Essen. Studios stechen es kostenlos: das Organspende-Tattoo. Es funktioniert wie ein Ausweis unter der Haut. Warum eine Essenerin davon überzeugt ist.
- Das Organspende-Tattoo ist eine Aktion des gemeinnützigen Vereins „Junge Helden“.
- Die Tätowierung ist ein Zeichen für die Bereitschaft, Organspender oder Organspenderin zu werden. Außerdem soll es zu Gesprächen mit den Angehörigen anregen.
- Nach Angaben des Vereins warten etwa 8.500 Menschen in Deutschland auf eine lebensrettende Transplantation.
Vorsichtig zieht Carolin Paland (27) den Ärmel ihres Blazers hoch. Mit dem Zeigefinger streicht sie behutsam über das noch frische Tattoo. Zwei Halbkreise, die zu einem Ganzen verschmelzen zieren ihren linken Unterarm. Es ist ein schlichtes Motiv und doch hat es eine umso größere Bedeutung für sie. Denn mit diesem Symbol zeigt sie, dass sie im Ernstfall ihre Organe spenden würde.
Paland ist nicht die einzige, die die Tätowierung trägt. In ganz Deutschland gibt es Studios, die das sogenannte Organspende-Tattoo kostenlos stechen. Es soll eine Art Erkennungszeichen für Menschen sein, die sich dazu entschieden haben, Spender oder Spenderin zu werden. Hinter der Aktion steckt der gemeinnützige Verein „Junge Helden e.V.“.
Organspende: Viele Deutsche haben keine Entscheidung getroffen
„Als Verein beobachten wir schon lange, dass die Organspende in Deutschland ein Problem hat“, sagt Anna Barbara Sum, Co-Geschäftsführerin der Jungen Helden. Nach Angaben des Vereins warten rund 8.500 Menschen in Deutschland auf eine lebensrettende Transplantation. Etwa 1.000 Menschen würden diese Rettung derzeit nicht rechtzeitig bekommen. Dabei ist die Spendenbereitschaft in Deutschland theoretisch groß: Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2022 zeigt, dass 84 Prozent der Deutschen einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüber stehen. Mehr als ein Drittel der Befragten hat jedoch noch keine persönliche Entscheidung für oder gegen eine Spende getroffen.
Durch ihre Arbeit als Physiotherapeutin im Herzzentrum der Uniklinik Essen weiß Carolin Paland, was es bedeutet auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein. Seit fünfeinhalb Jahren arbeitet sie täglich mit Menschen, die ein neues Herz oder eine neue Lunge brauchen. „Ich sehe wie schlecht es Menschen gehen kann, die auf ein neues Organ warten“, sagt die Essenerin.
27-jährige Essenerin hat sich Organspende-Tattoo stechen lassen
Das Schicksal eines Patienten ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: Durch einen kardiologischen Schock sei er plötzlich aus dem Alltag gerissen worden, erzählt sie. „Davor war er kerngesund.“ Der Patient sei zu dieser Zeit gerade einmal 37 Jahre alt gewesen. „Das hat mir gezeigt, dass das Leben auch bei jungen Menschen schon morgen vorbei sein könnte.“ Nach einer Weile auf der Warteliste von Eurotransplant habe er dann schließlich das lebensrettende Organ bekommen. Viele Patientinnen und Patienten würden jedoch während der Wartezeit sterben, weiß die 27-Jährige aus eigener Berufserfahrung.
Neben ihrer Arbeit als Physiotherapeutin hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, über gesundheitliche Themen wie die Organspende zu sprechen. Das macht sie nicht nur mit ihrem neuen Tattoo, sondern seit fast zwei Jahren auch auf ihrem Instagram-Profil unter dem Namen carolin_physio. „Mir ist wichtig, Menschen nicht zur Organspende zu überreden, sondern sie darüber aufzuklären“, sagt sie. Denn der Ausweis sei vor allem dazu da, Angehörigen im Ernstfall die Entscheidung abzunehmen. Und was viele Menschen nicht wüssten: Auf dem Organspendeausweis können sie auch angeben, dass sie nicht spenden möchten.
Organspendeausweis soll Familie entlasten
Was der oder die Verstorbene gewollt hätte, wisse die Familie nur in den wenigsten Fällen, beobachtet Holger Kraus. Er koordiniert die Organspenden an der Essener Universitätsklinik. Ihm begegnet der Ausweis nur selten im Berufsalltag. „In nicht einmal zehn Prozent der Fälle haben die Menschen einen Organspendeausweis“, sagt er. Dabei sei es wichtig eine solche Entscheidung nicht den trauernden Angehörigen zu überlassen. „Kaum jemand ist so gefestigt, dass es ihn nicht überfordern würde“, so der Mediziner. Ein „Nein“ zur Organspende sei für viele Menschen im ersten Moment die einfachere Lösung. Dabei könne sie die Falsche sein, so Kraus.
Auch der Verein „Junge Helden“ beobachtet, dass innerhalb von Familien zu wenig darüber gesprochen wird. Die Idee hinter dem Tattoo ist daher, darüber ins Gespräch zu kommen – und zwar mit den Menschen, die im Falle eines Hirntods entscheiden. „Ein Tattoo hat den großen Vorteil, dass man darauf angesprochen und nach der Bedeutung gefragt wird. Bei einem Organspendeausweis, den man im Geldbeutel hat, ist das anders, weil er nicht diese Sichtbarkeit hat“, sagt Anna Barbara Sum.
Tattoo symbolisiert Organspende
Mit den beiden Halbkreisen, die zu einem ganzen Kreis zusammenfinden, möchte der Verein die Organspende symbolisieren. Wer genau hinsieht, erkennt außerdem die Buchstaben O und D. Sie stehen für den englischen Begriff „Organ Donor“ (Organspender). Der Name der Kampagne „OptInk“ ist zusätzlich eine Anspielung auf die „Opt-In“-Regelung. Denn in Deutschland gilt die sogenannte Zustimmungslösung.
„Mir ist wichtig, dass jeder Mensch guten Gewissens eine Entscheidung dafür oder dagegen treffen kann“, sagt Paland. Bedenken, sie könne ihre Meinung über die Organspende im Laufe ihres Lebens ändern, hat sie nicht. Zu einhundert Prozent würde sie hinter ihrer Entscheidung stehen. „Wenn ich tot bin, werde ich meine Organe nicht mehr brauchen.“
An Rhein und Ruhr machen eine Reihe Tattoo-Studios bei der Aktion „OptInk“ mit und stechen das Tattoo kostenlos. Unter www.junge-helden.org/optink sind die teilnehmenden Studios auf einer interaktiven Karte zu finden.