Witten. Die Diagnose Krebs haut jeden Menschen um. Drei Frauen erzählen, wie ihnen der Besuch einer Selbsthilfegruppe in Witten noch Jahre später hilft.

Der Montagnachmittag ist Gertrud Josten, Brigitte Vieth und Heike Addo heilig. Da treffen sich die drei regelmäßig im Café Schelle in der Selbsthilfegruppe für krebsbetroffene Frauen des DRK Witten. Sie sprechen dort längst nicht mehr nur über die Erkrankung. „Die Anfangsbeschwerden haben wir abgearbeitet“, sagen sie. Denn: „Das Leben geht weiter, nur anders“ – so lautet ihr gemeinsames Motto. Ein Mutmach-Gespräch zum Weltkrebstag an diesem Samstag.

„Wir waren mal um die zwölf, jetzt sind wir noch fünf“, sagt Gertrud Josten (75). Sie ist seit 20 Jahren dabei und leitet die Gruppe. Hier finden sie und die anderen Halt in schweren Zeiten und Abwechslung vom manchmal so anstrengenden Alltag. 1995 wurde bei ihr Dickdarmkrebs diagnostiziert. Anfang 2003 fühlte sie dann selbst einen Knoten in der Brust. „Ich hatte damals viel seelischen Stress“, nennt sie eine mögliche Ursache.

Wittenerin hat den Besuch der Selbsthilfegruppe nie bereut

Gertrud Josten leitet die Selbsthilfegruppe für krebsbetroffene Frauen im Café Schelle.
Gertrud Josten leitet die Selbsthilfegruppe für krebsbetroffene Frauen im Café Schelle. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Gertrud Josten wurde im Marien-Hospital operiert. „Da habe ich täglich auf ein großes Plakat über Selbsthilfegruppen geguckt.“ Man habe ihr auch geraten, eine solche zu besuchen: „Das tut dir gut“, hieß es. Sie hat es bis heute nicht bereut. Damals seien vor allem Ältere in der Gruppe gewesen. „Wenn die das schaffen, dann schaffe ich das auch“, so ihr Gedanke.

Auch Brigitte Vieth (73) und Heike Addo (63) hatten Brustkrebs. Vieth gehört der Gruppe seit 13 Jahren an, Addo erst seit Mai 2022. Im Oktober zuvor ist sie operiert worden. Nicht nur die Erinnerungen an diese Zeit stecken ihr noch in den Knochen. „Ich war immer die Starke in der Familie.“ Auch in ihrem geliebten Job in der Pflege hat sie malocht bis zum Abwinken. Doch plötzlich fühlte sie sich hundeelend. „Und man kommt sich vor wie ein Jammerlappen.“ Ihre Mutter sei früh an Krebs erkrankt. „Krebs ist gleich Tod. Damit bin ich groß geworden“, sagt Heike Addo.

Fatigue-Syndrom: Erschöpfung und Müdigkeit plagen alle

Jammern und bemitleidet werden – das mögen sie alle nicht. Brigitte Vieth fand ein besonderes Ventil für ihre Angst, als die Diagnose ganz frisch war. „Ich habe das Autoradio auf volle Pulle gestellt und laut mitgesungen“, erinnert sie sich. Trotzdem verfällt sie nach wie vor in Schockstarre, wenn schlechte Nachrichten drohen. Zuletzt 2013, als sie solche Knochenschmerzen hatte, dass der Verdacht auf Metastasen bestand. Sechs Wochen musste die Wittenerin auf den Befund warten. „Es was grausam.“ In der Zeit habe sie viel geregelt, etwa ein Testament gemacht. Zum Glück hat sich der Verdacht nicht bestätigt.

