Witten. Schwarzarbeit fürchten die Wittener Tätowierer, seit die neue EU-Verordnung viele Farben verbietet. Und das im doppelten Wortsinn.

Das EU-Verbot vieler Tattoo-Farben, das seit dieser Woche in Kraft ist, trifft auch die Wittener Studios hart. Was ihre Zukunft angeht, malen die Tätowierer schwarz – und das buchstäblich.

Die EU hat die Chemikalienverordnung REACH angepasst. Demnach sind ab jetzt Tattoo-Farben mit bestimmten Konservierungs- oder Bindemitteln verboten, weil sie allergische Reaktionen auslösen könnten. Das Problem: „Diese Zusatzstoffe sind in praktisch allen Farben enthalten“, erklärt Günna, der mit „Rockland“ in Annen eines der größten Studios in Witten betreibt. Lediglich für ein bis zwei Schwarztöne gebe es bereits einige wenige Alternativen. Alles mit Farbe ist hingegen derzeit passé. Für die Branche sei das „eine einzige Katastrophe“, sagt Marion von „Sam’s Tattoo“ in der Ruhrstraße. Und nicht zu begreifen.

Wittener Tätowiererin findet Prozesse nicht nachvollziehbar

Denn die Gefährlichkeit der Stoffe ist umstritten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte erklärt, dass die Datenlage zu dünn sei, um die Risiken zu bewerten. „Und Auffälligkeiten wurden bislang auch nicht festgestellt“, so Anna Otto (32), die in ihrem Studio auf der Ruhrstraße „Handpoke Tattoos“, also von Hand gestochene Tätowierungen anbietet. Sie versichert, es gehe ihr um die größtmögliche Sicherheit für die Kunden. Aber das Verbot sei nicht nachvollziehbar: „Die Prozesse waren dazu einfach nicht transparent genug.“

Rote Ranken, wie sie sich Kundin Maike 2018 von Günna hat stechen lassen, ist momentan passé: Es gibt keine in der EU zugelassenen Farben – außer Schwarz.
Rote Ranken, wie sie sich Kundin Maike 2018 von Günna hat stechen lassen, ist momentan passé: Es gibt keine in der EU zugelassenen Farben – außer Schwarz. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Auch ihre beiden Kollegen betonen, dass es noch nie Probleme mit den Farben gegeben habe. „Vielleicht mal eine leichte Reaktion, aber das ist ja normal, wenn man Fremdkörper in die Haut einbringt“, so Günna. Von einem Tattoo-Toten habe er noch nichts gehört – wohl aber von toten Rauchern. „Und das wird nicht verboten.“ Er fühlt sich und seine Kunden von der EU entmündigt. Auch Marion hat überhaupt kein Verständnis für das Verbot. „Nichts als Vermutungen. Man hört nur, ,da könnte, da könnte’“, schimpft die 57-Jährige. „Das macht mich wahnsinnig.“

Schaden geht für die Studios in die Tausende

Die Wittener Studios haben frühzeitig auf die neue Verordnung reagiert. Termine für Farbtattoos wurden vorgezogen und noch ins letzte Jahr gelegt, die für dieses Jahr erst einmal abgesagt. Die Farben müssen vernichtet werden. „253 Flaschen kann ich wegschmeißen – das sind 4000 Euro Müll“, klagt Günna. Zwar gebe es immer mal wieder Kunden, die fragen, ob sie jetzt nicht trotzdem noch ein Farb-Tattoo bekommen könnten – unter der Hand quasi. „Aber den Zahn kann ich ihnen gleich ziehen“, erklärt Anna Otto. Sie müsse schließlich rechtlich abgesichert sein – und das Verbot gelte übrigens auch für eine private Nutzung.

Viele Tattoo-Motive sind heutzutage bunt. Beim Fotorealismus oder Watercolouring sind Farben unverzichtbar.
Viele Tattoo-Motive sind heutzutage bunt. Beim Fotorealismus oder Watercolouring sind Farben unverzichtbar. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Dennoch fürchtet Günna, dass sich viele Kunden ihre Bilder jetzt auf verbotenen Wegen besorgen werden. „Die gehen wieder in die Hinterzimmer, wo nicht kontrolliert wird.“ Durch die Schwarzarbeit werde die Gefahr für die Kunden auf diese Weise nicht kleiner, sondern größer.

Petition für Erhalt der Pigmente

Nicht nur Zusatzstoffe in Farben werden verboten. Ab 2023 werden außerdem zwei Pigmente untersagt, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Blau 15:3 und Grün 7. Als Grundtöne sind sie in etwa zwei Drittel aller Tattoo-Farben enthalten. Bislang gibt es keine Alternative für diese Pigmente.

Die Tattoo-Branche sieht ihre Existenz durch die Verbote bedroht. Sie hat die Petition „Save the Pigments“ bei der EU eingereicht, die inzwischen über 176.000 Unterstützer hat.

Der Bundesverband Tattoo e.V. fordert zudem eine Aussetzung des Verbots beziehungsweise eine längere Übergangsfrist und eine höhere Anerkennung der Branche vor dem Gesichtspunkt, dass rund 12 Prozent der deutschen Bevölkerung tätowiert ist.

Er bittet alle, die sich ein Tattoo stechen lassen möchten, daher um Geduld. „Ich hoffe sehr, dass sich in den nächsten Wochen was tut und die Hersteller neue REACH-konforme Farben auf den Markt bringen.“ Ob und wie viel gesünder die dann seien, „weiß aber auch kein Schwein“. Ebenso wenig sei klar, wie gut sie sich verarbeiten lassen und wie haltbar sie sind. „Mit den alten hatten wir hingegen jahrelange Erfahrung“, so Marion. Sie hat gehört, dass die neuen Farben, die in der Entwicklung sind, deutlich blasser sein sollen als zuvor. „Aber ich habe sie ja noch nicht gesehen.“

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Doch selbst wenn die Farben bald kommen sollten, fürchten die Wittener Tätowierer Lieferengpässe und höhere Kosten. Wegen der wenigen Anbieter seien einige Produkte schon jetzt nur schwer zu bekommen, weiß Anna Otto. Und wenn, dann zu deutlich höheren Preisen: „Die Farbe kostet jetzt fast doppelt so viel wie vorher“, so Marion. Lohnen dürfte sich ein Besuch im Studio dennoch wohl auch künftig. Denn ein missratenes Hobby-Tattoo aus dem Hinterzimmer könnte den Kunden noch viel teurer zu stehen kommen.