Witten. Er war gut aussehend, erfolgreich, aufmerksam – und ein Betrüger. Wie eine Wittenerin beim Online-Dating fast um ein Vermögen gebracht wurde.
Er nannte sich „Gentleman“, war 57, groß und gut gebaut, zeigte sich auf Fotos elegant in Schal und Mantel – eben genau die Art Mann, die ihr gut gefällt. Auch er war ganz begeistert von ihr, „Herzensdame“, ihren schönen Augen und der „tollen Ausstrahlung“. Aber die Wittenerin war noch nicht verliebt genug, als er sie nur wenige Tage später um 10.000 Euro bat.
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„Herzensdame“ heißt für diesen Bericht Anja, ist 53 Jahre alt und von Beruf Kardiologin. Warum sie erzählen möchte, wie dieser Mann, den sie beim Online-Dating kennenlernte, sie um ein Vermögen bringen wollte? „Weil ich nicht begreife, wie man so mit den Gefühlen anderer Menschen spielen kann“, sagt sie. „Und weil ich andere Frauen genau davor bewahren möchte.“
Wittenerin war lange Single, bevor sie Online-Dating ausprobierte
Es war im Dezember 2020, nach einem einsamen Weihnachtsmarktbesuch, als Anja sich entschied, es mal mit Online-Dating zu versuchen. „Da war ich seit sieben Jahren Single – irgendwann wünscht man sich einfach jemanden an seiner Seite.“ Die damals 50-Jährige schloss ein Sechs-Monats-Abo ab. „Gentleman“ war einer der ersten, der ihr schrieb. Noch am selben Abend schickte er ihr schon Liebeslieder: Ed Sheerans Hit-Ballade „Perfect“, aber übersetzt auf Deutsch, weil er wusste, dass sie es mit Englisch nicht so hatte. Ob sie nicht auf dem Handy weiterschreiben wollten? Er wolle gar niemand anderen mehr kennenlernen, sich bei der Dating-Plattform abmelden. Und tatsächlich: Wenig später hatte er sein Profil gelöscht – obwohl er doch ein teures Jahresabo abgeschlossen hatte. „Natürlich fühlt man sich da geschmeichelt.“
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Sie schrieben Tag und Nacht. „Gentleman“ fragte sie nach ihrer Mutter, der es zu dieser Zeit gut ging. Als Anja ihr davon erzählte, war die 80-Jährige begeistert: „Wenn er sich sogar nach mir erkundigt, muss er ein Guter sein!“ Und nicht nur in dieser Hinsicht wurde der vorgebliche Kölner seinem Alias gerecht: „Er schickte mir Bilder vom Spaziergang mit seinem Hund und von sich selbst beim Kochen mit Musik und Rotwein – weil ich ihm erzählt hatte, dass ich den gerne trinke – und wünschte sich, dass wir das alles bald zusammen machen.“ Jeden Abend bekam sie ein Liebeslied, irgendwann sogar Blumen mit Schokoladenherzen. „Eigentlich sollte auch ein Teddy dabei sein, aber der war leider immer ausverkauft ...“
Betrüger bittet Wittenerin um 10.000 Euro
Zwischen den Jahren wollten sie sich zum ersten Mal treffen, kurz vorher schrieb er, er müsse geschäftlich nach Sydney. „Er sagte mir, er arbeite für eine Uhrenfirma und kaufe für sie Gold an.“ Gerade arbeite er an seinem „Lebensprojekt“. Es fehle nicht mehr viel – wenn alles gut ginge, wäre er nach seiner Rückkehr ein reicher Mann. „Er schickte mir die Flugtickets, Bilder vom Flughafen – die Details passten alle“, betont die Ärztin. „Da habe ich mich zum ersten Mal gewundert, warum er so großen Wert darauf legt, mir das alles zu zeigen.“ Während seiner Reise telefonierten sie zum ersten Mal miteinander – mit Video. „Er wollte mir unbedingt den Koffer mit den Goldbarren zeigen.“ Das tat er auch, das Gold war da. „Aber immer, wenn er ins Bild kommen sollte, brach auf wundersame Weise die Verbindung ab …“
