Das Eisenwerk Böhmer hat als Gießerei Jahrzehnte Geld mit dem Bergbau verdient. Heute ordern Kunden in Annen Stahlguss-Teile, die in Ölplattformen, Baggern und Bahnen weltweit zum Einsatz kommen.
Familienunternehmen pflegen Tradionen. Beim Eisenwerk Böhmer auch die, dass die erstgeborenen Söhne Wilhelm heißen. Denn vor drei Generationen fing in Witten alles mit einem Wilhelm Böhmer an. Der stammte aus Hagen und gründete in der Eckardtstraße in Annen mit Hermann Flor und Wilhelm Bopp eine Tiegelgießerei für Waffel- und Bügeleisen. Mit Haushaltsgeräten haben seine zwei Urenkel in der Böhmer-Chefetage (4. Generation) heute nichts mehr zu tun. Die Gussteile ihrer Firma kommen weltweit zum Einsatz – zum Beispiel in Ölplattformen, im Schienenverkehr, im Tunnel- und Bergbau, in Baumaschinen und der Stahlindustrie.
Diplom-Kaufmann Erik Böhmer (46) und sein Bruder Dr. Wilhelm Böhmer (48), Gießerei- und Wirtschafts-Ingenieur, teilen sich die Geschäftsleitung des 200-Mann-Betriebes mit ihrem Vater, Dipl.-Ing. Friedrich Wilhelm Böhmer. Der 72-Jährige hat sich im Mai aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. „Er steht uns aber immer noch mit Rat und Tat zur Seite“, wie Erik Böhmer betont. Vor allem würden „wegweisende Entscheidungen“ immer zu dritt getroffen. „Wenn zwei für etwas sind, gilt das.“
Wichtige Entscheidungen hatte auch Unternehmensgründer Wilhelm Böhmer zu treffen. 1923, als die deutsche Wirtschaft am Boden lag, bewies der Mann Mut, als er die von ihm mitgegründete Firma alleine weiterführte und die Produktion umstellte. Seine Gießerei fertigte nun Zubehör für Feld- und Grubenbahnen – Radsätze und Kupplungen. 1929 zog der Betrieb auf das heutige Werksgelände an der Annenstraße. 1938 stellten hier bereits 106 Mitarbeiter Radsätze für Schienenfahrzeuge aller Art her, die nicht dem Personenverkehr, sondern dem Transport von Lasten dienten.
Böhmer steckt auch in der neuen Metro von Melbourne
Im Zweiten Weltkrieg, 1942, übernahm der Sohn des Unternehmensgründers, Wilhelm Böhmer jun., die Firmenleitung. Der Senior starb 1943. Bei Bombenangriffen am 12. Dezember 1944 und am 19. März 1945 wurde die Gießerei fast vollständig zerstört. 1946 baute Wilhelm Böhmer sein Werk wieder auf und produzierte Bergbau-Zubehör. „1955 hat mein Großvater die neu errichtete Stahlgießerei in Betrieb genommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er 353 Mitarbeiter. Der Bergbau war der größte Kunde“, erzählt Erik Böhmer.
1963 lief in Annen die Produktion von Kranlaufrädern an, wie sie bei Kran-Herstellern, auf Umschlagbahnhöfen oder bei Hafen-Umschlagsgesellschaften zum Einsatz kommen. Als 1972 Erik Böhmers Vater Friederich Wilhelm in die Geschäftsleitung einstieg, fertigte die Gießerei immer noch größtenteils „rollendes Material“, nämlich Laufräder für schienengebundene Transportsysteme sowie Seilrollen. Acht Jahre später musste die Firma einen Richtungswechsel vollziehen. Erik Böhmer: „Der Bergbau war auf dem Rückzug. 1980 mussten wir uns andere Kunden suchen.“
Sein Vater entschied sich für eine Produktionsumstellung auf Kranlaufräder und allgemeinen Stahlguss. Ein breites Betätigungsfeld. „Beim allgemeinen Stahlguss fertigen wir Teile, die zwischen zehn Kilo und fünf Tonnen wiegen. Zum Beispiel Planetenstege, die dafür sorgen, dass Ölplattformen abgesenkt oder angehoben werden können, Tragachsen für Bagger oder Teile für Gelenkverbindungen der Bahn.“ Ein bisschen Böhmer steckt auch in der neuen Metro im australischen Melbourne.
Und früher auch in Telefonzellen, als die noch überwiegend Münzfernsprecher beherbergten. „Für die haben wir einmal Tresore gegossen, in die das Geld hineinfiel.“ Für die Gießerei kein Groschengrab, sondern ein Auftrag über zwei Jahre.