Düsseldorf/Ratingen. Maßgeschneiderte Therapien eröffnen Krebspatienten neue Chancen. Die WAZ informiert auf der „Yes!Con“ zusammen mit einer Patientenorganisation.
Die WAZ und die Patientenorganisation „yeswecan!cer“ laden am 14. September zu einer kostenlosen Info-Veranstaltung zum Thema-Präzisionsonkologie bei Brust- und Lungenkrebs ein, der „YES!CON Spezial“. Welche Perspektiven sie Patienten eröffnet, zeigen die Beispiele Peter Lierenfeld und Julia Mittelstaedt.
Lungenkrebs-Patientin Julia Mittelstaedt: „Ich habe alle Grenzen gesprengt“
Dieses Jahr, „vielleicht nächstes“, sei es vorbei, sagt Julia Mittelstaedt. Dann werde sie wohl sterben, ihrem Lungenkrebs erliegen. Die Tränen steigen ihr in die Augen, wenn sie davon spricht, sie ist ja erst 44. Aber rasch lächelt die Düsseldorferin wieder: Schon 2016 sagten ihr die Ärzte ja: „Sie werden diesen Kampf nicht gewinnen.“ Und mehr oder weniger deutlich auch: „Es bleiben Ihnen nur noch ein paar Wochen, wenige Monate.“
Vier Tage nach ihrer Hochzeit stand damals die Diagnose: Der Schatten auf der Lunge, den das Röntgenbild zeigte, war ein bösartiger Tumor, der Krebs weit fortgeschritten. Das seltsame Engegefühl im Hals, das nicht verschwinden wollte, der Grund für den Besuch beim Arzt: entpuppte sich als Folge von Metastasen, die sich im Lymphgewebe gebildet hatten und auf die Bronchien drückten; im Hirn der jungen Diplom-Pädagogin fanden sich drei weitere Tochter-Geschwülste. „Aber in den Knochen war nichts“, erzählt sie.
Das Netzwerk Genomische Medizin
Aus einem „Bauchgefühl“ heraus war Mittelstaedt damals nicht dem Klinik-Vorschlag ihrer Hausärztin gefolgt, sondern hatte verlangt, im Lungenkrebszentrum des Düsseldorfer Florence-Nightingale-Krankenhauses behandelt zu werden. Die Gewebeproben ihrer Bronchoskopie schichten die Ärzte zur molekularen Diagnostik des Tumors ans „Netzwerk Genomische Medizin“ in Köln, das sich damals noch im Aufbau befand. „Das es sowas gibt, wussten gar nicht so viele“, erinnert sich die Düsseldorferin und versichert: „Ich wäre längst tot, wenn mein Tumor nicht dort untersucht worden oder ich gar nicht erst zu den Spezialisten gegangen wäre.“
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Denn zwei Wochen später lag im Florence-Nightingale-Krankenhaus das Ergebnis der Erbgut-Analyse des Tumors vor: „ALK positiv“, berichtete der Arzt, strahlend. „Er war ganz aus dem Häuschen“, erinnert sich seine Patientin. Ihr sagte der Name der gefundenen Gen-Veränderung nichts, sie lernte aber: Im Lungenkrebs-Stadium 4 ist die Prognose für Patienten mit sehr viel besser als ohne. Und: diese Form des Lungenkrebses trifft oft Frauen wie sie: junge, sportliche Menschen ohne Vorerkrankungen, solche auch, die niemals in ihrem Leben geraucht haben. Die Ärzte bestrahlten die Hirnmetastasen und verordneten eine „zielgerichtete Therapie“: einen „Tyrosinkinasehemmer“, der sich genau gegen die Eiweiße in der Krebszelle richtet, die das Zellwachstum stimulieren. Es war 2016 ein Medikament der ersten Generation, „es gab kaum Erfahrungswerte damit“, sagt Mittelstaedt. Und es wirkt besser, wenn der Patient zuvor keine Chemotherapie bekommt – ihr Arzt hatte sie überzeugt zu warten...
„Man fühlt sich wie ein Alien“
Inzwischen ist Julia Mittelstaedt selbst Expertin in Sachen Lungenkrebs. Sie hat sich einen Psychoonkologen gesucht, „der mir sehr geholfen hat, mit meinen Ängsten umzugehen“, ist auf Instagram („LungpowerWoman“) aktiv, und über die App der Patientenorganisation „yeswecan!cer anderen Betroffenen eng vernetzt. „Wir sind jetzt 30 in unserer WhatsApp-Mutmacher-Gruppe“, erzählt sie. Man tausche sich untereinander über Therapien, Kliniken und Mediziner aus, mache sich gegenseitig Mut, tröste einander. Die 44-Jährige findet das sehr wichtig, „man fühlt sich mit so einer Krankheit ja wie Alien“.
