Witten. Gibt die Uni Witten/Herdecke Querdenkern eine Bühne? Die Einladung zweier bekannter Gesichter der Szene sorgt für massive Kritik.

Eine Veranstaltung der Initiativgruppe „Das Ich im Wir“ an der Uni Witten/Herdecke sorgt für Unruhe. Unter dem Motto „Die Würde des Menschen – (un)antastbar?“ soll laut Programm die „Perspektivenvielfalt in Wissenschaft und Gesellschaft“ in der Corona-Debatte am 21. und 22. Oktober diskutiert werden. Insbesondere wegen zwei geladener Teilnehmer gerät die Hochschule in die Kritik.

So stehen auf der Gästeliste mit dem Finanzwissenschaftler Stefan Homburg aus Hannover und der Bonner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot zwei Personen, die in der Vergangenheit als Impfskeptiker aufgetreten sind und das Coronavirus verharmlost haben sollen.

Geladener Gast verglich Corona-Maßnahmen mit Deutschem Reich

So hat Homburg bereits zu Beginn der Pandemie 2020 für Aufsehen gesorgt, indem er die politischen Maßnahmen mit den Verhältnissen im Deutschen Reich 1933 gleichgesetzt hatte. Die Universität Hannover, an der Homburg zu dem Zeitpunkt lehrte, hatte sich schon damals von den Aussagen distanziert. „Dies öffentlich mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2020 gleichzusetzen, ist nach Ansicht von Senat, Präsidium und Hochschulrat der Leibniz Universität Hannover eine unerträgliche Verharmlosung der Geschehnisse im Jahr 1933“, so die Hochschulleitung damals.

Und auch Ulrike Guérot ist in der Vergangenheit durch sehr kontroverse Aussagen rund um das Coronavirus aufgefallen. So sagte sie in einem Fernsehinterview etwa, dass Impfgegner besser informiert seien als Befürworter. Diese These wurde später widerlegt. Zuletzt schmiss der NDR sie dann aus der Jury des Sachbuchpreises, da ihr vorgeworfen wurde, nicht nach wissenschaftlichen Standards zu arbeiten.

Der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg nimmt an einer Podiumsdiskussion der Uni Witten/Herdecke teil.
Der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg nimmt an einer Podiumsdiskussion der Uni Witten/Herdecke teil. © dpa | Ingo Wagner

Bei den weiteren Gästen, die gemeinsam mit Homburg und Guérot diskutieren sollten, hat die Einladung der beiden nicht für Begeisterung gesorgt. So soll laut dem Online-Portal „Volksverpetzer“ der Rechtswissenschaftler Stefan Huster, der auch Vorsitzender des Corona-Sachverständigenrats der Bundesregierung war, seine Teilnahme an der Debatte abgesagt haben.

„Beim besten Willen: Mit Frau Guérot und Herrn Homburg werde ich nicht diskutieren. Das wertet völlige abwegige und polemische Positionen unnötig auf“, schreibt Huster laut dem Online-Portal in einer E-Mail an den Leiter des Instituts für Medizinrecht der Hochschule, Peter Gaidzik.

„Ich war und bin gegenüber vielen Corona-Maßnahmen und einem No/Zero-Covid-Rigorismus selbst kritisch, aber mit diesem Querdenkertum, das unsere gesamte politische Ordnung diskreditiert, will ich nichts zu tun haben“, heißt es in der Mail weiter.

Universität Witten/Herdecke erinnert an Perspektivenvielfalt

Nicht der erste Vorfall

Bereits im Dezember 2020 hat eine geplante Podiumsdiskussion an der Uni Witten/Herdecke für Unruhe gesorgt. Damals lud die Studenten-Initiative „Theatron Logou“ den Corona-Leugner Wolfgang Wodarg zu einer Online-Debatte ein.

Die Veranstaltungen war von vielen Seiten auf Protest gestoßen, auch von der Leitung der Hochschule. So sprang auch Wodargs Diskussionspartner Prof. Dr. Ulrich Mansmann ab. Am Ende ließen die Veranstalter die Diskussion ins Wasser fallen. „Da es uns um eine ausgewogene Auseinandersetzung zwischen zwei bekannten Vertretern der konträren Positionen zum Thema „Corona“ ging, ist die Veranstaltung damit unmöglich geworden“, hieß es in der Begründung.

Die Universität Witten/Herdecke verteidigt die Einladung Homburgs und Guérots auf Anfrage dieser Redaktion. „Ein Teil der Inhalte und einige Referenten und Referentinnen werden die inhaltlichen Positionen vieler Universitätsangehöriger voraussichtlich nicht widerspiegeln“, so die Universitätsleitung. Das gelte jedoch auch für andere Veranstaltungen, die von Initiativen und Organisationen der Universität ausgerichtet und deren Themen inhaltlich kontrovers diskutiert werden.

„Im Sinne einer Perspektivenvielfalt und eines Meinungspluralismus will und muss eine Universität dies aushalten – mit angemessener Toleranz, die jedoch keine Ignoranz duldet. Es ist ihre grundgesetzlich geschützte Aufgabe, den Wettstreit der Ideen und Perspektiven offen, lebendig und respektvoll auszutragen“, heißt es weiter. Parallel dazu wolle man mit aller Energie und wissenschaftlicher Methodenkompetenz daran mitwirken, „dass das Erkenntnisfundament, auf dem unsere Perspektiven und inhaltlichen Positionen basieren“, im Sinne der Aufklärung breiter, tragfähiger und belastbarer werde.

„Diese Freiheit der Perspektiven und Meinungen ist nicht grenzenlos – sie sollte aber an keinem gesellschaftlichen Diskursort weiter gefasst sein als an Hochschulen und Universitäten“, schließt die Universitätsleitung ihre Stellungnahme ab. Zudem weist die Hochschule darauf hin, dass die Fakultät- und Departmentleitungen an der Veranstaltung nicht beteiligt sind, sondern lediglich die Initiativgruppe „Das Ich im Wir“.

Kritik auch in den sozialen Medien

Viele können das aber offensichtlich nicht verstehen. So stößt die Veranstaltung auch in den Sozialen Medien auf heftige Kritik. „Schade, dass die Hochschule in Witten dieser Szene Raum gibt“, schreibt eine Facebook-Nutzerin. Auch ein Leser dieser Redaktion schlägt in einer E-Mail in die gleiche Kerbe. „Bin sprachlos: An der bekannten anthroposophisch geprägten Privatuniversität Witten/Herdecke sollen im Rahmen einer Tagung bekannte Querdenker-Ikonen wie Stefan Homburg und Ulrike Guérot auftreten.“ Man darf sicher sein: Diese Veranstaltung wird wohl noch für viele Diskussionen sorgen.