Witten. Ist der Günnemann-Kotten in Witten 100 Jahre jünger als bislang angenommen? Bauforscher versuchen, seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen.
Wie alt ist der Günnemann-Kotten in Rüdinghausen denn nun wirklich? In der Inschrift auf dem Torbogen steht die Jahreszahl 1788. Schriftliche Quellen sprechen aber davon, dass die Hofstelle bereits 1668 gegründet worden ist. Aber hat der kurfürstliche Rat Johan Friderich von Omphal das Haus tatsächlich für eines seiner zwölf Kinder gebaut? Um das herauszufinden, sind jetzt Bauforscher vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe dem alten Gebäude zu Leibe gerückt. Und ihre Erkenntnisse haben bei den Rettern des Kottens keine Begeisterungsstürme ausgelöst.
Noch sind die Untersuchungen nicht abgeschlossen, aber so viel steht schon fest: Das stattliche zweigeschossige Fachwerkhaus, das sich so idyllisch ins Bachtal der Brunebecke schmiegt, ist erst 1788 gebaut worden – und zwar komplett neu. Das belegen sieben Holzproben, die Bauforscher Peter Barthold in den letzten Wochen aus verschiedenen Balken entnommen hat.
Holz für Wittener Kotten wurde im Winter 1787 geschlagen
Die sind dann dendrochronologisch unter die Lupe genommen worden. Anhand der Jahresringe im Bauholz kann mit dieser Methode das Alter historischer Hölzer bestimmt werden – sogar sehr genau. Und demnach „stammen die verzimmerten Bauhölzer alle aus der gleichen Schlagphase im Winterhalbjahr 1787/88“, so Barthold. Die Hoffnung des Vereins, die Jahreszahl 1788 könnte sich auf einen Umbau beziehen, sind damit dahin.
Über den Verbleib des Vorgängerbaus, der in den Archiven belegt ist, kann der Bauforscher bisher nur spekulieren: Er könnte vollständig für einen Wiederaufbau an anderer Stelle verkauft worden sein - „oder er ist einem Feuer vollständig zum Opfer gefallen.“
Tapeten zeugen von den Wohntrends im Laufe der Zeit
Doch das Baudatum ist nicht die einzige Frage, das die LWL-Experten am Günnemann-Kotten interessiert. Untersucht wird auch, wie das Haus im 19. Jahrhundert umgebaut worden ist. „Das ist für uns wie ein riesiges 3D-Puzzle“, schwärmt Barthold. Jeder Befund sei ein Teilchen des ganzen. „Bis das Puzzle schließlich ein Bild ergibt.“ Ein Fund, das steht jetzt schon fest, ist dabei besonders spannend. Hinter einer Holzwand wurden Tapetenreste entdeckt. Viele Bahnen, die im Laufe der Zeit übereinandergeklebt worden sind. „Das ist wie ein Musterbuch der Jahrhunderte“, so der Bauforscher.
Nicht nur mit dem Holzbohrer, auch mit modernster Technik versuchen die Fachleute vom LWL den Geheimnissen des Hauses auf die Spur zu kommen. Mit einem 3D-Laserscanner, der kleinste Vertiefungen aufspürt, vermessen sie derzeit unter anderem die Inschriften auf dem Torbogen und im Grundstein – in der Hoffnung, die verwitterten Buchstaben am Bildschirm sichtbar machen zu können. Vieles hatte der Kotten-Verein bereits entziffert, doch mit dem Scanner konnten bereits einige Zweifel ausgeräumt werden.
Verein sucht nach Hinweisen auf eine Feuerstelle
Ob alle Geheimnisse gelüftet werden können? Der Vereinsvorsitzende Marc Junge hat die Hoffnung jedenfalls noch nicht aufgegeben, dass sich doch noch Beweise für einen Ursprungsbau aus dem 17. Jahrhundert finden lassen. „Wir werden jetzt bei den Arbeiten schauen, ob wir im Boden vielleicht noch Anzeichen finden, etwa eine Feuerstelle.“
Ostseite ist bereits saniert
Der Verein „Günnemann-Kotten“ kämpft nun schon seit mehr als 20 Jahren für den Erhalt des alten Fachwerkwerkhauses. Er setzt sich dafür ein, das Haus nicht nur zu restaurieren, sondern auch zu einem Begegnungszentrum und Heimatmuseum auszubauen.
Viel Geld wurde dafür gesammelt, auch Land und Bund fördern das Projekt. 2019 gelang es den Mitgliedern, das Haus für 209.000 zu ersteigern. Nach der Corona-Zwangspause konnten die Arbeiten endlich beginnen. Jeden Samstag treffen sich die Aktiven, um im Haus zu arbeiten. Auch Fachleute sind am Werk. Zimmerleute haben das Ständerwerk an der Ostseite des Kottens bereits saniert.
Mehr Infos/Kontakt: guennemann-kotten.de/
Für Wittens Denkmalpfleger Magnus Terbahl ist das allerdings ohne Belang. „Das ändert nichts an der Bedeutung des Hauses“, sagt er über das älteste und letzte Zeugnis der bäuerlichen Wirtschaftsweise in Rüdinghausen. Er sei froh, dass das Haus mit dem Verein die „richtigen Eigentümer“ bekommen habe. „Sonst wäre es jetzt schon nicht mehr da.“
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Allerdings ist er über das große Engagement der Kotten-Retter auch nicht immer ganz glücklich. Denn in ihrer Bemühung, das Haus auf Vordermann zu bringen, sind die Aktiven einmal ein wenig zu forsch vorgegangen. „Ich habe den Putz an Decken und Wänden abgekratzt, weil der so unordentlich aussah“, gibt Marc Junge zerknirscht zu. Dafür habe ihm Terbahl beinahe die Freundschaft gekündigt. Denn auch der alte Putz mit den Schweineborsten hat Seltenheitswert – und muss nun wieder neu angebracht werden.