Witten. Wie ist es, mit den Spätfolgen einer Corona-Erkrankung zu leben? Drei Wittener haben uns ihre ganz persönliche Geschichte erzählt.
Es sind keine Einzelfälle. Bis zu drei Millionen Patienten in Deutschland leiden nach aktuellen Schätzungen der Ärzteverbände nach einer Corona-Infektion an Langzeitschäden. Untersuchungen zeigen: Long Covid trifft dabei selten die Alten. Viel häufiger sind junge, sportliche Menschen betroffen. Dynamische, die im Job viel leisten. Jugendliche, die ihr Leben noch vor sich haben. Aber wie ist es, mit den Spätfolgen der Erkrankung zu leben? Drei Wittener haben uns ihre persönliche Geschichte erzählt.
Leonard Bröckelmann kommt aus einer Sportlerfamilie. Fitness-Studio, Boxtraining und Downhillfahren waren für den jungen Diabetiker immer Teil seines Lebens. Bis er im Februar 2021 an Corona erkrankte, zu dem Zeitpunkt natürlich ungeimpft. Leonard konnte sich vor Gliederschmerzen kaum noch bewegen, bekam schlecht Luft. „Wie bei einer Grippe.“ Wie schlimm es ihn tatsächlich erwischt hatte, merkte der 25-Jährige erst, als er nach dem Freitesten zurück in seine Wohnung wollte. „Ich kam kaum noch die Treppe rauf.“
Wittener musste sich nach zwei Stunden Arbeit wieder hinlegen
Auch der Versuch, rasch wieder zu arbeiten, scheiterte. Der Holztechniker konnte sich kaum konzentrieren. „Nach zwei Stunden war ich erledigt, musste erst einmal schlafen.“ Auch das Gedächtnis ließ nach. „Ich wusste, was ich gemacht hatte, hätte es aber nicht wiedergeben können.“
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Mehrere Ärzte fanden keine Ursache für seine Beschwerden, bis eine spezielle Untersuchung schließlich Einschränkungen seiner Lungenfunktion zeigte. Doch die Behandlung mit Medikamenten und Physiotherapie zeigte lange keinen Erfolg. „Fünf Stufen laufen, zehn Minuten Pause: Da bekam ich wirklich Angst, dass es nie wieder besser wird.“
Fast fünf Monate lang war Leonard Bröckelmann nicht arbeitsfähig. „Im Juli bin ich wieder dann wieder gegangen, ich wollte einfach was tun.“ Auch mit dem Sport fing er langsam wieder an, Ausdauer, um die Lunge zu trainieren. Inzwischen geht es dem Mittzwanziger zwar besser. Aber es ist nicht wie vor der Infektion. Die Kurzatmigkeit ist geblieben, die Konzentration nicht hundertprozentig. „Nie hätte ich gedacht, dass es mich so hart trifft.“ Er ist sicher: „Geimpft wäre der Verlauf milder gewesen.“
Herbederin hatte das Gefühl zu ersticken
Auch Birgit Fetke war ungeimpft, als sie sich im November 2021 infizierte. Als Einzige in ihrer Familie – und mit gutem Grund. Ein Arzt hatte Bedenken hinsichtlich einer Corona-Impfung, weil die Asthmatikerin früher einmal mit einem allergischen Schock auf eine Impfung reagiert hatte. Die Pandemie erwischte die 54-Jährige dann voll: Fieber, Luftnot, Schmerzen in der Brust. „Am fünften Tag kam der Notarzt. Da war auf meiner Lunge schon was zu hören.“ Er wollte sie einweisen, doch sie hatte Angst. „Man hat ja diese schlimmen Bilder im Kopf.“
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Drei Tage später ging es dann doch nicht mehr anders. „Ich dachte, ich muss ersticken.“ Schlimmer als ein Asthma-Anfall sei das gewesen. „Ich wäre am liebsten aus dem Fenster gesprungen, damit es endlich vorbei ist.“ Die Medikamente, die sie in der Klinik bekam, schlugen zum Glück rasch an. Doch das Lungen-CT zeigte da schon Vernarbungen – ein Schaden, der nicht mehr heilen wird.
Keine Ursache für Schmerzen in den Beinen zu finden
Doch dabei blieb es nicht. Die Herbederin konnte nur noch verschwommen sehen, bekam Durchfall, schließlich Gedächtnislücken. „Ich dachte, da kommt immer mehr, das nimmt einfach kein Ende.“ Und das hat es auch bis heute nicht genommen. Die Augen sind wieder besser, die Luftnot ist geblieben. So wie die Wortfindungsstörungen.
Das Schlimmste für die Pflegerin sind aber die Schmerzen in den Beinen – offenbar auch eine Corona-Folge, eine andere Ursache ist nicht zu finden. Die Einschränkungen belasten Birgit Fetke. „Ich hab vier Kinder, hab immer alles gemacht.“ Sie will wieder aktiv sein können. Siebenmal im Monat geht sie inzwischen arbeiten. Und sie hat sich inzwischen impfen lassen. Stationär. „Ich möchte das schließlich nicht noch einmal kriegen.“
Elfjährige konnte sich an ganze Tage nicht mehr erinnern
Marie (Name geändert) war erst elf Jahre alt, als sie sich im November 2020 infizierte. Die ganze Familie war krank, in der zweiten Woche wurde es richtig schlimm. Die Infektion ging, die Kopfschmerzen blieben – fast ein Jahr lang. Schon morgens nach dem Aufwachen waren sie oft da. Oft kam das Mädchen kaum hoch. „Dabei war sie bis dahin praktisch nie krank gewesen“, sagt ihre Mutter.
Nach einem Monat kam dann eine massive Vergesslichkeit dazu. „Sie hat in der Schule eine Arbeit geschrieben und konnte sich anschließend nicht mehr daran erinnern.“ „Der ganze Tag war ausgelöscht.“ Das sei sehr beängstigend gewesen.
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Marie konnte sich nicht konzentrieren, verlor mitten in einer Aufgabe den Faden. Das begabte, ehrgeizige Mädchen kam psychisch nicht damit klar, dass die Schulnoten durch die Gedächtnisstörung schlechter wurden – und wurde immer mutloser.
Seit etwa einem halb Jahr geht es ihr nun wieder besser. Die Kopfschmerzen sind weg, die Angst, in der Schule nur die Hälfte zu schaffen, ist geblieben. „Aber sie ist eine Kämpferin, sie gibt nicht auf.“ Für Maries Mutter waren die letzten anderthalb Jahre eine harte Zeit – zumal sie selbst auch an Long-Covid-Luftnot leidet. „Ich fühle mich 20 Jahre älter.“ Corona habe ihrer Familie ein Stück Lebensqualität genommen. Corona werde unterschätzt, meint die Wittenerin und rät zur Impfung. „Die Krankheit ist schlimmer als der Piks.“