Essen/Bochum. Das Brazilian Butt Lift ist eine der beliebtesten Schönheitsoperationen weltweit. Woher der Wunsch nach dem lebensgefährlichen Eingriff kommt.
2011 war es noch das Poster der barbiehaften Paris Hilton, das überm Bett von Isabell A. an der Wand hing. Heute, zehn Jahre später, schaut sich die 24-Jährige Videos von der kurvigen Kim Kardashian auf Instagram an, in denen der Reality-TV-Weltstar über Trends bei Po-Implantaten spricht. Der Unterschied von damals zu heute: Während Paris Hilton ab und an mal vom roten Teppich in der Bravo lächelte, sind Influencerinnen wie Kim Kardashian (251 Millionen Abonnenten) durch ihre Videos in den sozialen Medien für junge Frauen wie Isabell und ihre Freundinnen zum Greifen nah. Und mit ihnen wächst die Sehnsucht nach Schönheits-OPs, die längst völlig normal scheinen.
Aufgespritzte Lippen oder eine vergrößerte Brust sind nichts Außergewöhnliches mehr. Laut der Internationalen Gesellschaft für Ästhetische Plastische Chirurgie (ISAPS) steht Deutschland sogar auf Platz sechs der Länder mit den meisten Schönheitsoperationen. Die Gesäßchirurgie zeigte in einer globalen Umfrage von 2019 bei allen chirurgischen Eingriffen das höchste Wachstum, worunter auch das beliebte Brazilian Butt Lift, kurz BBL, zählt.
Bei dieser Operation wird Fett aus anderen Teilen des Körpers abgesaugt und dann in die Pobacken injiziert. Weltweit seien demnach schon etwa 300.000 Eingriffe dieser Art durchgeführt worden. Eine gefährliche Angelegenheit, denn der Brazilian Butt Lift habe die höchste Todesrate unter den Schönheitsoperationen, warnt die Britische Gesellschaft für Ästhetische Plastische Chirurgie (BAAPS).
„Wow, das möchte ich auch haben“
Isabell erholt sich momentan noch von ihrer Po-OP. Sechs Wochen habe sie nicht sitzen dürfen, erzählt sie. Mittlerweile gehe das wieder, wenn auch mit einem Sitzkissen. Die Bandagen, die sie Tag und Nacht fest um ihren Bauch tragen musste, konnte sie jetzt endlich ablegen. Dort wurde ihr das Fett abgesaugt, das anschließend in den Hintern gespritzt wurde.
„Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden“, sagt Isabell, wenn sie an sich herunter auf die schmale Taille und den gelifteten Po schaut. Zwar sei sie schon immer schlank gewesen, die hartnäckigen Fettdepots an Bauch und Taille hätten sie jedoch gestört. „Die sind selbst mit einem Personaltrainer nicht weggegangen. Aber ich wollte unbedingt eine Körperkonturierung.“
Genau wie ihre Kolleginnen und Freundinnen. Wenn eine von ihnen beim Chirurgen gewesen ist, wird anschließend im Café darüber gequatscht. „In meinem Umfeld haben sich einige operieren lassen“, sagt Isabell. „Ich habe immer diese makellosen Körper gesehen und mir gedacht: Wow, das möchte ich auch haben.“
„Die richtige Vorbereitung ist bei so einer OP extrem wichtig“
Lange Recherchen und viele Beratungstermine später landete Isabell bei Dr. Walli Monschizada, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie in Essen. Er ist unter anderem auf die BBL-Eingriffe spezialisiert und betont: „Die richtige Vorbereitung ist bei so einer OP extrem wichtig.“
Den Trend erfährt auch Monschizada in seiner Praxis: „Vor neun Jahren habe ich mein erstes Brazilian Butt Lift durchgeführt, die Jahre darauf hatte ich etwa zehn OPs im Jahr. In den vergangenen drei Jahren ist die Nachfrage noch mal deutlich angestiegen.“ Die Patienten seien zu etwa 80 Prozent Frauen.
