Witten. Aus einer dreckigen Werkshalle wurde ein Zentrum für Jugendkultur: Mit Fotos und Text erinnern wir an die Anfangsjahre der Werkstadt Witten.
Die Wittener Werkstadt, das Jugend- und Kulturzentrum, ist unlängst in die Schlagzeilen geraten. Es befindet sich wegen finanzieller Probleme im vorläufigen Insolvenzverfahren. Turbulent ging es in dem Haus aber schon immer zu, besonders in der Anfangszeit. Wir werfen einen Blick zurück.
„Man fragt den Mann von Mannesmann“ warb das Traditionsunternehmen noch in den 80er Jahren bundesweit – und schloss 1972 seine Röhrenwerke in Witten. Seitdem standen die riesigen Hallen von der Ardeystraße bis hinten zur Dortmunder Straße einige Jahre lang leer und verwahrlosten immer mehr.
Die meisten Werkshallen wurden später abgerissen. Sie machten unter anderem für das Fachmarktzentrum mit Toom-Baumarkt, Fressnapf etc. Platz. In der alten Verladehalle aber, in der die Röhren auf Waggons gehoben und über die Eisenbahnstrecke Rheinischer Esel abtransportiert wurden (die Rangierschienen sieht man noch heute), entstand etwas Mutiges und Neues. Das „Falken Bildungs- und Freizeitwerk“ eröffnete die alte Halle für Veranstaltungen. Damals lag sie noch an der Krumme Straße. Sie wurde später in Mannesmannstraße umbenannt, um an das alte Werk zu erinnern.
Der junge Götz Alsmann rockte bei der Eröffnung der Wittener Werkstadt
Oft wird die offizielle Eröffnung fälschlicherweise auf das Jahr 1979 datiert. Tatsächlich startete der Kulturbetrieb dort im Mai 1977 in der noch leeren und staubigen Verladehalle. Im Juli 1977 folgte ein Sommerfest. Musik machte dabei die Dortmunder Skiffle-Band „Heupferd“ mit dem jungen Götz Alsmann. Gleichzeitig wurden die inhaltlichen und architektonischen Pläne des Trägervereins für einen Umbau auf Schautafeln vorgestellt. In Zukunft sollte eine sozio-kulturelle Jugendarbeit angeboten werden, mit kreativen und politischen Gruppen sowie Musik und Freizeitgestaltung am Rande der Innenstadt.
Der Clou: In der Halle plante man, mehrere kleine Häuschen für die unterschiedlichsten Gruppenangebote zu bauen und natürlich auch einen Disko-Raum. Die Wittener sollten den Fortgang der Bauarbeiten während der nächsten zwei Jahre auch immer sehen können: Quasi innerhalb der Baustelle, „von leer auf voll“. Aber nicht nur mit Schautafeln, sondern auch mit Musikveranstaltungen.
Die Idee war geboren: Es gab in unregelmäßigen Abständen „Factory-Partys“, also „Fabrik“-Partys für Folk, Rock- und Jazz. Und darüber hinaus Podiumsveranstaltungen, etwa zum Ost-West-Konflikt und Wettrüsten.
Rüdiger Eggert dokumentierte Anfangszeit
Wie die große Halle damals leer und unaufgeräumt aussah, zeigen die Fotos des Ex-Witteners Rüdiger Eggert. Der 69-Jährige war damals Student der Sozialpädagogik in Dortmund und aktiver Besucher beim „autonomen“ Jugendzentrum in der Wittener Körnerstraße – einem Vorläufer der Werkstadt. Nebenher arbeitete er als freier Mitarbeiter bei den Ruhr-Nachrichten, wo er später Fotoredakteur wurde.
Besucher der „Factory partys“ in den ersten beiden Werkstadt-Jahren werden sich erinnern: Die Akustik in der leeren Mannesmannhalle war hallig-schallig, also miserabel. Die Beleuchtung war blass, der Fußboden staubig. Die Wände waren noch nicht verblendet, die Toiletten wirkten so dreckig wie nach der Mittagsschicht der Fabrikarbeiter. Alles war leicht improvisiert, „rough, raw and ugly“, wie die Engländer sagen, „roh, rau und hässlich“, und hatte einen leicht morbiden Sponti-Charme à la Berlin-Kreuzberg.
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Die Fotos des jungen Eggert geben die einzigartige Aufbruchstimmung dieser Zeit wieder. „Ich hab’ dabei ja noch geübt“, sagt er heute. Seine Bilder passen ganz genau. Manchmal sind sie zu dunkel, dann wieder überbelichtet oder unscharf. Man spürt förmlich den Staub und den Klang der alten Fabrikhalle. Dabei zeigen sie den Übergang und den kreativen Aufbruch zu etwas Neuem in Witten, was damals noch fehlte. Ein Treffpunkt für junge Leute außerhalb der Innenstadt war geboren..
„Und der sollte es auch bleiben“, hofft Fotograf und Zeitzeuge Rüdiger Eggert. „Es wäre schon sehr schade, wenn die Werkstadt schließen müsste.“
Zur Person: Rüdiger Eggert
Der bekannte und bereits verstorbene Ruhrnachrichten-Fotograf Davide Bentivoglio hat einst das Talent Rüdiger Eggerts entdeckt: „Richtig fotografieren gelernt habe ich bei Benti.“ Also bewarb sich der Wittener beim Verlag Lensing und machte dort ein einjähriges Fotovolontariat.
Danach war Eggert 31 Jahre Fotoredakteur für die Ruhr Nachrichten in Dorsten – bis zu seiner Rente. Nebenher ist er der Musik treu geblieben. „Akustik-Gitarre habe ich damals bei Michael Lohrengel vom Folkclub gelernt. Heute bin ich noch als Bassist in zwei Bands aktiv: In einer Bluesband im holländischen Winterswijk und im münsterländischen Ahaus in einer Rockband“, erzählt der musikalische Rentner.