Witten. Eine alte Friedensidee bekommt Risse: Zu drei der neun Partnerstädte Wittens besteht kaum noch Kontakt. Das sind die Gründe.
Schwere Zeiten für eine alte Friedensidee: Neun Partnerstädte hat Witten, aber nur noch mit sechs von ihnen ist eine Zusammenarbeit möglich. Die politische Weltlage verhindert den Austausch mit Kursk in Russland und Mekelle in Äthiopien. Die Kontakte nach San Carlos in Nicaragua sind seit dem Frühjahr 2022 sogar ganz abgebrochen.
Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie schien die Welt der Städtepartnerschaften noch eine andere. Doch plötzlich kam der internationale Austausch zum Erliegen. Wittener Schulen mussten ihre Reisen in die Partnerstädte aussetzen. Allein 2020 sollten sechs Jubiläen gefeiert werden, die allesamt ausfielen: 30 Jahre Partnerschaft mit Bitterfeld-Wolfen, Tczew in Polen und San Carlos in Nicaragua, 40 Jahre mit Mallnitz in Österreich und Lev Hasharon in Israel und 45 Jahre mit dem französischen Beauvais. Seine älteste Städtefreundschaft unterhält Witten seit 1979 mit Barking/Dagenham in England, seine jüngste seit 2016 mit dem afrikanischen Mekelle.
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Als „Diplomatie von unten“ entstanden Städtepartnerschaften insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, um die Wunden von zwei globalen Kriegen zu heilen. 2022 nun erschweren politische Krisen diese Friedensarbeit. Zum Partnerschaftstreffen Anfang September während der Zwiebelkirmes kamen nur sechs Delegationen, aus Sachsen-Anhalt, England, Frankreich, Israel, Österreich und Polen. Die restlichen Kontakte liegen auf Eis.
Kursk: Kontakte werden weitergepflegt
Die Partnerschaft mit Kursk ruht seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs, zumindest von offizieller städtischer Seite. „Trotzdem haben wir die Hoffnung, sie irgendwann wieder aufnehmen zu können, um zur Völkerverständigung beizutragen“, sagt Andrea Pfeiffer von der zuständigen Stabsstelle für Integration. Der Freundeskreis Witten-Kursk dagegen bemüht sich weiterhin um Kontakte und möchte die Menschen in der Garnisonsstadt nahe der ukrainischen Grenze nicht aus den Augen verlieren.
Neue Partnerstadt in Ukraine?
Laut Stabsstelle für Integration der Stadt gibt es derzeit intensive Bemühungen um eine neue Städtepartnerschaft Wittens mit dem ukrainischen Tschornomorsk am Schwarzen Meer. Die Gespräche laufen schon seit einigen Jahren über das polnische Tczew, das wiederum Partnerstadt von Witten und von Tschornomorsk ist.
Eine Idee wäre, die ruhende Partnerschaft mit Nicaragua gegen eine mit der Ukraine auszutauschen. Dazu wäre aber ein Ratsbeschluss notwendig.
„Wir verabreden uns bewusst alle drei Wochen zu einer Video-Konferenz“, erzählt Vorständin Rita Boele. Immer wieder gab es in Witten Diskussionen, die Freundschaft mit der russischen Stadt vorübergehend auf Eis zu legen. Rita Boele erzählt, wie wichtig der Kontakt sei: „Am Anfang haben wir das Wort Krieg nicht in den Mund genommen, denn wir könnten ja abgehört werden. Das hat sich geändert. Die Kursker erzählen von den Sanktionen, viele haben große Angst. Immer öfter hören wir auch Nachdenkliches.“ Unverfänglich klingende Sätze wie „Das ist keine gute Zeit, es müsste aufhören“ würden dann ausgesprochen.
San Carlos: Verein hat sich aufgelöst
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Die Kontakte zur Partnerstadt San Carlos sind praktisch unmöglich geworden, seit die Regierung von Nicaragua die internationalen Kontakte und die Nichtregierungsorganisationen im Lande behindert. Unterstützungen von Projekten in San Carlos durch Geldüberweisungen sind nicht mehr machbar, so die Stabsstelle für Integration. Der Wittener Partnerschaftsverein hat sich im Frühjahr 2022 aufgelöst, auch aus Altersgründen der Mitglieder. „Ohne Kontakte macht es natürlich wenig Sinn, so eine Städtepartnerschaft aufrecht zu erhalten. Aber für eine Auflösung bräuchte es einen Ratsbeschluss“, sagt Andrea Pfeiffer. Sie würde sich freuen, wenn sich doch noch Ehrenamtliche aus Witten finden würden, die Kontakte in das mittelamerikanische Land pflegen.
Mekelle: Humanitäre Hilfe kommt kaum an
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Seit zwei Jahren tobt der Bürgerkrieg in Äthiopien, insbesondere in der Region Tigray und Wittens Partnerstadt Mekelle. Vieles, was der Verein Etiopia-Witten in den letzten Jahren dort bewirken konnte, ist zunichtegemacht – die Schulprojekte, der Aufbau der Feuerwehr oder des Krankenhauses. Besonders schlimm: Nach einigen ruhigen Monaten sind die Kampfhandlungen erneut aufgeflammt, seit Ende August wird Mekelle wieder bombardiert. Der Ansprechpartner der Wittener, Mekelles Bürgermeister Daniel Assefa, wurde im Frühjahr 2021 während des Krieges erschossen. Vorstandsmitglied Jürgen Jeremia Lechelt: „Wir können unsere Arbeit seit mehr als zwei Jahren vor Ort nicht fortführen und haben große Schwierigkeiten, dort humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.“
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Immerhin konnte der Verein in diesem Jahr 240.000 Euro an Spenden akquirieren und an das Ayder-Hospital für Lebensmittel überweisen. Sie sichern das Überleben von 300 Mitarbeitern und etwa 500 Patienten. Lechelt verspricht: „Wir bleiben aktiv und wenn der Frieden kommt, werden wir wieder vor Ort sein und von vorne anfangen.“