Die Nebenwirkungen des Tyrosinkinasehemmers seien „heftig“ gewesen, erzählt Mittelstaedt. Sie verursachten „wahnsinnige“ Schmerzen und starke Erschöpfung, so dass sie nicht mehr arbeiten konnte, in Rente gehen musste. „Aber die Tabletten wirkten!“
Die Medikamente wirkten nur neun Monate lang
Leider nur neun Monate lang, dann zeigte das regelmäßige „Staging“ in der Klinik erneut Hirn-Metastasen – ein Zeichen dafür, dass die Patientin eine Resistenz gegen das Medikament entwickelt hatte. Sie musste zu einem anderen wechseln. Das passierte noch weitere Male. Inzwischen ist sie beim vierten Tyrosinkinasehemmer „angekommen“ – einem der jüngsten Generation. Kein weiterer, der ihr helfen könnte, ist bereits zugelassen. „Bisschen Stillstand gerade, ja. Aber es gibt da ein Medikament, das ist noch in der Studienphase, nach dem halten wir Ausschau.“
Dass die Medikamente, die sie schlucken muss, ihren Kinderwunsch unerfüllbar machten, reut sie. Dass sie früher als andere Menschen sterben wird, sagt Julia Mittelstaedt, habe sie aber akzeptiert, sie sei „gewachsen mit der Situation“. Vor drei Jahren schon hat sie Kontakt zu einem Hospizverein aufgenommen. Mit einer Freundin, „auch sie austherapiert“, habe sie kürzlich diskutiert, ob die zielgerichtete Medizin, die ihrer beider Leben um Jahre verlängerte, eher Fluch oder Segen sei. Für Julia Mittelstaedt ist sie ganz klar: ein großer Segen – auch wenn sie in dunklen Momenten mal anders darüber denke. Irgendwann, glaubt sie, werden molekulare Diagnostik und daraus abgeleitete Therapien heute tödliche zu chronischen Erkrankungen machen, irgendwann werden Forscher Medikamente entwickeln, die keine Resistenzen erzeugen. Ihr selbst, weiß sie, wird das nicht mehr helfen. Aber sie habe die gewonnen Jahre zusammen mit ihrem Mann gut genutzt: gemeinsam den großen Traum von einer Reise nach Hawaii verwirklicht, sich einen Hund angeschafft – und „im letzten Jahr hab ich sogar noch meine Führerschein-Prüfung bestanden.“ „Mein Leben ist trotz Krebs lebenswert, und das verdanke ich nur der zielgerichteten Therapie“, sagt Mittelstaedt. Und hängt leise an: „Ich habe doch schon alle Grenzen gesprengt.“
Brustkrebs-Patient Peter Lierenfeld: „Ich bin ein Glückskind“
„Ich bin einer von Euch“ hätte er ihnen am liebsten zugerufen und sein Hemd aufgerissen, die Narbe gezeigt. Doch Peter Lierenfeld wusste: All die vielen Frauen, die während seiner acht Chemotherapien neben ihm im Krankenhaus saßen, wollten es gar nicht hören. Sie hatten genug mit ihren eigenen Problemen zu tun. Der einzige Mann in der Runde der Brustkrebs-Patientinnen blieb: ein „Sonderling“.
Rund 700 Männer erkranken in Deutschland jährlich neu an Brustkrebs – und 100-mal so viele Frauen. Bei dem 61-Jährigen aus Ratingen wurde das Mamma-Karzinom Ende 2020 diagnostiziert. Lierenfeld selbst hatte beim Duschen den „Knubbel“ in der linken Brust entdeckt. Er dachte an eine Fettgeschwulst, machte sich „keine Gedanken“. Eine kluge Freundin riet dem Witwer „sicherheitshalber“ zu einem Besuch bei ihrer Gynäkologin. „War kein Spaziergang“, erinnert sich Lierenfeld. „Ich fühlte mich in der Praxis – als einziger männlicher Patient – mega unwohl.“ Und dann war der Befund auch noch: positiv. Die Frauenärztin schickte den Kosmetik-Manager, der für Dior und Douglas tätig war, sich dabei vom „Make-up-Artisten“ zum Verkaufsdirektor hinaufgearbeitet hat, noch am selben Tag zur weiteren „Abklärung“ in das Neusser Brustkrebszentrum im Johanna-Etienne-Krankenhaus. „Ein Riesenglück“, sagt Peter Lierenfeld. Bei Männern wird Brustkrebs oft erst spät erkannt und nicht jeder landet gleich beim richtigen Arzt.
