Witten. „Dry January“ ist ein neuer Trend aus England, im ersten Monat des Jahres keinen Alkohol zu trinken. Das sagt ein Mediziner aus Witten dazu.

Mit „Dry January“ wird der Vorsatz bezeichnet, im ersten Monat des Jahres abstinent zu leben: ein Trend, der als Initiative einer britischen Gesundheitsstiftung begann und über die sozialen Medien populär wurde. Darüber sprach WAZ-Redakteur Andreas Fettig mit Professor Weckbecker, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Uni Witten/Herdecke.

Herr Prof. Weckbecker – worum geht’s beim „Dry January“?

Es geht darum, für einen gewissen Zeitraum Abstinenz zu üben. Die Sucht ist eine oft übersehene Volkskrankheit. Wir gehen davon aus, dass ungefähr fünf Prozent der Bevölkerung suchtkrank sind. „Dry January“ ist die Idee, dass man einfach versucht, ein Suchtmittel wegzulassen, um zu schauen, was passiert.

Warum kann es eine gute Idee sein, das Jahr nüchtern zu beginnen? Ist das überhaupt ein guter Zeitpunkt, um anzufangen?

Letztlich ist jeder Zeitpunkt gut. Es ist einfach wichtig, dass man sich regelmäßig überprüft: Habe ich noch die Kontrolle? Krieg’ ich das noch hin? Der Januar ist ein guter Monat, weil wir über die Feiertage vielleicht etwas mehr über die Stränge geschlagen und nun die Motivation haben, das alles wieder zu bremsen.

Ketzerisch gefragt: Bringt der Verzicht für vier Wochen überhaupt was?

Es bringt eine ganze Menge. Der erste Effekt hat - wie gesagt - mit der Psyche zu tun. Ich prüfe, was mit mir passiert, wenn ich das Suchtmittel absetze. Im Idealfall bremst der zeitweilige Verzicht den Konsum auch langfristig. Hinzu kommt der körperliche Effekt: Wenn ich Alkohol weglasse, kann sich die Leber erholen. Nach vier Wochen Alkohol-Pause sind die Leberwerte meist deutlich besser.

Woran kann ich selbst erkennen, dass ich gefährdet bin?

Man kann es schlecht an der Menge des Alkohols festmachen. Ich finde immer die Frage interessant, ob Menschen den Konsum fortsetzen, trotz negativer Folgen: Wenn sich der Betroffene im Rausch verletzt oder den Führerschein oder sogar den Job verloren hat. Oder Freunde und Angehörige haben sich besorgt über den Konsum geäußert – und trotzdem trinkt derjenige unvermindert weiter. Das wäre ein Warnsignal, wo ich wirklich sagen würde: Achtung, Lebensgefahr!

Woran machen Sie als Arzt den Übergang von riskantem Konsum zur Sucht fest?

Das ist ein schleichender Übergang, und das macht es so gefährlich, weil es dem Patienten oft selbst nicht klar ist. Und es gibt nicht die eine Frage, die sie stellen müssen, damit Sie eine Suchtkrankheit identifizieren. Es ist ein Warnsignal, wenn andere Menschen sich Sorgen machen über jemandes Konsum, wenn der Betroffene seinen Konsum verheimlicht oder regelmäßig alleine trinkt. Es ist ein starkes Warnsignal, wenn jemand negative Konsequenzen aufgrund des Alkoholkonsums hat – und trotzdem weitertrinkt.

Allgemeinmediziner Professor  Klaus Weckbecker ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Uni Witten/Herdecke.
Allgemeinmediziner Professor Klaus Weckbecker ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Uni Witten/Herdecke. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Umgekehrt gefragt: Gibt es ein unteres gefahrloses Konsum-Level?

