Witten. Wo heute wieder Kinder spielen und Würstchen brutzeln, brach 2021 die Hölle los. So erlebt der Campingplatz in Witten den ersten Flut-Jahrestag.
Detlev und Conny haben einen Logenplatz im Paradies. Erste Reihe bei Steger, direkt an der Ruhr in Bommern, mit cremefarbenem Wohnwagen, großer Terrasse, Gasgrill und einer „Veranda“ direkt überm Wasser. Darunter schaukeln die Boote sanft am Rande des Hauptstroms, weiß blüht Connys Jasmin und lila der Flieder. Dass hier vor genau einem Jahr die Hölle losbrach – heute undenkbar.
Wir stehen an diesem schönen Abend dort, wo die Jahrhundertflut am 14. Juli 2021 in Witten mit am stärksten gewütet hat. Der Campingplatz an der Uferstraße war komplett abgesoffen. Zum Glück hatten die meisten schon vorher das Feld geräumt.
Doch fünf Personen sind noch geblieben, während das Wasser der Ruhr höher und höher steigt, um in der Nacht die Rekordmarke von 7,20 Meter oder mehr zu reißen: Platzbetreiber und Urgestein Peter Steger mit seiner Frau Edeltraut, die in der etwas höher gelegenen Wohnung schlafen, sein Hausmeister und eben Conny und Detlev Wehmeier aus Bochum. Sie hatten es nicht mehr rechtzeitig nach Hause geschafft.
„Wir saßen hier im Wohnwagen und dachten: um Gotteswillen. Das muss doch langsam aufhören. Es regnete wie Sau“, erinnert sich der 63-jährige Camper. „Ich bin irgendwann eingeschlafen“, sagt seine Frau. „Als ich aufwachte, lagen meine Füße schon im Wasser.“ Als die Kuscheldecke von Hund Marci, der sich unterm Bett verkrochen hatte, zu schwimmen beginnt, hat Conny irgendwann die Faxen dicke. Es ist zwei Uhr morgens und sie alarmieren endlich die Feuerwehr. Der ganze Platz steht längst unter Wasser, ihr hätte es fast bis zum Kinn gereicht. Leise sagt die 55-Jährige heute: „Ich wäre weggewesen.“
Feuerwehr und DLR retten Wittener Camper und Platzbetreiber mit Booten
Was folgt, ist eine dramatische Rettungsaktion von Feuerwehr und DLRG. Mit einem Schlauchboot holen sie die beiden Camper aus ihrem Wohnwagen und die Stegers aus deren Haus. „Ich habe mich aus dem Seitenfenster rausgerollt, rein ins Boot“, sagt Conny. „Die Strömung war ungeheuerlich“, erinnert sich ihr Mann. Das Wasser läuft ins Toilettenhäuschen, der legendäre Biergarten im Retro-Look – längst geflutet. Auf den runden Tischen hocken die Enten.
Alle haben es überlebt und selbst Peter Steger, ein 77-Jähriger mit rauer Schale und weichem Kern, sagt heute, ein Jahr später: „Ich bin froh, dass die Feuerwehr uns rausgeholt hat.“ Er hatte erst geglaubt, dass es auf ein ganz normales Sommer-Hochwasser hinausläuft – wie die vielen Male, wie er es schon vorher erlebt hatte. „Mit diesem Ausmaß hat kein Mensch gerechnet“, sagt Andreas Steger (56), sein Sohn, der mit hinterm Tresen im Biergarten steht.
Der hat in diesem Mai erst Wiedereröffnung gefeiert, so lange hat das große Aufräumen, die Instandsetzung, gedauert. Unvergessen der Müllberg, der wenige Tage nach der Flut auf dem Campingplatz in die Höhe schießt. „30 Meter lang, drei bis vier Meter breit und drei Meter hoch“, sagen die Stegers. Die 50 Camper, die bei Stegers stehen, werfen alles auf den Haufen, was die Flut zunichte gemacht hat, von der Matratze über das durchweichte Sperrholz bis zum verschmierten Bobbycar. Es ist ein bisschen wie auf dem Wertstoffhof. „Hier nur Schrott, da nur Elektro“, erinnert sich Peter Steger.
Und alle haben mit angepackt, Kinder und Enkel und Schwiegertöchter schaufeln Schlamm, überall auf dem Platz stehen Menschen mit Schläuchen, spülen den Dreck von Wagen und Tischen und Stühlen ab. Der Schaden ist enorm. Zehn Wohnwagen sind ganz hin, viele müssen repariert werden. Conny und Detlev aus Bochum haben sich gleich einen neuen gekauft. „War ja alles Schrott.“
Im November konnten Stegers zurück in ihre Wohnung
Auch die Wohnung von Peter Steger und seine Frau wird stark in Mitleidenschaft gezogen. Überall steht das Wasser. „Als ich nachts um drei die Haustür aufmachte, dachte ich: Ach du scheiße“, sagt der Wittener. Trotz der vier Stufen Höhenunterschied schwappt ihm die braune Brühe schon entgegen. Auch die Stegers müssen durchs Fenster flüchten, da die Strömung vor der Tür bereits viel zu stark ist. Man muss sich das vorstellen: Edeltraut Steger, die unter COPD leidet, hängt gerade noch am Sauerstoffgerät.
Ende gut, alles gut. Keine Toten, keine Verletzten. „Verglichen mit dem Ahrtal ist bei uns nichts gewesen“, sagt Steger, der im November wieder in die Wohnung konnte. Auch die Camper sind alle geblieben. Conny und Detlev haben sogar Strandgut gefunden. Auf ihrer „Veranda“ wurde eine Holzbank angeschwemmt. Sie gehört nun zum Terrassen-Mobiliar vor ihrem neuen Wohnwagen. „Hat sich ja keiner gemeldet.“ Der Humor ist ein Jahr nach der Jahrhundertflut auf dem Campingplatz in Bommern zurück.