Verstehen sich gut: Brigitte Vieth (li.) und Heike Addo beim Treffen der Selbsthilfegruppe.
Verstehen sich gut: Brigitte Vieth (li.) und Heike Addo beim Treffen der Selbsthilfegruppe. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Die akute Erkrankung haben die Frauen hinter sich. Doch der Krebs und seine Behandlung wirken nach. Bei allen. Gertrud Josten spricht vom „Fatigue-Syndrom“, das mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Wahnsinnige Erschöpfung und ständige Müdigkeit gehen einher mit Konzentrationsproblemen bis hin zu Wortfindungsstörungen. „Viele Außenstehende tun das ab.“ Doch es belaste den Alltag bis heute. Die 30 Stufen bis zur Waschmaschine im Keller werden da zum Kraftakt, den sie allein fast nicht bewältigen kann.

„Man muss lernen, Hilfe anzunehmen“

Wenn ihr alles zu viel wird, schaltet Gertrud Josten den Anrufbeantworter ein, legt sich ins Bett und schläft mitten am Tag ein paar Stunden. „Das kannte ich vorher gar nicht.“ Die anderen nicken. Brigitte Vieth: „Was früher mit links klappte, dauert heute viel länger.“ Betten beziehen zum Beispiel. „Ich habe inzwischen gelernt, Hilfe von anderen anzunehmen“, sagt Gertrud Josten. Vieth und Addo fällt das weiterhin schwer.

Einig sind sich die Frauen, dass der Austausch untereinander ihnen Kraft gibt. Natürlich reden sie nicht mehr ständig über den Krebs. Sie quatschen und klönen, tauschen Rezepte aus, gehen zusammen ein Eis essen oder Minigolf spielen. „Wir leben ja schließlich noch.“

Aber wenn sie etwas auf dem Herzen haben, können sie es hier loswerden. Privates bleibt in der Gruppe. Gerade bekommt ein anderes Mitglied wieder Chemo-Therapie und Bestrahlung. Der Frau geht es sehr schlecht. „Es bedrückt uns alle, wenn man sieht, dass es wieder von vorne anfangen kann.“

Von Misteltherapie bis Entlastungs-BH

Treffen alle zwei Wochen

Die Selbsthilfegruppe für krebsbetroffene Frauen im Café Schelle an der Schellingstraße 6/8 findet alle 14 Tage montags von 15 bis 17 Uhr in den ungeraden Kalenderwochen statt. Die Teilnahme ist kostenlos. Neue Frauen sind willkommen. Auch Angehörige, die Fragen haben, können vorbeikommen. Info: 0157 3932 4868 (Gertrud Josten).

Der Weltkrebstag findet jedes Jahr am 4. Februar statt. Die Internationale Vereinigung gegen Krebs (UICC) hat den Aktionstag 2007 ins Leben gerufen, um auf die Krankheit aufmerksam zu machen.

Trotzdem möchten sie die Nachmittage nicht missen. Und würden ihre Erfahrungen nach OP, Bestrahlung und Reha gerne an noch viel mehr Frauen weitergeben. Etwa darüber, wie wichtig es ist, sich von der Frauenärztin oder dem Frauenarzt gut begleitet zu fühlen. Oder dass eine Misteltherapie den Krebs zwar nicht heilen kann, „uns aber wieder auf die Beine hilft“ und von der Kasse bezahlt wird. Sie wissen, dass ihnen ein Entlastungs-BH und ein entsprechender Badeanzug zustehen. Dass die Lymphdrainage eine ständige Begleiterin bleibt. Und Vorsorgeuntersuchungen ganz wichtig sind.

„Warum gerade ich?“ Diese Frage hätte sie sich nie gestellt, sagt Brigitte Vieth. Was sie sich aber wünschen würde: Dass das Thema Krebs aus der Tabuzone rückt. „Wer nicht betroffen ist, möchte nichts davon hören. Viele haben immer noch Berührungsängste“, so empfinden es die Frauen. „Aber Krebs ist nicht ansteckend.“

In der Selbsthilfegruppe haben sie gelernt, sich nicht aufzugeben, sondern gegenseitig Mut zu machen. Auch Heike Addo weiß die Montagnachmittage längst zu schätzen: „Ich schaffe es immer, zu kommen. Auch wenn ich eigentlich total kaputt bin.“