Witten. Die wilde Ex-Müllkippe „An der Schlinke“ sollte schon 2017 saniert werden. Doch erst jetzt rollen die Bagger. Warum Sprengungen geplant sind.

Die Pläne für die Sanierung der ehemaligen wilden Müllkippe an der Straße „An der Schlinke“ in Witten liegen seit 2016 auf dem Tisch. Die Deponie soll etwa mithilfe unterirdischer Schächte trocken gelegt werden. Losgehen sollte es eigentlich 2017. Nach jahrelanger Verzögerung rollen nun noch in diesem Monat die Bagger an.

Und es wird Zeit. Denn aus der Altdeponie in Annen sickern giftige Chlorphenole ins Grundwasser. Auch Dioxine wurden festgestellt – und das erstmals 1985. Seit 2000 wird das verseuchte Grundwasser an Ort und Stelle in eine Sickerwasserreinigungsanlage gepumpt und dort gereinigt. Doch eine Dauerlösung konnte das nicht sein. Der Deponiekörper müsse trockengelegt werden, da es nicht möglich sei, die Schadstoffe einzukapseln, sagte schon damals Diplom-Geologin Sigrid Brüggen von der Abfall- und Bodenschutzbehörde des Ennepe-Ruhr-Kreises.

Die verseuchte Deponie liegt zwischen Stockumer Straße und „An der Schlinke“ in Witten-Annen. Sie ist hier vorne links im Bild zu sehen, der Grünstreifen unterhalb des abgemähten Ackers.
Die verseuchte Deponie liegt zwischen Stockumer Straße und „An der Schlinke“ in Witten-Annen. Sie ist hier vorne links im Bild zu sehen, der Grünstreifen unterhalb des abgemähten Ackers. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Erbstollentechnik soll alte Deponie in Witten-Annen trockenlegen

Für die Sanierung setzt der federführende Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung (AAV) auf die Erbstollentechnik, die aus dem Bergbau bekannt ist. Unterhalb der belasteten Bodenschichten soll ein Drainage-System entstehen, das das Wasser ableitet. Dafür wird zunächst ab Oktober ein rund 20 Meter tiefer und bis zu zehn Meter breiter Schacht gebaut. Ab März 2024 folgen dann die Bohrungen für die horizontal unter der Deponie laufenden Drainagen. Durch diese bis zu 85 Meter langen Kanäle soll in Zukunft das kontaminierte Deponiewasser in den Schacht geleitet und gereinigt werden.

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Die Arbeiten werden herausfordernd: Der Boden besteht aus hartem Sand- und schmierigem Tonstein, außerdem quert eine große Starkstromleitung das Gelände in geringer Höhe. Für den Schacht werden Bagger zunächst das Gestein lösen. Ist das nicht mehr möglich, folgen Sprengungen – besonders im Bereich der Stromleitung müssten diese besonders gezielt und kontrolliert durchgeführt werden, teilt der AVV mit. Die Arbeiten werden durch Sachverständige überwacht. Auch werden während der gesamten Bauarbeiten die Erschütterungen gemessen.

Pro Woche eine Sprengung

Pro Woche sei jeweils nur eine Sprengung geplant, sagt Verbandssprecherin Sabine Schidlowski-Boos. Das schont die Anwohner und den Verkehr. Denn die Stockumer Straße wird jeweils kurzzeitig voll gesperrt. Pro Explosion will man einen Meter tiefer ins Erdreich kommen. Schätzungsweise vier Monate wird es dauern, bis der Schacht seine endgültige Größe erreicht hat.

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Wenn das Drainagesystem einmal steht, soll deutlich weniger verunreinigtes Sickerwasser ins Grundwasser gelangen. Zusätzlich ist vorgesehen, später auch die Oberfläche abzudichten, um die Neubildung von Sickerwasser durch Regen und Schnee zu unterbinden. Das Zusammenspiel beider Maßnahmen soll die alte Deponie nachhaltig austrocknen.

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Abfälle aus der Holzschutzmittelproduktion

6000 Quadratmeter groß ist die Fläche des ehemaligen Steinbruchs an der Stockumer Straße. Nachdem dort kein Sandstein mehr abgebaut wurde, wurde er von Anfang der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre als behördlich nicht genehmigte Müllkippe genutzt. Im nördlichen, rund 3.000 m² großen Bereich wurden Abfälle aus der Pentachlorphenol- und Holzschutzmittelproduktion unsachgemäß deponiert, hinzu kommen Werksabfälle von örtlichen Industriebetrieben. Im südlichen Teil wurden während des Steinbruchbetriebes mineralische Reststoffe abgelagert. Auf der Deponie finden sich hochtoxische Dioxine und polychlorierte Chlorphenole.

Allein die Bauarbeiten kosten rund 3,4 Millionen Euro, davon trägt der AAV 80 Prozent, den Rest übernimmt der Kreis. Hinzu kommen unter anderem Ausgaben für Planungen und auch Gutachterkosten. „Wir wissen nicht, wo wir am Ende landen werden“, sagt Sprecherin Sabine Schidlowski-Boos. Dass die für 2017 angekündigte Sanierung sich sechs Jahre verzögert hat, erklärt sie mit umfangreichen Abstimmungsprozessen mit allen Beteiligten. Die Lage auf dem Markt habe es auch schwierig gemacht, einen geeigneten Bauunternehmer verpflichten zu können. So sei es bei den Planungen und Vergabeverfahren immer wieder zu Verzögerungen gekommen.

Auch für die ebenfalls schwer belastete ehemalige Thyssen-Deponie in Annen zeichnet sich eine Lösung ab: Man sei in den allerletzten Gesprächen mit dem Kreis, sagt FSZ-Geschäftsführer Heinz Hetschold. Die Verwaltungs- und Grundbesitz GmbH ist Eigentümer der Fläche. Man hoffe, dass schon bald der Startschuss für den Bebauungsplan fallen kann. Auf ein Planungsbüro habe man sich bereits geeinigt.

Behinderungen auf Stockumer Straße

Der AVV beginnt am Montag, 18. September, mit dem Einrichten der Baustelle. Ab diesem Zeitpunkt und bis zum Ende der Arbeiten (Ende 2024) ist im Bereich der Stockumer Straße und der Straße „An der Schlinke“ immer wieder mit Behinderungen zu rechnen.

Während der erforderlichen Sprengungen wird die Stockumer Straße zwischen Annener Berg und Wullener Feld kurzzeitig komplett gesperrt. Dies soll aber in verkehrsarmen Zeiten geschehen, um den Verkehr möglichst wenig zu stören. Die Vollsperrungen sollen jeweils maximal 30 Minuten dauern.

Spätestens ab Mitte Oktober ist vorgesehen, den Anwohnern und der interessierten Öffentlichkeit feste Sprechzeiten in einem Besprechungscontainer anzubieten, um über die laufenden Maßnahmen zu informieren.

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