Spezialisten untersuchten die DNA des Tumors
Die Spezialisten in Neuss nahmen eine Gewebeprobe, untersuchten die DNA des „Knubbels“ – und bestätigten, der Tumor ist bösartig. Sie hatten aber noch mehr herausgefunden. „Es handele sich um einen nicht erblichen, sehr, sehr seltenen, hormon-getriebenen Brustkrebs, erklärten sie mir“, berichtet der Ratinger. „Und sie sagten, dass das eine gute Nachricht sei.“
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Heute, anderthalb Jahre später, ist Peter Lierenfeld tatsächlich: geheilt. „Ich bin wieder vollkommen gesund“, sagt er. Doch er musste kämpfen dafür – „die letzten 18 Monaten waren nicht schön“, erinnert er sich. Unter der Chemo-Therapie („heftig, aber längst nicht das Heftigste“) schrumpfte der Tumor von 35 auf 8,9 Millimeter Durchmesser, im August 2021 folgten die Operation („sogar brusterhaltend!“) und danach „zur Vorsicht“ 16 Bestrahlungen („adjuvante Radiotherapie“), schließlich eine gezielt auf ihn und seinen Krebs zugeschnittene Antihormon- und Antikörpertherapie. Mehr als drei Schritte am Stück schaffte er zeitweise nicht, an manchen Tagen lag er 20 Stunden lang im Bett.
„Wäre ich nur fünf Jahre früher erkrankt, wäre ich vielleicht schon tot“
16 Kilo hat der 61-Jährige zudem verloren – und bis heute mit Missempfindungen in Händen und Füßen zu kämpfen, auch mit Gedächtnislücken, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen. „Ich würde liebend gern wieder arbeiten“, erzählt er. „Aber ich kann keine fünf Zahlen addieren.“ Und doch sagt er: „Ich bin ein echtes Glückskind. Wäre ich nur fünf Jahre früher erkrankt, wäre ich vielleicht schon tot. Da war die Krebsmedizin ja noch nicht so weit.“
Seine Ärzte erklärten ihm, dass man heute verstehe, wie Antikörper und Antihormone, die er als Infusionen ambulant im Krankenhaus erhielt, die „Andockstellen“ der Krebszellen „verstopfen“ - und so das unkontrollierte Wachstum des Tumors stoppen könnten. Er lernte aber auch, dass es noch immer Ärzte gibt, die gar nicht wissen, dass eine Hormontherapie männlichen Brustkrebs-Patienten helfen kann. „Ich kann daher nur jedem und jeder raten, sich in einem Spezialzentrum behandeln zu lassen“, betont Lierenfeld. „Schon weil da 15 Hirne sitzen, die sich untereinander beraten, und nicht bloß ein einzelner Krebsarzt.“
„Der Port ist schon wieder entfernt worden“
Zehn Jahre lang wird er noch Hormon-Tabletten nehmen, alle sechs Monate steht eine Nachuntersuchung an. Doch Peter Lierenfeld sieht ihnen gelassen entgegen. Den Port-Katheter, den Dauer-Zugang in die Vene, den man ihm vor der ersten Chemo legte, hat er schon wieder entfernen lassen. Er sei so glücklich, sagt der 61-Jährige, dass er die Krankheit überstanden habe, dass ihn der Brustkrebs nicht besiegte – wie er vor 20 Jahren seine Mutter besiegt habe. Er sei nun dankbarer als früher, auch „freier“ geworden, ergänzt er. „Früher war ich sehr eitel, stolz auf mein Aussehen und meine teuren Anzüge. Heute ist mir das nicht mehr wichtig. Ist halt so, denke ich mir, wenn ich im Spiegel sehe, wie ich mich verändert habe.“
Die Nachbarn hängten ein Plakat über seiner Haustür auf, als er endlich wieder heimkam: „Du hast es geschafft“, stand darauf.
>>> Die WAZ lädt zur Patienten-Veranstaltung „Präzisionsonkologie“ ein
Am 14. September laden WAZ und „yeswecan!cer“, eine digitale Patientenorganisation, zu einer Info-Veranstaltung zum Thema ein. Vier Expertinnen und Experten werden in kurzen Vorträgen über die Möglichkeiten der Präzisionsonkologie sprechen und darüber, welche Perspektiven sie Patienten und Patientinnen mit Lungenkrebs (ab 16 Uhr) und Brustkrebs (ab 18.30 Uhr) eröffnen. Anschließend werden die Mediziner die Fragen Interessierter beantworten. Fragen können bereits vorab an folgende Mailadresse geschickt werden.
Das „Yes!Con-Spezial“ findet als Hybrid-Veranstaltung statt: Es kann live vor Ort im Essener Uniklinikum (Deichmann-Auditorium) oder online im Live-Stream auf dem waz.de-Portal sowie auf dem von „yeswecan!cer“ verfolgt werden.
Interessierte, die vor Ort teilnehmen möchten, bitten wir um Anmeldung: telefonisch unter 0201 / 804-8058; oder per Mail an leserveranstaltung@waz.de (Stichwort: YES!CON). Bitte geben Sie Ihren Namen an, die Zahl Ihrer Begleiter, Ihre Anschrift und eine Kontaktmöglichkeit – sowie, für welche der Vorträge Sie sich interessieren. Anmeldungen für beide Themenkomplexe sind möglich.
Weitere Info: https://yeswecan-cer.org/