Die Namen der 650 Wittener Straßen entsprechen nicht immer den Gesetzen der Logik, erzählen aber alle eine Geschichte. Ein gedanklicher Stadtrundgang mit Heimatforscher Paul Brandenburg

Die Lange Straße ist lang (1354 Meter). Die Kurze Straße war kurz (165 Meter), bis sie 1979 in Synagogenstraße umbenannt wurde. Und die Breite Straße war jedenfalls nach den Vorstellungen von 1866 breit, als sie als eine der Magistralen der aufstrebenden Stadt Witten (1825) angelegt wurde. Die Hochstraße führt noch heute "hoch", nämlich zur Marienstraße.

Aber die Krumme Straße, die Dortmunder und Pferdebachstraße verband und beim Bau des Toom-Baumarkts eingezogen wurde: Die war doch schnurgerade? Richtig: "Die war ja auch nach einem Bauern ,Krumme' so benannt", weiß Paul Brandenburg. Und die Straße Krumme Dreh? Da haben sich die Stadtväter dem Volksmund gebeugt: Sie windet sich zur Egge hoch.

Wer sich mit den Kuriositäten der Wittener Straßenbezeichnungen beschäftigt, kommt an Hobby-Heimatforscher Paul Brandenburg (70) nicht vorbei. Mit Karl-Heinz Hildebrand (64) hatte er 1989 nach fünf Jahren der Recherche das Buch "Witten: Straßen - Wege - Plätze" veröffentlicht. Es erzählt die Geschichte jeder der damals 630 Straßen. Eine Fundgrube. Bis heute sind gut 20 hinzugekommen.

Welche Stadt in Deutschland besitzt schon ein Ortheck? Das Sträßchen (60,5 Meter) zwischen Augusta- und Crengeldanzstraße "war am Heck das Orts", weiß Paul Brandenburg. Es lag am Ende von Witten. "Heven war damals noch nicht in Sicht." Eingemeindet wurde Heven 1921, übrigens aus freien Stücken - "nach dem Aus von Zeche Helene war es wirtschaftlich am Ende". Ortheck blieb Ortheck.

Die Eingemeindungen - Annen (mit Rüdinghausen), Bommern, und Stockum-Düren kamen 1929 dazu, Herbede 1975 - schlugen sich in weiteren, sagen wir, "örtlichen Eigenheiten" nieder. Üblicherweise würde eine Annenstraße nach Annen führen, im Ort selbst aber beispielsweise Wittener Straße heißen. So firmierte sie auch bis 1929. Bei der Zusammenlegung wurde die Annenstraße dann über die alte Grenze (Am Heiligen Bach) hinaus bis ins Annener Zentrum verlängert. Schon am 12. 4. 1933 hieß sie übrigens Horst-Wessel-Straße. Doch das ist ein anderes Kapitel.

Die Annenstraße wie auch (zu Teilen) die Stockumer Straße oder die Hevener Straße sollten sich ein Beispiel an der Herbeder Straße nehmen: In Herbede heißt sie anders.

Wohl nur Puristen bemerken, was auf der Bommerholzer Straße nicht stimmt. Sie ist andersrum! Vom Zentrum aus gesehen müssten rechts die geraden Hausnummern kommen und links die ungeraden. Das will die Regel. Die Bommerholzer leiden aber offenbar unter einer kollektiven Rechts-Links-Schwäche. Es soll aber Schlimmeres geben.

Im Zentrum gibt es heute eine Nordstraße, eine Ost- und eine Südstraße, mit annähernd entsprechender Ausrichtung. Wo ist die Weststraße geblieben? Brandenburg ist auch da stichfest: "Sie wurde überbaut!" Durchs Bahngelände am heutigen Weichenwerk.

Auf jeden Fall erhalten bleiben sollte uns die Hammerstraße. Der schon gekürzte Stummel (200 Meter) zwischen Steinstraße und Post führt weder nach Hamm, noch würdigt er einen historischen Schmiedehammer. Schwarz auf weiß überliefert die Chronik, dass die Hammerstraße einen Lehrer und Dichter verewigt, der ganz in der Nähe eine private Lateinschule leitete. Der gute Mann, der von 1809 bis 1888 lebte und auch noch Magistrat und Pfarramtskandidat war, hieß Friedrich Wilhelm Klöpper. Seine Gedichte aber zeichnete er mit "Hammer". Wenn das kein Schenkelklopfer ist.

Das Buch der Straßennamen kann übers Märkische Museum bezogen werden.