Wenige Tage später sollte er nach Deutschland zurückkehren, Anja ihn am Flughafen abholen. Dann, am Tag des Abflugs, die Nachricht: „Ich habe ein Problem.“ Sydney habe eine „Covid-19-Steuer“ erhoben. Wenn er die nicht zahle, könne er den Koffer mit dem Gold nicht außer Landes bringen, bekäme Probleme mit der Firma. „Covid-Steuer? So ein Schwachsinn“, Anja verdreht die Augen, während sie daran denkt. „Ich habe einfach nur gedacht: Bitte, bitte frag nicht ...“ Aber natürlich fragte er. „Du kriegst das Geld sofort wieder, es wäre nur geliehen ...“ Als sie ihn fragte, ob er sie veräppeln wolle, wurde er defensiv. Wie sie so etwas von ihm denken könne … schon bald kam gar nichts mehr. Anja war erschüttert, ihre Mutter genauso, das habe ihr fast am meisten leid getan. Ihr Sohn, damals 26, habe zu ihr gesagt: „Mama, es tut mir sehr leid, dass dir das passiert ist, aber was hast du erwartet?“
Wittenerin wurde womöglich Opfer einer Betrügerbande
Ja, was? Anja ging mit dem Fall zur Polizei, aber die konnte nichts tun. „Wenn ich die 10.000 Euro gezahlt hätte, hätten sie das Geld verfolgen und ihn so drankriegen können.“ Aber wer würde das riskieren, mit dem eigenen Kapital? Der Polizeibeamte selbst auch nicht, als sie ihm diese Frage stellte. „Ich wollte trotzdem irgendwie auf das Thema aufmerksam machen.“ Die heute 53-Jährige wandte sich an die Dating-Plattform, wo man den Fall aufnahm und sie zum Geschäftsführer durchstellte. „Ich hoffe, Sie haben nicht gezahlt“, sagte der zu ihr und entschuldigte sich für den Vorfall.
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„Er fragte mich, ob der Kerl mir Tierbilder geschickt hat – so geben sie sich fürsorglich – oder ob er mich irgendwann mal gesiezt hat.“ Ja – und ja, einmal war das so, sie hatte sich über diese Nachricht gewundert. Dann liege der Verdacht nahe, dass sie es mit einer französischen Betrügerbande zu tun hatte. „Die benutzen wohl einen Übersetzer, der manchmal aus ‘Du’ ein ‘Sie’ macht.“ Ob der Betrüger zum Schreiben schnell von der Plattform auf eine App habe wechseln wollen? Wieder Ja. „Die Daten werden wohl erst nach einem Tag gespeichert – wenn sie es schaffen, ihr Konto innerhalb von 24 Stunden wieder zu löschen, sind sie für den Anbieter nicht auffindbar.“ Und das Jahresabo? „Bezahlt mit einer geklauten Kreditkarte.“
Blumenservice: Masche ist bekannt
Anja konnte es nicht fassen, wandte sich sogar an den Blumenservice, um vielleicht so herauszufinden, wer der Mann war, der sie betrügen wollte. Der Verkäufer fand die Lieferungen im System, sagte ihr, dass der Sender mit Kreditkarte bezahlt hatte. „Schokoladenherzen, der Teddy war immer ausverkauft?“, habe er wissen wollen und sei überhaupt nicht überrascht gewesen, als sie bestätigte. Solche Fälle gebe es öfter. Um es den Betrügern schwer zu machen, hätten sie die Möglichkeit zur anonymen Bestellung vor kurzem abgeschafft. Mittlerweile könne man Blumen nur noch als Gast bestellen, muss dabei einige Daten angeben. Aber leider erst, nachdem „Gentleman“ es schon bei Anja versucht hatte.
„Ich wurde schon zweimal von Männern betrogen – einmal in meiner Ehe und einmal in einer langen Beziehung – und habe trotzdem noch an echte Partnerschaften geglaubt“, erzählt Anja. Aber sie sei misstrauischer geworden. Wenn heute ein Mann nur mit ihr schreiben, sich aber nicht treffen oder telefonieren will, sagt sie ihm: „Ich suche keine Brieffreundschaft.“ Bisher hatte sie sechs Dates mit Männern, die sie online kennengelernt hat. „Bei vier von denen stimmten weder das Foto noch das Alter.“ Ihre Alterspräferenz: 50 bis 60. Der älteste war 78. Sie könne das alles mit Humor nehmen, aber schade finde sie es trotzdem. „Man fragt sich schon, ob man irgendwann den einen, der es ernst meint, wegstößt, weil alle anderen vorher es eben nicht ernst gemeint haben.“