Witten. . Anke Steuer von der Selbsthilfe-Kontaktstelle Witten/Wetter/Herdecke spricht über die Gründung neuer Gruppen und warum sie so wichtig sind.
- Seit 1985 gibt es die Selbsthilfe-Kontaktstelle Witten-Wetter-Herdecke
- Etwa 60 Gruppen wurden von hier aus gegründet - Bandbreite reicht von Asthma bis Zöliakie
- Sozialpädagogin Anke Steuer betont im Interview: Angebot ist kein Ersatz für eine Therapie
Sie sitzen im Stuhlkreis und sprechen über ihre Sucht – dieses Bild von Selbsthilfegruppen kursiert in vielen Köpfen. „Das kennt man als Außenstehender ja vor allem aus Filmen“, sagt Andreas Bouecke. Der 28-Jährige studiert Sozialarbeit, hat gerade ein Praktikum in der Selbsthilfe-Kontaktstelle an der Dortmunder Straße in Witten begonnen und gleich gemerkt: „Das ist ein spannendes Feld.“ Denn hier ergreifen Menschen ohne Zwang selbst die Initiative. „Es ist eine Arbeit auf Augenhöhe“, sagt auch Sozialpädagogin Anke Steuer. Die 49-Jährige räumt im Interview mit dem verstaubten Image der Selbsthilfe auf und erklärt, warum neue Gruppen gerade wie Pilze aus dem Boden schießen.
Ob Asthma, Arbeitslosigkeit, Demenz, Migräne, Rheuma, Tinnitus oder Zöliakie – zu all diesen Anliegen haben sich Selbsthilfegruppen gegründet. Wie viele sind es genau?
Anke Steuer: Etwa 60 Gruppen mit im Schnitt zehn Mitgliedern gibt es in Wetter, Herdecke und Witten. Die meisten treffen sich in Witten.
Seit wann gibt es Selbsthilfegruppen überhaupt?
Die ersten haben sich in den 80er Jahren gegründet – als Patientenrechte mehr in den Vordergrund rückten und die Menschen im Umgang mit Krankheiten selbstbewusster aufzutreten begannen. In Göttingen startete die allererste Selbsthilfe-Kontaktstelle mit der Arbeit. NRW-weit gab es in Dortmund die erste und in Witten die zweite Stelle. Das war 1985. Anfangs konzentrierte sich die Selbsthilfe vor allem auf psychische Krankheiten, deshalb war zunächst der Verein Viadukt mit in unseren Räumen untergebracht. Der ist dann aber an die Ruhrstraße gezogen und hat neuen Gruppen Platz gemacht.
Welche Gruppen haben die meisten Mitglieder?
Das sind vor allem jene, in denen es um Depressionen, Ängste und Suchterkrankungen geht. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Betroffenen in der Regel lange auf einen Therapieplatz warten müssen. Wir haben allein drei Gruppen, in denen Menschen mit Depressionen sich treffen. Wir gründen gerade eine vierte für Angehörige und könnten, was das Interesse angeht, auch noch eine fünfte Gruppe gründen.
Der Besuch einer Gruppe ersetzt keine Therapie
Woran liegt das?
Psychische Erkrankungen treten gerade ein wenig aus der Tabu-Zone heraus. Die Menschen haben mehr Mut, das anzugehen. Eine Ursache dafür, dass es derzeit so viele Gruppen gibt, könnte auch die bessere finanzielle Förderung der Selbsthilfe sein. Seit 2015 regelt ein neues Präventionsgesetz, wie viel die Krankenkassen pro Versicherten investieren müssen.
Was bringt so eine Selbsthilfegruppe überhaupt?
Zunächst mal: Sie ist nicht vergleichbar mit einer Therapie und auch kein Ersatz dafür. Sie ist nicht weniger gut oder besser. Das Angebot ist einfach anders. Selbsthilfe lebt davon, dass die Betroffenen etwas tun und nicht einfach die Zeit bei den Treffen absitzen. Wenn jemand eine schwerwiegende Erkrankung hat, ist er schnell isoliert. Die Gruppe hilft, Kontakte zu pflegen und nicht allein zu sein. Da kommt auch viel Erfahrungswissen zusammen: Wenn ich sehe, wie jemand seine Situation meistert, kann ich mir vielleicht etwas davon abgucken. Oder ich stelle fest: Mir geht es eigentlich doch ganz gut. Manche treffen sich auch zum Frühstück oder trinken zusammen Kaffee.
„Wir helfen bei der Gründung einer Gruppe“
Und wenn es keine passende Selbsthilfegruppe für mich gibt?
Dann kann man versuchen, eine zu gründen. Dabei sind wir ja behilflich und das kostet nichts. Wir setzen uns zusammen und schreiben Pressetexte, in denen wir zum ersten Treffen einladen. Anfangs moderieren wir die Treffen, oft ist aber auch ein Initiator da, der das macht. Außerdem gibt es so genannte „Ingangsetzer“, das sind Ehrenamtliche, die die Gruppen unterstützen. Sie achten darauf, dass die Teilnehmer über sich persönlich sprechen und nicht von „man“ reden oder ständig gute Ratschläge geben. Und sie erklären die Regeln. Eine wichtige: Gesprochenes bleibt im Raum.
INFO: Eine Schlaganfall-Gruppe trifft sich regelmäßig im Herdecker Ambulanticum. Im Gemeinschaftskrankenhaus sprechen die Anonymen Alkoholiker über ihre Probleme, bald startet am selben Ort eine Gruppe zum Thema „Depressionen“.
Wer eine Gruppe besuchen oder gründen möchte, meldet sich unter 02302/1559. Info: www.selbsthilfe-witten.de