Hagen/Luzern. Die Deutschen Edelstahlwerke schmelzen in Witten und Siegen Schrott zu Stahl und brauchen dafür Strom. Was das für die Wettbewerbsfähigkeit heißt

Die Deutschen Edelstahlwerke (DEW) sind auf dem Weg zu Green Steel, also CO2-neutralem Stahl, bereits weit. Hergestellt wird Stahl bei DEW in Witten und Siegen aus Recyclingschrott, und zwar in Elektrolichtbogenöfen. Da die Öfen mit Strom betrieben werden, ist die Produktion aktuell extrem teuer. Gegenüber dieser Zeitung äußert sich die DEW-Muttergesellschaft Swiss Steel mit Sitz in Luzern dazu, inwieweit sich die Stahlproduktion in Deutschland noch lohnt, oder ob auf Standorte im Ausland ausgewichen wird.

Wie beurteilt die Swiss Steel Group die Bemühungen der Bundesregierung, Unternehmen am Standort Deutschland durch Energiepreisbremsen zu entlasten?

Die Swiss Steel Group begrüßt diese Schritte zur Überbrückung der akuten Energiepreiskrise. Bei der Gaspreisbremse scheinen letzte Details jedoch noch nicht abschließend geklärt, zum Beispiel beim Vergleichszeitraum für den Verbrauch. Es wäre aus unserer Sicht angemessener, den Jahresverbrauch 2021 als Grundlage zu nehmen, wie es die ExpertInnenkommission Gas und Wärme vorgeschlagen hat. Nimmt die Bundesregierung hingegen den Gasverbrauch zwischen November 2021 bis Oktober 2022 als Vergleichszeitraum, ist die Bremswirkung der Maßnahme weniger stark. Immerhin mussten wir unseren Gasverbrauch aufgrund der hohen Preise im laufenden Jahr schon deutlich reduzieren und die Stahlproduktion damit teilweise einschränken.

Ist für Sie die Gas- oder die Strompreisbremse entscheidender?

Für uns als Stahlerzeuger auf der Elektrostahlroute sind die Preise für Strom und Gas beide hoch relevant. Bezahlbaren Strom brauchen wir in erster Linie für die Elektrolichtbogenöfen, bezahlbares Gas in der Weiterverarbeitung. Beim Strom kämpfen wir bereits seit über einem Jahr mit außergewöhnlich hohen Preisen, beim Gas kommt neben den zwischenzeitlich vervielfachten Preisen die drohende Knappheit im anstehenden und darauffolgenden Winter als weitere Belastung hinzu. Wir berechnen noch, was die absehbare Entlastung bei beiden Energieträgern auf dem Papier bedeutet. Wichtig ist, dass beide Preisbremsen zügig und ohne hohe administrative Hürden umgesetzt werden.

Gilt für DEW die allgemeine Lösung für Großkunden, oder müssen Sie aus EU-Wettbewerbsgründen Einzelnotifizierungsverfahren durchlaufen?

Die Notwendigkeit von Einzelverfahren bei der Europäischen Kommission ergibt sich nach aktuellem Stand bei Entlastungen über 150 Mio. Euro. Die Europäische Kommission hat erst Ende Oktober den angepassten Krisenbeihilferahmen (TCF) vorgelegt und die Bundesregierung konnte die Vorschläge der ExpertInnenkommission Gas und Wärme gerade für den industriellen Bereich noch nicht eingängig prüfen. In der Stahlbranche geht die berechtigte Sorge um, dass vor allem der EU-Beihilferahmen zum Bremsklotz mutiert und der Krisenlage nicht gerecht wird. Es ist aber noch zu früh, dies abschließend zu bewerten.

Wie konkurrenzfähig sind die deutschen Standorte aktuell im globalen Wettbewerb und im Vergleich mit den Schwesterwerken der Swiss Steel?

Tatsächlich ist die Situation in Deutschland momentan ganz besonders schwierig, auch wenn es gewisse Entspannungen auf dem Energiepreissektor gegeben hat.

Haben sie an deutschen Standorten aufgrund der Energiepreisentwicklung die Produktion ganz oder teilweise zurückfahren müssen?

Wir haben die Produktionszeiten nach den Energiepreisen gerichtet. Im Elektrolichtbogen Ofen Verfahren ist das einigermaßen einfach möglich und unsere Mitarbeiter haben sehr flexibel mitgezogen. In Summe konnten wir aber nicht das gleiche Volumen produzieren, wie unter normalen Bedingungen.

Gibt es Überlegungen Kunden, die bisher von deutschen Standorten beliefert wurden, nun von anderen Swiss Steel Standorten im Ausland beliefern zu lassen?

Der zufriedene Kunde steht bei uns im Mittelpunkt. Daran orientieren wir unsere Planung. Wenn es notwendig ist bekommt ein Kunde deshalb dann auch einmal Ware aus einem anderen Standort, soweit sich das realisieren lässt.

Inwieweit gefährdet die momentane Preisentwicklung das Projekt „Green Steel“?

Die Dekarbonisierung der Stahlindustrie ist eine grundlegende gesellschaftliche Verpflichtung, die wir sehr ernst nehmen und die uns auch weiterhin ganz wichtig ist. Daher ein klares NEIN zu der Frage, ob Green Steel gefährdet ist. Dieses strategische Ziel verfolgen wir weiterhin mit gleicher Intensität wie zuvor und wir beabsichtigen nicht unsere Rolle als europäischer Marktführer im Segment des Green Steels auf das Spiel zu setzen.

Planen sie Kurzarbeit an deutschen Standorten, falls ja, an welchen?

Kurzarbeit ist eines der wenigen Instrumente zur Flexibilisierung der Arbeitskosten. Als vorausschauendes Management muss man in Zeiten wie diesen das auch planen um jederzeit schnell reagieren zu können.

Erwarten sie für den von der Überflutung im Juli betroffenen Standort Hagen besondere Hilfen?

Nein, die erwarten wir nicht.

Nachfrage deutlich rückläufig – Preise für Stahl weiter extrem hoch

Die Swiss Steel Group mit Sitz in Luzern beschäftigt in mehreren Gesellschaften weltweit knapp 10.000 Mitarbeiter.

Die Deutschen Edelstahlwerke mit Standorten in Witten und Siegen (Stahlherstellung) sowie Krefeld und Hagen (Weiterverarbeitung zu Speziallangstahl) sind mit rund 4000 Beschäftigten die größte Einheit der Gruppe.

Konkurrenz hat DEW auch innerhalb der Gruppe, zu der Ascometal und Ugitech in Frankreich, die Steeltec in der Schweiz und Finklsteel in den USA gehören.

Die in Deutschland auch im innereuropäischen Vergleich, vor allem aber im Gegensatz zu den USA, besonders hohen Energiepreise, bereiten DEW Probleme bei der Wettbewerbsfähigkeit.

Dazu verzeichnete die gesamte Swiss Steel Group in diesem Jahr eine rückläufige Marktnachfrage, wie der Vorstandsvorsitzende (CEO) Frank Koch erklärt: „Der konstante Aufwärtstrend unseres Umsatzes auf 946,8 Mio. Euro im dritten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahresquartal war hauptsächlich auf einen Anstieg des durchschnittlichen Verkaufspreises um fast 40 Prozent auf 2604 Euro pro Tonne zurückzuführen, während die Absatzmenge im gleichen Zeitraum um 11 Prozent zurückging. Die stark schwankende Marktnachfrage und die anhaltend hohen Kosten werden in den kommenden Monaten weitere Maßnahmen zur Anpassung unserer Produktion und Kostenpositionen erfordern.“