Witten. Ihre Rezepte vom Arzt ergänzte eine Wittenerin handschriftlich um weitere Medikamente im Wert von über 10.000 Euro. Diese Masche ging lange gut.

Sie ließ sich Medikamente gegen Schuppenflechte verschreiben und fälschte die Rezepte. Auf diese Weise erschlich sich eine Frau aus Witten (45) Antibiotika im Wert von über 10.000 Euro. Geschädigt wurde ihre Krankenkasse. Die Patientin ist weder medikamentenabhängig, noch hat sie die Präparate weiterverkauft. Ihr Motiv war eher tragisch.

Das Schöffengericht Witten unter Vorsitz von Dr. Barbara Monstadt verhandelte jetzt diesen Fall: Im Zeitraum von Juni 2020 bis September 2021 waren insgesamt 20 gefälschte Kassenrezepte bei drei Wittener Apotheken eingelöst worden. Die Verordnungen hatten die jeweiligen Ärzte zwar ordnungsgemäß maschinell ausgestellt, die Angeklagte hatte sie jedoch handschriftlich ergänzt. Antibiotika und ein teures Darmpräparat fügte sie einfach hinzu. Damit der Schwindel nicht auffiel, wurden auch noch gefälschte Namenskürzel daneben gesetzt. So sah es aus, als hätte der Arzt es genehmigt.

Wittenerin hat lange Krankheitsgeschichte

Die Apotheken schöpften keinen Verdacht, ebenso wenig die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), die die Präparate letztlich bezahlte. Ihr Schaden wird in der Anklageschrift auf exakt 10.007,11 Euro beziffert. Gewerbsmäßige Urkundenfälschung und gewerbsmäßiger Betrug in 20 Fällen lauteten die Vorwürfe, die das Gericht am Ende durch Urteil auch bestätigte.

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Ein aufmerksamer Wittener Apotheker (60) hatte die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Er benutzt ein spezielles Scanner-Gerät, das ihm vorgelegte Rezepte auf Fälschungen hin überprüft. Der Scanner kann Handschriften jedoch nicht lesen und erkannte deshalb die Manipulation nicht. Dem Apotheker selbst hingegen fiel es auf: „Ich habe die Kasse darauf aufmerksam gemacht, dass hier gefälschte Rezepte vorliegen“, berichtete er als Zeuge.

Angeklagte: „Kein Arzt konnte mir helfen“

„Natürlich will ich aussagen“, räumte die nicht vorbestrafte Angeklagte alles ein. Hintergrund sei eine lange Krankheitsgeschichte. 2014 trat die Grunderkrankung auf: „Es kam ganz plötzlich. Ich sah Doppelbilder, hatte Schwindel und Schmerzen.“ Mehr als 60 Ärzte habe sie deshalb aufgesucht, „keiner konnte mir helfen“. In der Uniklinik Bochum wurde sie eine Woche lang stationär untersucht, „aber man hat leider nichts gefunden“. Bis heute gebe es keine Diagnose und sie müsse leiden.

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Als examinierte Altenpflegerin mit medizinischen Grundkenntnissen entschloss sie sich zur verhängnisvollen Selbsttherapie. Mit Antibiotika gelang es ihr tatsächlich, die Krankheit einzudämmen. Doch die Ärzte hätten ihr diese Präparate nicht verschrieben, also habe sie sie sich „selbst verordnet“: „Ich hatte jedes Mal ein schlechtes Gewissen, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich wollte einfach, dass es mir besser geht.“ Inzwischen lebe sie weiter mit den Gelenkschmerzen. Demnächst hat sie einen Termin in der Uniklinik Essen mit unangenehmen Untersuchungen. Dort würden ihr Nadeln mit Strom ins Gesicht gesteckt: „Da muss ich jetzt durch.“

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Die Vorsitzende Richterin Dr. Monstadt: „Dann haben wir das jetzt als traurigen Fall geklärt. Ihre Lebensgeschichte hat das Gericht berührt.“ Das Urteil lautete auf ein Jahr und zehn Monate Haft, ausgesetzt zur Bewährung. Barbara Monstadt begründet die Entscheidung des Schöffensgericht so: „Die bisher nicht vorbestrafte Angeklagte steckte in einem Dilemma, das man aber so nicht lösen darf.“

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