Witten. Es dampft, es stinkt, es brodelt: Die Stahlproduktion in Witten läuft seit Jahrhunderten. Doch was und wie wird bei DEW eigentlich produziert?
Das Stahlwerk spürt man überall in der Wittener Innenstadt. Manchmal hört man ein hartes Klonken oder Schlagen, manchmal sieht man eine Dampfwolke, manchmal riecht man es: Dann stinkt es abends nach Schwefel oder der Kunststofflösung Polymer. Nur wenige Wittener aber wissen, wie es hinter den Zäunen und Mauern aussieht, die das Werksgelände begrenzen – und wo die Welt der Schwerindustrie beginnt.
Die Ursprünge des Wittener Gussstahlwerks liegen Mitte des 19. Jahrhunderts. Inzwischen gehört der große Industriekomplex zwischen Ruhr und Innenstadt zu den Deutschen Edelstahlwerken (DEW) und die wiederum zur börsennotierten Swiss Steel Group. Auch das Werk selbst scheint sich zwischen Hochtechnologie, wie man sie in der Steuerzentrale des Walzwerks findet, und Erinnerungen an die Zeit der Ruhrbarone, wie die Hauptverwaltung. zu bewegen. Das geklinkerte und reich verzierte Gebäude in der Mitte des Werksgeländes nennt man im Betrieb selbst auch „Das rote Schloss“.
Im Elektrolichtbogenofen wird Schrott zu Stahl gekocht
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Die höchsten Gebäude sieht man vom Ruhrdeich aus: den Elektrolichtbogenofen (ELO), in dem Schrott zu Stahl gekocht wird, und die Stranggussanlage, in die vertikal das flüssige Metall gekippt wird. Sie produziert lange Stangen, die nachher im Walzwerk zu dem verformt werden, was das Unternehmen letztlich verkauft: Vierkant- oder Rundstäbe aus Edelstahl, die andernorts, etwa von Schmieden oder Zerspanern, weiterverarbeitet werden. Zu Zinken von Gabelstaplern, Kurbelwellen für Lkw, Kolbenbolzen oder Getriebe-Elemente, um einige von zigfachen Beispielen zu nennen. Es kann aber auch die OP-Nadel sein.
33 Prozent aller Wittener Produkte gehen an Kunden aus dem Automobil-Bereich, 13 Prozent in den Maschinenbau, 28 Prozent in den Handel und ein Prozent übrigens in die Luft- und Raumfahrttechnik. Denn in Witten kochen sie nicht nur eine Sorte Edelstahl. Je nach Behandlung oder Legierung bekommt er verschiedenste physikalische Eigenschaften: rostfrei, hitzebeständig, druck- oder reißfest.
35-Jährige leitet Stahlverarbeitung
Man kann sich fürs Stahlkochen begeistern – zumindest Tabea Jentzsch tut das. Die 35-Jährige ist seit 2020 die Betriebsleiterin für das Walzwerk und die Wärmebehandlung. Ihre Begeisterung für die rotglühenden Metallblöcke entfachte ein „Tag der offenen Tür“ im Stahlwerk. Damals war sie Teenager, danach studierte sie Werkstofftechnik in Aachen. „Der Moment, wenn die Ofentür aufgeht, begeistert mich bis heute“, sagt die Ingenieurin.
Aller Anfang der Stahlproduktion in Witten ist der Schrott, der in Zügen das Werk an der Gasstraße erreicht. Das Altmetall stammt aus der Region, ist sortiert und eher hochwertig. Im Elektrolichtbogenofen landen zum Beispiel die Verschnittprodukte der DEW-Kunden und weniger alte Autobleche. 130 Tonnen Schrott werden pro Schmelzvorgang gekocht. Und je besser die Metallreste, umso weniger müssen die Mitarbeitenden „nachlegieren“, also zum Beispiel Nickel oder Chrom nach der Schmelze zufügen.
Heiße Stahlsuppe landet in zwei „Backformen“
Der ELO frisst gigantisch viel Strom. Denn mit seinen drei Elektroden funktioniert er wie ein Kurzschluss. Oder wie ein ständig stehender Blitz. Bis zu 10.000 Grad wird es in dem Ofen heiß. Die rot glühende Stahlsuppe wird anschließend in Pfannen abgelassen, die jeweils 60 Tonnen fassen, und landet in zwei „Backformen“: In der Stranggussanlage werden Stahlstangen gegossen, in der Blockgussanlage Quader, die zwischen fünf Tonnen und 53 Tonnen schwer sein können.
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Die weiteren Wege sind unterschiedlich. Manche Rohstahlblöcke verlassen Witten noch heiß, in speziellen Thermo-Wagen. Man sieht diese Lkw – meist mit Bottroper Kennzeichen – zuhauf durch Witten fahren. Viele Werkstücke aber dürfen erst mal liegen, in Ruhe abkühlen und aushärten. 90 Prozent aller DEW-Produkte sind Stahlstäbe, die im eigenen Walzwerk weiterverarbeitet werden.
Im Walzwerk wird mit Gas geheizt
Auch dort wird es noch mal heiß. In einem diesmal mit Gas geheizten Ofen werden die Stahlriegel erneut erhitzt, auf etwa 1400 Grad. Mit lautem Geschepper spuckt ein drehbarer Ofen die rotglühenden Blöcke auf ein gigantisches Rollband. Die tonnenschweren Werkstücke schießen über die Rollen oder durch Tunnel in die Walzen und werden dort verformt.
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Mitarbeiter sieht man im Walzwerk nur wenige. Allein aus Arbeitsschutzgründen kann man hier nur über Brücken durch das Sammelsurium der Förderbänder laufen. Überall fallen einem Sensoren ins Auge, die das Material scannen und vermessen. Besonders beeindruckend ist ein Besuch bei Detlef Wasserroth.
Der 57-Jährige sitzt im Leitstand, einer Kabine über den Walzen, und steuert diese mit zwei Joysticks und Fußpedalen. Den fünf Tonnen-Block schiebt er mithilfe riesiger Greifer von links nach rechts, befördert ihn immer wieder durch die Walze und jedes Mal wird das Werkstück länger oder gerader – als würde man kneten in XXL. Zwischendurch ist mancher Strang 140 Meter lang.
„Das ist eine Arbeit, die jahrelange Erfahrung braucht“, sagt Betriebsleiterin Tabea Jentzsch. „Das kann in dieser Geschwindigkeit kein Computer leisten. Die Kollegen können sogar sehen, wie viel Grad der Stahl hat.“ Menschen wie Detlef Wasserroth geben den Takt im Walzwerk an. Alle 80 Minuten wird der Anlagenführer abgelöst, so sehr muss man sich konzentrieren. Denn alle fünf bis sechs Minuten kommt ein neues Werkstück angeschossen. „Ich schaffe 15 Stück pro Schicht. Und ich mach das schon seit 40 Jahren“, brummt der Stahlarbeiter und dreht seine Joysticks. Man könnte glauben, er steuere einen Hubschrauber.