten Anwohnern. Diese wohnen in der City in einem Kreuzungsbereich der Ardeystraße Eck an Eck in verschiedenen Mietshäusern.
Wittener soll schon geschubst und geschlagen haben
Auf der einen Seite steht ein Ehepaar mit seiner 15-jährigen Tochter, auf der anderen der Angeklagte mit seiner aktuellen Lebensgefährtin. Regelmäßig, wenn sich die beiden verfeindeten Lager im Alltag begegneten, käme es zu aggressiven Auseinandersetzungen: Es wird geschrien, gepöbelt und geschubst. Es sei auch schon gekratzt und geschlagen worden.
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Beim zufälligen Zusammentreffen im Boni-Center und im Lutherpark habe der Angeklagte seinem Nachbarn eine Bierflasche gegen die Brust gestoßen. Ein anderes Mal seien ein Teelichthalter und eine Schallplatte vom Balkon auf die Tochter des Nachbarn geworfen worden. Sie wurde aber nicht getroffen. So steht es in den dicken Ordnern mit Anzeigen, Vernehmungsprotokollen und schließlich auch in den Anklageschriften.
Gegenseite ruft aus Prinzip die Polizei hinzu
Denn jedes Mal, wenn der Angeklagte ausrastet, ruft die Gegenseite aus Prinzip die Polizei hinzu. Die Anzeigeerstatter sind da sehr konsequent. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft angesichts der Fülle der angezeigten Vorfälle den 46-Jährigen als Aggressor ausgemacht und angeklagt.
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Seit 1998 trinke er regelmäßig, sagt er selbst und bekennt sich als Alkoholiker, der täglich bis zu 15 Halbliterflaschen Bier brauche. Dann könne es schon mal vorkommen, dass er betrunken sehr ausfällig werde: „Verpiss dich, du Schlampe“, soll er der Nachbarin aus dem Fenster zugerufen haben, und zum Nachbarn: „Du bist pädophil und schickst deine Kinder auf den Strich!“
Angeklagter hält sich nicht an Abstands-Anordnung
Ein Großteil der 36 Vorwürfe betrifft solche derben Beleidigungen, aber auch Drohungen wie: „Ich stech euch alle ab!“ Ein Zivilrichter hatte bereits nach dem Gewaltschutzgesetz angeordnet, dass sich der Angeklagte seinen Nachbarn nicht mehr nähern darf und mindestens 20 Meter Abstand halten muss. Dagegen hatte er im Tatzeitraum von Oktober vergangenen Jahres bis Mitte Juni dieses Jahres offenbar regelmäßig verstoßen.
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Am 10. Januar soll der Strafprozess ganz vorne beginnen, weil noch sechs Zeugen gehört werden müssen. In Erinnerung bleibt aber jetzt schon die Zeugenaussage eines Bochumer Polizisten (43), der häufig zu den Einsatzorten nach Witten gerufen wurde: „Für uns war das ein Dauerthema. Wir haben mindestens 50 Vorgänge registriert.“ Der Beamte rückt die angezeigten Fälle in ein ganz anderes Licht: „Die Nachbarn sind daran nicht völlig unschuldig. Es war ein wechselseitiges Spiel von Provokation und Gegenreaktion.“ Er redet Klartext: „Wegen solcher Bagatellen können wir uns nicht mit wichtigeren Sachen beschäftigen. Das geht mir auf den Geist.“