Witten. Bücher gibt’s zwar auch noch. Aber ungewöhnlicher ist momentan eine andere Ausleihe in der Wittener Stadtbibliothek. Hobbygärtner aufgepasst.
Im März ist wieder die Zeit gekommen, um Samen einzupflanzen. Dabei denkt man nicht unbedingt an die Stadtbücherei in Witten. Doch dort begann am Samstag eine Ausleihe der etwas anderen Art. Die Bücherei an der Husemannstraße wird zur „Saatgut-Bibliothek“.
Statt Bücher oder zusätzlich händigt die Bibliothek in diesem Monat auf Wunsch Tütchen mit Samen aus. Wenn die daraus erwachsenen Pflanzen nach einigen Monaten selbst Früchte und somit Samen tragen, kann man das neu entstandene Saatgut zurückgeben. Bei der Auftaktveranstaltung erzählte Renate Zinke vom „Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN)“, was es mit dem Projekt „Saatgut leihen – Vielfalt ernten“ genau auf sich hat.
Wittener Bücherei hält Tomatensamen und vier weitere Gemüsearten in Tütchen bereit
„Wichtig ist, Geduld zu haben. Natürlich muss man bereit sein, etwas Zeit zu investieren, vor allem am Anfang“, so Zinke. Fünf verschiedene Sorten Tomatensamen und vier weitere Gemüsearten liegen in kleinen Tütchen an der Ausleihstation vorne im Foyer der Stadtbibliothek bereit.
Besonders beliebt ist die Himbeerrose und die Microberry – kleine Tomaten, die sich vielleicht nicht für die Ketchup-Produktion eignen, aber ideal zum Naschen und zum Aufpeppen von Salaten sind. Prächtig wachsen kann das Gemüse am besten draußen, im Garten, Hochbeet oder Kübel. Ideal sind etwa zwei Quadratmeter Platz.
Samen für Bohnen, Erbsen, Salat und Gartenmelde
Ansonsten bietet die Bibliothek noch Samen von Bohne, Erbse, Salat und Gartenmelde an. Letztere war früher ein Klassiker. Das bestätigt auch Teilnehmerin Heike Klee, die sich seit zwei Jahren im eigenen Garten an der Gemüseselbstversorgung versucht. „Gartenmelde kenne ich noch von meiner Oma“, sagt die 61-Jährige, während Sie die Samen in ihrer Hand betrachtet. „Melde schmeckt nicht schlecht, nur etwas anders. Etwas herb, aber nicht bitter“, sagt Renate Zinke.
Auch Heike Klee ist an diesem Samstag in die „Saatgut-Bibliothek“ gekommen. Im letzten Jahr gediehen in ihrem Hochbeet erfolgreich Kohlrabi, Rote Beete, Tomaten und Kräuter. Nur das Kohlkopf-Experiment ihres Mannes, das sei missglückt. Referentin Henriette Brink-Kloke erzählt von ihren persönlichen Erfahrungen im Gemüseanbau. Sie ist Mitglied des Vereins „Günnemann-Kotten“, der 2019 ein altes Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert in Rüdinghausen ersteigerte.
Mehr CO2 durch konventionellen Anbau
Im letzten Jahr begannen die Restaurierungsarbeiten, die alleine von den Vereinsmitgliedern gestemmt werden. „Wir haben draußen 550 Quadratmeter Fläche, die wir von Hand bewirtschaften“, sagt die 68-Jährige. Dazu haben die Helferinnen und Helfer sechs Beete mit jeweils acht Quadratmetern angelegt. Aber warum ist das selber Anbauen nachhaltiger und was sind die Unterschiede beim Saatgut?
In der industriellen Landwirtschaft werden nach Angaben der Expertinnen sogenannte Hybrid-Sorten verwendet. Sie seien genetisch gleichförmiger und benötigten meist Agrarchemie zum Wachsen. Die Vielfalt von Nutzpflanzensorten sei dadurch enorm gesunken. Böden, Gewässer und Natur litten durch den konventionellen Anbau. Lieferung und Lagerung bis zum Kauf im Supermarkt erzeugten hohe CO2-Emissionen. Wer selbst anbaue, sollte auf Vielfaltssorten setzen.
Vielfaltssorten bilden einen natürlichen Kreislauf
Das sind traditionelle Sorten, die sich besser an die äußeren Begebenheiten anpassen können, ohne chemische Düngung. Sie sind „samenfest“ und bilden daher mehr als genug neue Samen – was zum Erhalt der alten Sorten beiträgt und einen Kreislauf bildet, der sich nach jeder Ernte selbst schließt und von vorne beginnt. Auch das Saatgut der Bibliothek ist samenfest – und anfängerfreundlich. Aber was, wenn der erste Gemüseanbau trotzdem misslingt?
Bibliothekarin Melanie Duwe gibt Entwarnung. So streng wie bei der Bücherrückgabe ist die Rückgabe des Saatguts nicht. „Wir sehen das Projekt erst mal als Experiment und es gibt keine Erfolgskontrolle. Aber natürlich freuen wir uns, wenn die Ernte ertragsreich wird.“