Um Kosten zu sparen, sagt Monschizada, würden viele den Eingriff im Ausland durchführen lassen. Davon rate er allerdings dringend ab. „Dort sind die Ärzte nicht schlechter, allerdings kann im Ausland die Nachversorgung meist nicht gewährleistet werden. Denn oft betreiben die Patienten dort eine Art Schönheitstourismus, lassen sich operieren und fliegen dann nach zwei Tagen schon wieder zurück. Nach größeren OPs ist die Wundheilung dann allerdings noch nicht abgeschlossen.“
Risiko einer Fettembolie
Nicht selten komme es vor, dass Patientinnen mit Wundheilungsstörungen oder Entzündungen anschließend bei ihm landen. Allgemein rät er Patientinnen und Patienten, unbedingt zu einem Facharzt zu gehen. Denn das Risiko einer Fettembolie sei bei der Brazilian-Butt-Lift-Operation hoch, „vor allem, wenn ungeübte, auf dem Gebiet nicht ausgebildete Ärzte plötzlich BBLs durchführen, weil es gerade angesagt ist.“
Zudem gäbe es bei ihm Grenzen, sagt Monschizada, nicht jede gewünschte OP führe er durch. Manchmal kämen Patientinnen mit Wünschen zu ihm, die er nicht erfüllen könne und wolle. „Einige wollen genauso aussehen wie Influencerinnen, die sie auf Instagram gesehen haben. Das Fatale: Diese Fotos entsprechen nicht der Realität, sind gephotoshopt oder mehrfach gefiltert.“ Das suggeriere ein falsches Körperbild.
Sechs Stunden im OP
Auch Patientinnen und Patienten mit Vorerkrankungen oder mit einer pathologischen Wahrnehmungsstörung in Bezug auf den eigenen Körper, lehnt der Facharzt ab. Um diese erkennen zu können, seien Beratungsgespräche enorm wichtig. Insgesamt ist es ihm wichtig zu betonen: „Wenn ich einem Menschen durch meine Arbeit zu einem besseren Selbstwertgefühl verhelfen kann, dann denke ich, dass ich alles richtig gemacht habe.“
Auch Isabell sagt, sie fühle sich nach dem Eingriff besser denn je. Allerdings: „Nach den sechs Stunden im OP habe ich mich gefühlt, als wäre ich vom Lkw überrollt worden. In der Nacht hatte ich Kreislaufprobleme und dachte: Warum hast du dir das angetan?“
Warum sich viele Frauen plastisch-chirurgischen Eingriffen unterziehen, kann laut Professor Stephan Herpertz, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin am LWL-Klinikum Bochum, mehrere Gründe haben. Zum einen sei es naheliegend, dass gerade bei jungen Menschen durch die Fotos bei Instagram ein vermindertes Selbstwertgefühl ausgelöst oder verstärkt werden könne, was dazu führe, den eigenen Körper verändern zu wollen.
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Wichtig sei aber die Unterscheidung zu einer körperdysmorphen Störung. Dabei handle es sich um eine übermäßige Konzentration auf einen oder mehrere eingebildete oder leichte Defekte im Erscheinungsbild. „Betroffene haben einen erheblichen Leidensdruck, der sich durch einen plastisch-chirurgischen Eingriff sogar verschlechtern kann“, so Herpertz. Wichtig sei deshalb, dass Chirurgen dieses Krankheitsbild bei Patienten vor einer OP ausschließen.
Vorbilder bei Instagram
Zum anderen kämen durch die sozialen Medien Schönheitsideale heute schneller an das Individuum, sagt Herpertz. „Man bewundert nicht mehr nur von Weitem die schöne Frau auf der Litfaßsäule. Sondern kann sie mit einem Klick bei Instagram abrufen. Dadurch kann es passieren, dass Sehnsüchte geweckt werden, die durch die Chirurgie erfüllt werden können – sofern das finanzierbar ist.“
Etwa 10.000 Euro hat Isabell insgesamt immerhin bezahlt. Viel Geld für eine gelernte Hotelfachfrau. Und doch hat sie sich dazu entscheiden, die Ergebnisse nicht auf Instagram zu teilen: „Ich rede zwar offen über meine OP, möchte aber niemanden dazu motivieren, sich selbst unters Messer zu legen.“ Trotzdem ist sie der Meinung: „Jeder Mensch hat das Recht, sich in seinem Körper wohl zu fühlen. Deshalb wünsche ich mir einen differenzierten Umgang mit dem Thema und keine Vorverurteilung.“
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