Witten. Noch in diesem Jahr ist Schluss. Die früheren Eisenwerke Böhmer in Witten-Annen stellen den Betrieb nach 102 Jahren ein. Die Gründe für das Aus.
In wenigen Monaten gehen bei den Eisenwerken Böhmer endgültig die Öfen aus. Energiekrise und Rohstoffmangel infolge des Ukraine-Kriegs waren der Todesstoß für den Traditionsbetrieb in Witten-Annen. In dieser Situation möchte kein neuer Besitzer in den kriselnden Hersteller von Stahlgussteilen investieren.
„Wir befinden uns jetzt in der Ausproduktion bei der Abwicklung des Geschäftsbetriebs“, sagt Insolvenzverwalter Markus Wischemeyer auf Anfrage. Die vorhandenen Aufträge würden noch abgearbeitet. Spätestens Ende 2022 werde die Arbeit an der Annenstraße komplett eingestellt. „Eine Sanierung ist nicht möglich“, so der Jurist. Sämtliche Investoren hätten abgewunken. Grund sei die Entwicklung bei den Energiepreisen und der Rohstoffbeschaffung. Wischemeyer: „Der Ukraine-Krieg kam für uns völlig zur Unzeit.“
Viele der zuletzt 140 Beschäftigten sind schon weg
Die früheren „Eisenwerke“ hatten kurz vor Weihnachten Insolvenz angemeldet. Damals gab es noch Hoffnung. Denn die Auftragsbücher waren voll und mögliche Investoren schienen in Aussicht zu sein.
Der über 100 Jahre alte Traditionsbetrieb war nach einer bereits früheren wirtschaftlichen Schieflage 2016 aufgespalten worden, in die Böhmer Gusstechnik unter Leitung von Wilhelm Böhmer junior und „Technical Solutions“ (Zerspanung) unter der Führung seines Bruders Erik. Beide Familienmitglieder sind Ende 2021 aus dem Unternehmen ausgeschieden. Für die zwei Gesellschaften ist nun Insolvenzverwalter Markus Wischemeyer verantwortlich.
Von den 140 Beschäftigten zu Beginn des Ende 2021 eingeleiteten Insolvenzverfahrens seien viele bereits gegangen. Jeden Monat würde die Mannschaft kleiner, heißt es aus Mitarbeiterkreisen. Nun soll es eine Prämie für die verbleibende Belegschaft geben, damit die bestellten Aufträge fertiggestellt werden können. Dabei gebe es für jeden Monat bis zu 750 Euro extra. Insgesamt seien bis 4500 Euro möglich. Wer kündigt, müsse die Prämie anteilig zurückzahlen. Tenor: Es bringt was, zu bleiben.
Kunden zahlen Prämien
Nach den der Redaktion vorliegenden Informationen soll die Produktion nur noch für Kunden der Gusstechnik laufen. Sie sind es auch, die die Prämien zahlen. Für den Geschäftsbereich Zerspanung sei keine Arbeit mehr vorhanden. Für die letzten Monate könnten Mitarbeiter aber in die Gusstechniksparte wechseln und so auch an der Sonderzahlung beteiligt werden. Vielen Beschäftigten, heißt es, sei zum 30. September gekündigt worden.
Das Aus für Böhmer reihe sich in ein generelles Gießereien-Sterben ein, so der IG-Metall-Bevollmächtigte für Witten, Mathias Hillbrandt. „In den letzten zehn, 15 Jahren musste die Hälfte der Gießereien im EN-Kreis aufgeben.“ Zeitgleich mit Böhmer stellen laut IG Metall zwei vergleichbare Unternehmen in Ennepetal den Betrieb ein.
IG Metall: Investitionen über Jahre vernachlässigt
Viele Betriebe seien „auf tönernen Füßen gebaut“, so Hillbrandt, weil notwendige Investitionen aufgrund ihrer Höhe und der schlechten Zukunftsperspektive vernachlässigt worden seien. In anderen Ländern werde günstiger gegossen, hiesige Unternehmen müssen meist Nischen bedienen.
102-jährige Tradition geht zu Ende
Mit dem Aus der Eisenwerke Böhmer geht in Annen eine 102-jährige Tradition zu Ende. 1920 war Böhmer als Tiegelgießerei für Bügel- und Waffeleisen gegründet worden und hatte sich kurz darauf auf Bergbauzubehör spezialisiert. Zuletzt orderten Kunden in Annen Stahlguss-Teile, die in Ölplattformen, im Schienenverkehr, im Tunnel- und Bergbau, in Baumaschinen und der Stahlindustrie weltweit zum Einsatz kommen.
Zeitgleich mit Böhmer würden laut IG-Metall zwei vergleichbare Unternehmen in Ennepetal aufgeben. Der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie hält die Sanktionen gegen Russland für existenzbedrohend. Das in deutschen Gießereien eingesetzte Roheisen stamme zu rund 25 Prozent aus Russland, es gäbe kaum Alternativen. Auch Aluminium, Nickel, Zink, Magnesium und metallische Einsatzstoffe würden zurzeit zu Höchstpreisen gehandelt.
Dass sich für Böhmer Gusstechnik kein neuer Besitzer fand, könne man daher nicht allein auf kriegs- und sanktionsbedingte Materialengpässe oder die Energiekosten zurückzuführen, sagt der Gewerkschafter. „Da gibt es auch Untertöne“, so Hillbrandt. Er denkt dabei etwa an einen Investitionsstau, die Vorgeschichte mit drei verschiedenen Führungspersönlichkeiten, die sich nicht immer einig gewesen seien, und ein an sich schwieriges Marktumfeld. Schon bei der ersten Insolvenz 2015 habe sich schließlich kein neuer Investor gefunden.