Laut offiziellen Empfehlungen ist das für Männer ein Viertel Wein oder ein halber Liter Bier. Aber jeden Tag eine Flasche Bier …. da bin ich auch wieder skeptisch, weil man sich da wirklich daran gewöhnt. Häufig kommen Patienten zu mir mit einer Schlafstörung – das ist eine typische Nebenwirkung von Alkohol. Wenn wir Alkohol trinken, schlafen wir besser ein, aber schlechter durch. Wenn ich diesen Patienten empfehle, das Bier wegzulassen, ist oft auch die Schlafstörung behoben. Und deshalb tue ich mich mit der Menge schwer.

Alkohol ist Teil unseres Gesellschaftslebens, das Reden über Sucht tabuisiert. Was tun, wenn ich merke, ein nahestehender Mensch entwickelt ein gefährliches Konsumverhalten?

Sprechen Sie es an und sagen: Ich mache mir Sorgen. Vielleicht auch mit dem Angebot: Wenn ich helfen kann, würde ich das gerne tun. Das ist in Ordnung. Denn das ist doch was Tolles, wenn wir uns um jemanden Sorgen machen. Man muss es ansprechen – gerade die Angehörigen. Sie leiden ja auch enorm unter der Sucht. Der Alkohol zerstört nicht nur das Leben des Alkoholikers, sondern auch das der Angehörigen. Daher ist es echt wichtig, dass man das offen anspricht.

Auch wenn das vielleicht als übergriffig empfunden werden kann?

Ja, unbedingt: Es ist ein bisschen wie bei der Depression: Da gab und gibt es ja weiter diese Scheu, dieses Stigma. Psychische Erkrankungen sprechen wir ungern an. Das müssen wir aber lernen als Gesellschaft.

Wie sieht eine Therapie aus, wenn jemand kommt und sagt: Herr Doktor, ich bin alkoholkrank. Helfen Sie mir!

Wir haben früher als Mediziner verstärkt die Theorie vertreten: Der Patient solle kontrolliert trinken, um seine Probleme in den Griff zu bekommen. Das ist für einzelne Patienten weiter ein Weg aus dem Alkohol, aber für die meisten nicht. Man muss das individuell mit dem Patienten besprechen: Was will er erreichen, und wie kann ich ihn unterstützen? In der Regel wird der Entzug das Ziel sein. Interessant finde ich aber auch immer die Frage: Wie ist es dazu gekommen? Es gibt mehrere Hypothesen, warum jemand alkoholkrank wird. Eine mögliche Ursache könnte eine Depression sein: Wenn ich depressiv bin und trinke Alkohol, dann euphorisiert der – die Depression ist kurzzeitig abgestellt. Langfristig natürlich nicht – im Gegenteil. Es kann ein Lösungsansatz sein, im ersten Schritt die Depression zu behandeln. Manchmal ist es auch das Lernen am Vorbild, am Umfeld – dass etwa in der Familie oder im Freundeskreis sehr viel Alkohol getrunken wird. Dann muss man das ebenso berücksichtigen bei der Therapie. Wenn jemand alkoholabhängig ist, dann ist der Entzug sozusagen nur der Startschuss, um ihm die Möglichkeit zu geben, auch wieder ohne Alkohol zu leben. Aber ich warne davor im Falle einer Sucht, Alkohol einfach so abrupt abzusetzen, das geht oft gar nicht und ist auch nicht ungefährlich. Deswegen auch mein Appell: Dazu muss man sich professionelle Hilfe einholen. Wir haben ein gut ausgebautes Suchthilfe-System. Diese Experten sollte man dann mit ins Boot holen. Man kann sich aber auch an seinen Hausarzt wenden für die ersten Schritte.

>>>>>> Info <<<<<<

Prof. Klaus Weckbecker leitet zusammen mit Prof. Achim Mortsiefer das Institut für die Stärkung der Allgemeinmedizin und ambulanten Versorgung an der Uni Witten/Herdecke. Besonderes Augenmerk Gesundheitsversorgung bei der Hausärztin und beim Hausarzt mit einer Vielzahl unterschiedlicher Behandlungsanlässe in allen Altersgruppen.

Gemeinsam mit ihm widmen wir uns den Volkskrankheiten und medizinischen Alltagsfragen. Alle Folgen finden Sie auf: waz.de/sprechstunde