Witten. Malte Stawiarski aus Witten steht auf Body-Modification und hat sich das Weiße der Augäpfel schwarz tätowieren lassen. Warum tut man sich das an?

Der erste Blick ist erschreckend. Der zweite auch. Wäre sein Lächeln nicht so freundlich, dann könnte man Angst bekommen vor Malte Stawiarski. Denn die Augäpfel des Witteners sind schwarz, tiefschwarz. Gefärbt mit Tattoo-Tinte. Warum tut man sich so etwas an?

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„Weil ich es schön finde“, sagt der 35-Jährige kurz und knapp. Er stehe auf Body-Modification, auf Körperkult eben. Was andere dazu sagen, sei ihm egal. „Ich mache das für mich: Wenn ich jetzt in den Spiegel schaue, dann gefalle ich mir. Das ist das Entscheidende.“

Wittener bekam erstes Tattoo schon mit 14 Jahren

Die Liebe zu den Bildern auf der Haut erwacht früh bei Malte Stawiarski. Schon mit 14 Jahren lässt er sich auf der Tattoo-Messe in Dortmund erstmals stechen. „Ein chinesisches Zeichen im Nacken“, sagt er und winkt ab. „Das fällt so in den Bereich Jugendsünde.“ Längst sind die Linien verschwunden, übermalt von einem schwarzen Totenkopf, der sich vom Nacken bis weit über den Hinterkopf zieht.

Der Blick in die Augen von Malte Stawiarski ist für viele Menschen erschreckend und irritierend.
Der Blick in die Augen von Malte Stawiarski ist für viele Menschen erschreckend und irritierend. © Stawiarski

Auch vorne am Hals trägt der Wittener dieses Motiv, Hand und Finger ziert ein Skelett, das bei jedem Griff lebendig wird. Insgesamt finden sich inzwischen mehr als 30 Bilder auf dem Körper des Witteners. Doch er spricht von einem, sieht seine Haut als schauriges Gesamtkunstwerk. „Ich mag das Gruselige, das Düstere einfach.“

Bürgerliches Leben mit Job und Ehrenamt

Dabei passt gerade das eigentlich gar nicht zu ihm. Denn Malte Stawiarski lebt ein ausgesprochen bürgerliches Leben. Er wohnt mit Ehefrau und Tochter (14) in der Innenstadt, engagiert sich ehrenamtlich als Geschäftsführer beim Kanuverein und hat einen guten Job in der Stahlindustrie. Er sagt: „Ich komme aus gutem Hause, bin wohlerzogen und stehe mitten im Leben.“ Seine Freunde sagen: „Und du bist viel zu lieb für solche Grusel-Tattoos.“

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Doch ihm kann es nicht extrem genug sein. „Ich bin einfach anders.“ Als er dann vor ein paar Jahren in einem Forum ein Augapfel-Tattoo sieht, weiß er: Das will ich auch, unbedingt. Doch die Familie ist strikt dagegen. Nicht nur, weil die schwarzen Augen das Aussehen so erschreckend verändern. Nicht nur, weil der Eingriff – anders als andere Tattoos – nicht rückgängig zu machen ist. Sondern auch, weil die Risiken enorm sind.

Farbe wird mit Kanüle unter die Lederhaut gespritzt

Denn die Farbe wird mit einer Kanüle unter die Sclera, die Lederhaut, gespritzt. Augenärzte warnen eindringlich. Es kann zu Allergien und Entzündungen kommen, zu einem Fremdkörpergefühl. „Ist der Stich zu tief, bist du blind. Ist es zu viel Farbe, kann das Auge platzen“, so Stawiarski. Er weiß das alles, er nimmt es in Kauf. „Ich weiß nicht, wie lange ich lebe. Aber bis ich sterbe, möchte ich so gelebt haben, wie ich es will.“ Und überhaupt: „Ist eine Brust-OP bei Frauen nicht genauso gefährlich?

Wie Kuhflecken verbreitet sich die Farbe nach dem Einstich zunächst im Auge. Nach einer halben Stunde ist dann alles schwarz.
Wie Kuhflecken verbreitet sich die Farbe nach dem Einstich zunächst im Auge. Nach einer halben Stunde ist dann alles schwarz. © Stawiarski

Dennoch dauert es mehr als drei Jahre bis zum ersten Stich. Der Wittener überzeugt erst Frau und Tochter, fragt seinen Arbeitgeber um Erlaubnis, lässt die Augen untersuchen. „Der Innendruck muss stimmen“, erklärt er. Bei ihm ist alles okay, die Ärztin gibt ihren Segen. Der Arbeitgeber auch. „Sie sagten, das sei meine Sache.“

Nur zwei Tätowierer in Deutschland machen den Eingriff

Nun muss Stawiarski einen Tätowierer finden, der den Eingriff anbietet. Davon gibt es nicht viele, gerade mal zwei kennt der 35-Jährige in ganz Deutschland. Die meisten raten ab, Eyeball-Tattos sind auch in der Szene umstritten. Denn es drohen nicht nur gesundheitliche Risiken, auch kosmetische. „Bei einigen ist die Farbe aus den Augäpfeln ausgetreten und in die Tränensäcke gelaufen“, so der Wittener. Das sieht dann aus wie ein frisches Veilchen – und bleibt für immer.

Er hat Angst – und wagt es trotzdem. Im Januar 2023 wird ihm die Farbe in einem Studio in Essen mit fünf Einstichen ins erste Auge injiziert. Ohne Betäubung. „Das tut nicht weh“, versichert der Tattoo-Fan entgegen anderslautenden Schilderungen im Netz. Er habe nur ein Kribbeln gespürt, als die Farbe in den Augapfel lief.

Manche Menschen in Witten wechseln die Straßenseite

Malte Stawiarski kann sich glücklich schätzen. Bei ihm ist alles gut gegangen. Bis auf ein leichtes Brennen am nächsten Tag spürt er keinerlei Nebenwirkungen. Dennoch wartet der Tätowierer fast ein halbes Jahr, bis er sich an das zweite Auge wagt. Auch dieser Eingriff klappt, diesmal braucht es allerdings sieben Stiche. Und noch einmal 800 Euro.

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Für den Rest seines Lebens kann und muss der Wittener nun mit den schwarzen Augen leben – und die Reaktionen der Umwelt ertragen. „Manche Blicke verlieren sich in meinem Gesicht“, sagt er. Die Menschen wüssten nicht, wo sie hinschauen sollen. Manche starrten ihn abschätzig an. Manche wechselten gar die Straßenseite, hätten Angst. „Aber Leute, hey, es ist doch nur ein bisschen Farbe“, sagt Malte Stawiarski und lächelt. Und sofort ist wieder alle Düsternis aus seinem freundlichen Gesicht verschwunden.