Witten. Andreas Blappert (58) wohnt auf dem Christopherus-Hof in Witten, weil er Unterstützung braucht. Dort hat er auch seine große Liebe gefunden.
Das Kastanienhaus steht auf einem riesigen Gelände in Witten und gehört zum Christopherus-Hof. Hier tragen alle Gebäude Namen von Bäumen. In sieben Hausgemeinschaften leben 70 Menschen, die Unterstützung brauchen. Einer von ihnen ist der 58-jährige Andreas Blappert – BVB-Fan und Ruderer.
Dieser Tag ist ein besonderer auf dem Hof, denn dort feiern sie das 40-jährige Bestehen der Christopherus-Lebensgemeinschaft. Eltern haben den Verein damals gegründet, um Menschen mit Assistenzbedarf – so nennen sie es hier – zu helfen. Luftballons fliegen in den Himmel. Es gibt ein paar kurze Reden und ein Büfett. Doch vorher zeigt Andreas Blappert uns, wo er wohnt.
Bewohner lebt mit seiner Freundin im Wittener Kastanienhaus
Sichtlich stolz führt er die Besucher durch das Kastanienhaus – ein altehrwürdiges Gemäuer. Dort, unterm Dach, hat er ein eigenes Zimmer. Eine Grundausstattung war vorhanden, die er durch eigene Möbel und Deko ergänzen konnte. Ein schwarz-gelber Kalender hängt überm Bett. Gegenüber eine gerahmte Urkunde für die 30 Jahre, die Blappert schon in den Werkstätten des Christopherus-Hauses arbeitet. Den großen Fernseher hat er sich neulich geleistet. Auch seine Freundin Heike Glatthaar (49) lebt hier in der WG. Die beiden sind seit 21 Jahren ein Paar.
Unten im Kastanienhaus befinden sich Gemeinschaftsräume. Leuchtend rote Sofas stehen im Wohnzimmer und Schränke aus Holz. Auf dem Esstisch: Vasen mit Sonnenblumen. An einer Wand hängt ein riesiges buntes Bild. Ein Zuhause zum Wohlfühlen. Hinterm Gebäude gibt es noch einen großen Garten mit Hühnern und Bienenstöcken. Denn sie imkern hier selbst.
Auf dem Christopherus-Hof zählt das anthroposophische Menschenbild
Auch Andreas Blapperts bester Freund ist da. Sie kennen sich seit der Schulzeit. Der 57-jährige Frank Jager – Fan des VfL Bochum – lebt ebenfalls in einer stationären Einrichtung des Christopherus-Hauses und ist mit seiner Mutter aus Bochum zum Jubiläumsfest nach Witten gekommen. Er habe nie alleine wohnen wollen. „Aber ich habe keine Geschwister. Wer soll sich um mich kümmern, wenn meine Mutter mal nicht mehr ist. Alleine komme ich mit meinen Tabletten nicht klar“, erklärt Jager, warum er vor vielen Jahren schon den Schritt in die besondere WG wagte.
Ihm gefalle außerdem der anthroposophische Gedanke. „Es ist ein Menschenbild, das den gesamten Menschen sieht.“ Von Behinderung spricht hier keiner, sondern von Assistenzbedarf oder seelenpflegebedürftigen Menschen. Frank Jager akzeptiert auch „Menschen mit weniger Möglichkeiten“. Ihm ist das wichtig: „Ich will ein Mensch sein und kein Behinderter. Jeder hat dasselbe Recht, sein Leben zu leben.“
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Doch dabei braucht es im Falle von Frank Jager und Andreas Blappert Unterstützung. „Für uns war klar, dass unser Sohn einen Lebensplatz braucht, wenn er ein gewisses Alter erreicht hat“, sagt Wilfried Blappert (78). Auch weil die Situation spätestens dann schwierig wird, wenn die Eltern älter werden und sich nicht mehr so kümmern können.
Engagierte Eltern seit 40 Jahren aktiv
1983 gründeten engagierte Eltern, deren Kinder in den Einrichtungen des Christopherus-Haus e.V. in Witten, Bochum und Dortmund betreut wurden, die Christopherus-Lebensgemeinschaft (CLG). Der Verein setzte sich zum Ziel, Menschen mit Assistenzbedarf zu unterstützen, Angehörige zu beraten sowie bei der Schaffung neuer Lebensplätze mitzuwirken.
Das ehrenamtlich tätige Eltern- und Angehörigennetzwerk zählt rund 80 Mitglieder und ist auf Spenden angewiesen. Zum 40-jährigen Bestehen überreichte der Vorstand den Bewohnern einen Scheck in Höhe von 10.000 Euro zur Anschaffung von Tablets und medialen Endgeräten zur Nutzung in den Wohngemeinschaften.
Schon als der Junge zwölf Jahre alt war, haben sie angefangen zu suchen. Plätze sind knapp, die Wartelisten sind lang. Über 100 stehen aktuell drauf. Der Vater hat dann die Christopherus-Lebensgemeinschaft mitbegründet, um bei der Beschaffung von Wohnraum für Kinder wie seinen Sohn zu helfen. Seitdem gehört er zum Vorstand. Auf dem Wittener Hof gibt es kein Gebäude, an dem er nicht selbst mit angepackt hat.
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Es hat sich gelohnt. Andreas Blappert fühlt sich wohl hier, führt ein so weit wie möglich eigenständiges Leben und ist trotzdem versorgt. Donnerstags fährt er allein mit Bus und Bahn zur Musikschule nach Bochum. Dort spielt er Klavier. „Ich gehe auch gern in der Wittener Innenstadt ein Eis essen oder zur Uni spazieren.“ Die Universität Witten/Herdecke liegt ja gleich in der Nachbarschaft. Einmal im Monat ist Besuchswochenende. Dann fährt er zu seiner Familie nach Bochum. Dort, sagt Andreas Blappert, sei sein erstes Zuhause. „Mein zweites ist hier im Kastanienhaus.“